Bibliotick: Ein zärtliches Stück ErinnerungsprosaArtistin

«Nicolas Sarkozy und Martin Hirsch haben dir das Rückgrat gebrochen», «Emmanuel Macron stiehlt dir das Essen direkt vom Teller»: Mit Sätzen wie diesen hat Edouard Louis, Frankreichs literarischer Jungstar, in seinem Herkunftsland für Aufruhr gesorgt.Sein neues Buch «Wer hat meinen Vater ­umgebracht» ist eine wortgewaltige Anklageschrift gegenüber den Regierenden – und zugleich ein zärtliches Stück Erinnerungsprosa. Sein gewalttätiger Arbeiterklassen-Vater erscheint hier in anderem Licht.

Diesen Vater hat man bereits in Louis’ Erstling Das Ende von Eddy (2011) kennengelernt, mit dem der heute 26-jährige Autor die Literaturwelt erstmals, so heißt es, in einen «Schock» versetzte: Louis schilderte darin seine Kindheit als Sohn eines aufbrausenden und homophoben Fabrikarbeiters im proletarischen Milieu Nordfrankreichs, er beschrieb Armut, die Erkundung der eigenen Homosexualität und schließlich den Klassenaufstieg und damit einhergehend die Scham über die eigene Herkunft. Louis’ Literatur ähnelt damit Didier Eribons selbsterkundender Soziologie: Wie sein früherer Lehrer und heutiger Mitstreiter schreibt er autobiografisch grundiert und theoretisch versiert. Das gilt auch für das neue 80 Seiten ­schmale Bändchen, das den Vater nun als deutlich ambivalentere Figur präsentiert: Den aufbrausenden, homophoben und rassistischen Mann lernt man hier als nunmehr geläutertes Opfer seiner Umstände kennen. Louis inszeniert den Verfall des väterlichen Körpers parallel zur Geschichte der französischen Sozialreformen: Trotz chronischer Rückenschmerzen musste er nach einem schweren Arbeitsunfall einen Job als Straßenkehrer annehmen. Das Buch ist nicht zuletzt ein Ringen um die Darstellung einer an den Rand gedrängten Biografie, ein poetischer Versuch, dem Vater Stimme zu geben, stellvertretend für die Unterrepräsentierten. Das bisschen Pathos und die etwas glatte Läuterung des ehemaligen Le-Pen-Wählers nimmt man Louis nicht übel – sondern als Fünkchen Optimismus dankbar entgegen.

Edouard Louis:

Wer hat meinen Vater umgebracht

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel

S. Fischer, 2019,

80 Seiten, 16,50 Euro