Was wird aus dem Werk einer Künstlerin, wenn sie stirbt? Manchmal übernimmt eine andere Künstlerin die wichtige Aufgabe, die Kunst einer Frau lebendig zu erhalten. Wie Susanne Kompast für Aloise Roth, Meina Schellander für Rita Furrer oder Alexandra Schlag für Ingeborg Strobl.
Text: Kerstin Kellermann
Fotos: Lisbeth Kovačič, Gisela Erlacher
In den 70er Jahren hatten die beiden Künstlerinnen einen ähnlichen Freundeskreis, dazu gehörten zum Beispiel Liesl Ujvary und Bodo Hell. «An Rita Furrer gefiel mir damals ihr ganz genaues und präzises Arbeiten. Neben ihrer eigenen bildhauerischen Tätigkeit – sie studierte bei Wander Bertoni an der Wiener Angewandten – restaurierte sie im anatomisch medizinischen Institut des Wiener Josefinums 25 Jahre lang Wachsmodelle. Als Restauratorin kannte sie sich super mit Wachs aus. Sie fuhr sogar nach Florenz, um sich über Wachstechniken zu informieren.»
Meina Schellander hat bis heute noch einige Schachteln mit Rita Furrers Nachlass in ihrer Wohnung. Dass sie diesen Nachlass verwalten würde, war nicht geplant, denn Rita Furrer lag 2003 im Hospiz am Rennweg und «hat nicht gedacht, dass sie sterben wird». Furrer hatte keine Familie mehr, ihre Mutter ist tragisch verstorben, als sie zwölf Jahre alt war. Ihr künstlerischer Nachlass war «überhaupt nicht besprochen». Meina Schellander, coronabedingt am Telefon: «Ich habe es nicht übers Herz gebracht, dass ihr Nachlass verschwindet. Es wäre mir schwergefallen, dass jemand, der so viel in sein Forschen investiert hat, einfach so vergeht. Also erwarb ich den Nachlass nolens volens nach ihrem Tod um einen mir möglichen Beitrag vom Notar. Ich fuhr Ritas teilweise kaputte Figuren aus ihrem Keller und dem Atelier mit dem Auto in mein Lager und restaurierte sie.» Schon zu Lebzeiten während ihrer schweren Krankheit hatte sie für Furrer «Sachen gemacht», wie einen chronologischen Kunstordner zusammengestellt. «Den könnte man gleich als Katalog verwenden», meinte Rita Furrer erfreut.
Einen Weg haben.
«Ritas Kunst ist ganz anders als meine, sie ging vom menschlichen Körper aus und machte Performances. Vieles war mir unerklärlich, sie war irgendwie auch ein Medium, vieles ist durch sie hindurchgelaufen, sie zog mystische Sachen an, das hat sie gespürt. Das war alles ihre Arbeit und ihr Dasein. Sie sah ihre Kunst in einer vor allem weiblichen, kosmischen und spirituellen Abhängigkeit.» Rita Furrer besuchte prähistorische Kultstätten in Südfrankreich, Südengland und im Waldviertel und machte an diesen Orten, schwarz verhüllt, Performances, wie Fotos belegen. Sie hatte eine wichtige Einzelausstellung in Wuppertal und beteiligte sich an mehreren Ausstellungen der IntAkt. Außerdem nahm sie in der Schweiz, woher sie stammte, und in Österreich an Wettbewerben für vielschichtige Platzgestaltungen teil, die prämiert wurden, aber leider ohne Ausführung. In den 80er Jahren arbeitete sie intensiv an Drehbüchern, führte Filmtreatments aus, in die sie ihre bisherigen bildhauerischen Überlegungen einbaute und in eine weitere Dimension führte.
Meina Schellander bekam aber auch Probleme mit dem Nachlass: «Das mit dem Werkverzeichnis hat mich ziemlich überfordert, das hätte ich nicht machen sollen», klagt die Bildhauerin. «Was ich mache, sind die Vorarbeiten für jemand Professionellen, der dann schon einen Weg hat. Erfreulicherweise konnte ich die Gemeinde Wien dazu gewinnen, den Furrer-Nachlass in ihre Sammlung zu übernehmen.» Im Jahr 2014 war die letzte Lieferung aller skulpturalen Werke, die Bearbeitung des Restmaterials in Schellanders Wohnung wird nun endlich beendet und nachgereicht. Die sehr schöne Ausstellung Bilderschatten realisierte Meina Schellander 2007 in der Wiener Jesuitenkirche mit den reparierten und restaurierten Furrer-Figuren. Die aber nicht wie in einer unwillkürlichen heutigen Deutung Burkas oder Niqabs darstellen sollen, sondern «die Schattenseite unseres Daseins». Ihre Figuren stammen aus der Aufbruchsphase des Feminismus. In Performances bewegte sich Furrer selbst, ebenfalls schwarz verhüllt, zwischen ihren Skulpturen. «Mit der Ausstellung hatte ich natürlich selber eine Freude, aber es war einen Batzen schwieriger als mein eigenes Werk», resümiert Schellander.
