Bibliotick: Wie ein schreiendes Tierchen im zahnlosen MundArtistin

Kärntner Antipsychiatrie. «Ich habe gelacht. Es war ein blödes und sicher sehr widerliches Lachen und ich begreife, dass es nicht dazu beitrug, mich dem Kleinen sympathischer zu machen.»

Der Kleine, das ist der Gerichtspsychiater, dem Christine Lavant vorgeführt wird, damit er über Verbleib oder Entlassung aus der Psychiatrie entscheide. In ihren «Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus» beschreibt die Lavanttaler Autorin sechs Wochen, die sie im Herbst 1935 zwanzigjährig und aus freien Stücken in der Klagenfurter «Landes-Irrenanstalt» verbrachte. Nicht als Selbstversuch oder zum Zweck der Recherche, sondern weil sie sich nach einem Selbstmordversuch Heilung erhoffte.

Im Frühjahr 1946 ging in Klagenfurt einer der ersten großen «Euthanasie»-Mordprozesse in Österreich zu Ende. Der Primarius, den Lavant ein wenig wie den Protagonisten eines Ärzteromans beschreibt, wurde freigesprochen, gab aber im Prozess zu, über die Tötung sogenannten «unwerten Lebens» in der Klagenfurter Psychiatrie genau Bescheid gewusst zu haben. 1500 Klagenfurter Patient_innen wurden unter den Nazis ermordet. Lavant wird wohl verstanden haben, wie knapp sie der «Unwertigkeit» von der Schippe gesprungen ist. In einem Brief schreibt sie Ende 1946, sie könne nichts anderes mehr als schreiben, ihre Hand bewege sich eigenmächtig, ihr Herz «rächt sich für alles, was ihm in den letzten Jahren an Schweigen auferlegt worden ist».

Erst im Herbst 1946 setzt sie an, die Zeit in der Psychiatrie tagebuchartig zu notieren. Die Gewaltausübung der Pflegerinnen, die fernen und angstvollen Gedankenwelten der Patientinnen, ihren Wunsch, sich zu integrieren, aufgenommen zu werden in die Community der Weggesperrten. «Eben hat Berta getanzt. … Wer gab ihr den eigentümlichen Rhythmus ein, nach welchem sie auf den braunen Fliesen vor und zurück schritt? Und die hohe Stimme, die einer singenden Säge glich und aus dem zahnlosen Mund so fremd herausschrie, dass man jeden Moment erwartete, ein kleines weißes Tier darin zu entdecken?» Der Text wurde zu Lavants Lebzeiten nur als BBC-Radioerzählung publiziert. In der Lavant-Reihe im Wallstein Verlag liegt er jetzt mit historischem Kommentar vor.

Christine Lavant:

Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus

Hg. und mit einem Nachwort von Klaus Amann

Wallstein 2016, 140 Seiten, 17,40 Euro


 

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