Figurinen, Datumsstempel aus den 40er Jahren, Stoff-Flechtungen: Die Bühnenbilder und Kostüme der Ulrike Kaufmann eröffnen Welten voller Fantasie. «Die Erwachsenen sind spielen gegangen», schreibt Sohn Max Kaufmann über das Theater seiner Eltern, das Odeon. Eine Ausstellung ebendort erinnert nun an die Künstlerin. Von Kerstin Kellermann (Text) und Lisbeth Kovačič (Fotos)
Ganz eigene Gedanken-Welten in komplett neu erfundene Bilder umsetzen. Das konnte die Künstlerin Ulrike Kaufmann, die Kostüme und Bühnenbilder für ihr Theater, das Odeon im zweiten Wiener Gemeinde Bezirk erschuf. Mit einem Schiff zur Aufführung fahren. Gestalten, die sich auf der Bühne in Wasser rollen. Plötzlich der Geruch von Erde. Schon beim Serapions-Ensemble funktionierte das Anregen zu Imaginationen ganz prächtig. Im Odeon ging es dann fröhlich weiter. Ulrike Kaufmann, die großartige Theater-Produzentin und Erfinderin, erlag 2014 leider schon mit sechzig Jahren dem Krebs.
Das Spitzer, die kleine Filiale, die Dependance des Odeon Theaters in der Wiener Taborstraße, verfügt über wunderschöne Räume, genau wie das Theater selbst. Ulrike Kaufmanns Lebenswerk ist nun im Spitzer zu sehen. Zusammengetragen und ausgesucht von Mann und Sohn.
«Denken mit den Augen» (Goethe). Barhocker, die wie Zirkuspodeste von Elefanten aussehen. Puppenköpfe stehen oben auf der Balustrade, es gibt verrückte Hüte, die über der Treppe zu den Werkstätten in der Luft baumeln. «Muss das schön sein, sich so entfalten zu können», seufzt eine Schülerin einer Modeschule. Sie ist hin und weg von den Kostümen: jenen, die Ulrike Kaufmann einst aus Geldmangel aus Papier anfertigte, jenen aus den bemalten oder gebatikten Stoffen, dem seriellen Charakter pro Theaterstück. «Schau mal, das ist hinten genauso schön verarbeitet wie vorne, obwohl das keiner sieht», sagt Schülerin Selma und dreht einen Stoff um. «Das ist einfach Kunst – jedes Stück.» Selma wird ganz melancholisch, denn auf ihrer Schule lernen sie allein das Handwerk, die gute Verarbeitung, wie sie erzählt. Hier in der Ausstellung hingegen: Unmengen an aufgenähten Knöpfen. Opulente Unterröcke, Kunst. «Das dauert ja hundert Jahre», wundert sich die gelernte Schneiderin. «Es ist alles so lustvoll. Sie probiert alles aus, so wie ich es in der Schule nicht lerne. Das klingt nach so einem schönen Leben.» Ulrike Kaufmann besuchte die Grazer Kunstgewerbeschule und dann die Akademie der bildenden Künste in Wien. Sie stammte, wie Selma auch, aus einer Bauernfamilie, wo man wohl von klein auf das ständige Hackeln lernt.
Kostüme zum Spielen da. «Eigentlich gehören alle diese schönen Kostüme in ein Museum», ist Selmas zusammenfassende Meinung. Kaufmanns Kostümfundus kann man nur von außen betrachten. Darin hängen die Originale dicht auf dicht. Wer wird die konservieren? Späteren Generationen zeigen? Eigentümer ist der Sohn, Max Kaufmann, Punker und Bühnenmaler. Momentan kommen sie noch unter die Leute. Etwa in der aktuellen Produktion des Serapions-Ensembles, Lamento Allegro. In ein Museum sollten sie erst, wenn sie nicht mehr für Stücke verwendet werden.
Erwin Piplits, Lebensgefährte von Kaufmann und Direktor des Odeon, gestaltete einen Katalog, der in Bildern und Texten das Lebenswerk Kaufmanns zeigt. Hier sieht man die Ideen hinter den Stücken, den langen gemeinsamen Weg. «Keiner wäre ohne den anderen das geworden, was er ist», schreibt Piplits in der Einleitung. Eine Liebeserklärung. Er überließ ihr das Feld der Malerei, weil er sah, dass sie sich viel besser ausdrücken konnte als er. «Die Räume und Bauten blieben in meinen Händen», schreibt er. Die beiden starteten ihre «Verbindung von bildender Kunst und Theater» zunächst in Form von Figurentheater, in den frühen 1970er-Jahren. Probten anfangs auf der Straße, weil sie kein Theater zur Verfügung hatten. Es folgte das feste Theater für das Serapions-Ensemble am Wiener Wallensteinplatz. Dann das Odeon mit seinen manchmal verkleideten Säulen und dem riesigen Saal mit Balustrade. 41 Jahre lang war Ulrike Kaufmann Leiterin des Theater-Ensembles.
Schuhe mit Rad. Kostüme, die aus Rucksäcken genäht sind, Schuhe mit kleinem Rad im Absatz, Masken, die den Gesichtern der Träger_innen nachgebildet sind. Schier unerschöpflich erscheint das Universum der Ulrike Kaufmann, die doch leider zu Ende geschöpft hat. Wer wird es wieder auf sich nehmen, «im beinahe kniehoch fließenden Wasser zu spielen», sich selbst für die Kunst «preis- und aufzugeben», wie im Katalog zu lesen ist, oder «Verwandlungskostüme» für Schauspieler_innen, die den ganzen Abend die Bühne nicht verlassen, zu erfinden? Das Publikum hofft klarerweise auf weitere gemeinsame künstlerische Luftsprünge – trotz des Verlusts.
Ulrike Kaufmann: Lebenswerk
Odeon
2., Taborstraße 10
Mi–Sa, 18.30–23 Uhr, So, 14–18 Uhr, Eintritt frei
Bis 4. Juni
www.odeon-theater.at