Vernähte Schachteln.
Susanne Kompast hat einen ganz anderen Zugang zum Nachlass der Künstlerin Aloise Roth, den sie verwaltet. 2011 bei der Demonstration zu 100 Jahre Frauentag lernten sich die beiden Künstlerinnen kennen: «Da war Aloise auch voller Flamme …» Beide Frauen haben Bezug zu St. Pölten, ihre Väter bzw. Opas arbeiteten für dieselbe Firma. Kompast «tigerte sich» in Roths Werk hinein, weil sie beide «fast wie Schwestern» waren. Aloise Roth war bei der zehntägigen Besetzung des ehemaligen Wiener Pornokinos im Rondell dabei. Es sollte ein Frauenzentrum für Kunst und Politik werden, doch das Jazzkonzertlokal Porgy & Bess siegte im Endeffekt und bekam das ehemalige Pornokino. «Aloise spannte riesige, wunderschöne Fäden im Rondell. Das war der Anfang der Netzspannung. Auch im Frauenparlament in der Wirtschaftsuniversität 1994 spannte sie den roten Faden», erinnert sich Kompast.
Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen Schachteln aus Roths Nachlass, die Kompast vernähte, um an die Netztechnik und deren Verflechtungen zu erinnern. Ihre Art, mit dem Material künstlerisch umzugehen. In den Regalen lauter kleine Frauen-Torsi. An der Wand lehnen riesige Bilder. «Aloises Kunst ist so ganz anders als das, was ich tue. Der Bruder gab mir das Recht über den künstlerischen Nachlass», erzählt Kompast. «Alle sind verwundert, dass ich das getan habe, inklusive ich selbst.» Als Aloise Roth 2018 verstarb, entdeckte Kompast «tausende wunderschöne Fotos, die ich gar nicht kannte» in der verlassenen Wohnung. Roth fotografierte bei Vernissagen, dokumentierte Ausstellungen. So gibt es auch eine ganze Seite kleiner Negative von Andy-Warhol-Fotos in ihrem Nachlass. Aber auch vom Filmfestival Rote Küsse.
Roth machte auf der Angewandten ihr Diplom, ein Studienkollege war Ernst Caramelle. «Ich bräuchte einen Raum, in dem ich alles karteimäßig bearbeiten könnte», sagt Kompast, die schon eine Aufarbeitung des Nachlasses in einem Bibliothekslehrgang überlegt. Sie selbst macht Skulpturen und interessiert sich für den öffentlichen Raum, was in zwei Bücher zur Kunst am Bau der Stadt Wien mündete.
Bei der Internationalen Aktionsgemeinschaft für bildende Künstlerinnen ist sie Archivarin. In dem kleinen Raum im WUK gibt es Artikel und Protokolle. Keine Nachlassverwaltung.
Unermüdliche Feldforschung.
«Ingeborg Strobl hatte einen großen Humor, konnte spitzbübisch sein», erzählt Alexandra Schlag, die die Künstlerin bis zu ihrem Lebensende begleitete. Bis kurz vor ihrem Tod arbeitete Strobl «unermüdlich» noch vom Krankenhaus aus weiter. Jetzt, genau vier Jahre nach ihrem Tod, war ihre große Ausstellung Gelebt im Wiener mumok zu sehen. Ein Einblick in ein 40-jähriges Kunstschaffen. Schlag sieht sich als freundschaftlich Verbundene ihrer ehemaligen Professorin an der Universität für Angewandte Kunst: «Sie hielt sich immer auf dem Laufenden, was die aktuelle Kunstszene betraf. Wir machten gemeinsam Galerien-Rundgänge, aber betrieben auch sozial-kulturelle Feldforschung auf vielen Reisen in vom Tourismus unerschlossene Länder. Ingeborg ließ ihre Feldforschung immer wieder in ihre Arbeit einfließen.» Schlag gefiel besonders an Strobl, dass sie «ihren Prinzipien stets treu blieb. Ingeborg ließ das Leben einsickern in ihre Kunst, sie war eine universelle Künstlerin, unbestechlich, kritisch und schlau. Für meine künstlerische Tätigkeit war Ingeborg Strobl stets ein Motor, den ich nach ihrem Tod sehr vermisse.»