Bildung ist nicht allestun & lassen

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Deutschlernen sei der Schlussel zur Integration, heißt es. Die Sache ist aber komplizierter, sonst mussten die Jugendlichen in den Pariser Vorstädten bestens integriert sein, sprechen sie doch tadellos Französisch. Es fehlt an Jobs, Aufstiegsmöglichkeiten, Wohnraum, guten Schulen. Ein Schlussel braucht immer auch ein Schloss.Die einen investieren nur in Schlussel, die anderen nur in Schlösser, und dann wundern sich alle, dass die Turen nicht aufgehen. Alle Untersuchungen zeigen: Fur Migrant_innen ist die Verwertung der Bildung meist das größere Problem, als es die Erlangung der Bildung selbst schon war. Wenn man nachrechnet, dann sieht man, dass vom gesamten sozialen Unterschied zwischen der Bevölkerung mit in Drittstaaten absolvierter Bildung und der Bevölkerung mit im Inland geborenen Eltern nur ungefähr ein Drittel auf den Bildungsunterschied entfällt, rund zwei Drittel aber auf ungleiche

Chancen am Arbeitsmarkt bei gleicher Bildung. Bei der «zweiten Generation» ist der soziale Unterschied nur mehr weniger als halb so groß, verteilt sich aber gleich. Auch da gilt, ein Drittel ist Bildungsunterschied, zwei Drittel sind ungleiche Chancen am Arbeitsmarkt bei gleicher Bildung. Was Integration heißt, ist ein Machtspiel, ein Positionsspiel. Ein guter Indikator dafur, auf welcher Position in der Gesellschaft ich mich befinde, ist die Arbeitssuche. Welcher Personengruppe wird bei Bewerbungsschreiben bzw. -gesprächen der Vorrang vor einer anderen gegeben: Geschlecht, bestimmtes Alter, Aussehen, Auftreten, Akzent. Das entscheidet. Wir sind es gewohnt, andere sozial einzuschätzen: Wie reden sie, wie sind sie angezogen, was lesen sie, welche Fernsehsendungen sehen sie, was essen sie, welche Musik hören sie, welches Auto fahren sie? «Bildung hört man mehr, als man sie sieht. Den materiellen Besitzstand sieht man dagegen eher, als dass man ihn hört», bringt es der Sozialwissenschaftler August Gächter auf den Punkt. Bei Bewerbungsgesprächen

regiert die «gehörte Bildung» mit Namen und Akzent, dann erst die wirkliche Qualifikation. Versuche mit unterschiedlichen Absendernamen bei Bewerbungsbriefen haben die Kriterien fur Einladung oder Desinteresse gezeigt: Michael ja, Mustafa

nein. In den letzten Jahren verzeichnete Österreich eine höher qualifizierte Zuwanderung, die kaum wahrgenommen wird. Drittstaatenangehörige mussten ihrer  Ausbildung entsprechend eigentlich um dreißig, Eingeburgerte um zwanzig Prozent mehr verdienen. Sie werden weit unter ihrer Qualifikation beschäftigt. Wenn also die wichtige Funktion der Bildung betont wird, dann muss auch ihre reale Verwertung auf dem Arbeitsmarkt Thema sein. Wenn mehr qualifizierte Zuwanderung gefordert wird, dann muss man zumindest darauf hinweisen, dass es diese seit zwanzig Jahren gibt, sie aber nicht zur Kenntnis genommen wird. Wenn davon gesprochen wird, dass wir ab

jetzt nur mehr Hochqualifizierte als Zuwander_innen brauchen, dann muss auf den Widerspruch der großen Nachfrage im Niedriglohnsektor verwiesen werden. Und der Druck zur Sprache kommen, der mittlerweile Bessergebildete dazu zwingt, im untersten Sektor zu arbeiten.