«Als die Hilfswerke des Viertels auftauchten, um die Mecianer zu unterstützen, war allen klar, dass die Sache diesmal wirklich gelaufen war. Recht auf Wohnen, Restaurants des Herzens, Ärzte der Welt … je näher einem all diese Hilfswerke auf die Pelle rückten, desto sicherer konnte man sich sein, dass man tatsächlich halstief in der Scheiße steckte.» In Paris gibt es zwischen 1. November und 31. März keine Zwangsräumungen. Weil es offiziell kalt ist, darf niemand auf die Straße gesetzt werden: eine Art Notquartier, die sich im Gesetz einrichten ließ.Darum kommt der Bescheid für das ivorische Student_innenheim «MECI» auch mit Räumungsdatum 1. April. Dort wohnt neben den Studierenden, die sich ständig für oder gegen irgendetwas versammeln, unter den Neuen, den Arbeiter_innen, auch Ossiri. Er ist seit kurzem in Paris, arbeitet als «Wartelöhner», wie das gelangweilt herumstehende Wachpersonal der großen Kaufhäuser genannt wird. Junge Sans-Papiers, die für wenig Geld in den Konsumpalästen der Pariser_innen anheuern. «Weit weg in der Provinz, im tiefsten Frankreich, soll es tatsächlich Wachleute geben, die weiß sind.» Seinen öden Arbeitsalltag beschreibt der Protagonist in Minitexten, die den Leser_innen einem Glossar gleich die Kundschaft, das Personal, die Arbeit und die Produktpalette der Einkaufstempel in der Pariser Innenstadt näherbringen. «Hose aus weißem Leinen: Martinique. Als es auf Martinique noch Sklaverei gab, trugen die Békés solche Hosen auf den Zuckerrohrplantagen.»
Der Pariser Schriftsteller Gauz begleitet in seinem collageartigen Roman einen jungen Mann, der aus Abenteuerlust (und weil seine Mutter sagt, probier’s doch, und dann komm wieder zurück) nach Europa aufbricht und dort verstehen lernt, was Globalisierung mit Kolonialismus, Arbeit mit Armut und Großstadt mit Klassenkampf zu tun hat. Er schreibt davon auf humorvolle Weise, in Sprachspielen und ohne Plattitüden. Und er webt einen ganz neuen Stoff, aus dem die Pariser Haute-(oder Basse-)Couture-Träume sind: «Der Umstand, dass man im Herzen von Paris über zahllose qualifizierte Arbeiter verfügen konnte, unterbezahlt und ohne Gewerkschaft, mit denen sich nach Belieben Schindluder treiben ließ, kam quasi einer Binnenauslagerung der Produktion gleich. Wahrlich eine kapitalistische Meisterleistung, das musste man den Chinesen lassen!»
Gauz: Wartelöhner
Unrast 2016, 125 Seiten