Bildung kann viel, aber nicht allestun & lassen

Finnland hat Spitzenwerte beim Schulerfolg sozial benachteiligter Kindern, aber trotzdem eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Die beste Schule nützt nichts, wenn die Übergänge zum Arbeitsmarkt mangelhaft sind oder Jobs fehlen. Bildung führt nicht automatisch zu sozialem Aufstieg.Wo Wissen zum ausschlaggebenden Faktor im Wettbewerb wird – Stichwort: Wissensgesellschaft –, verschärfen sich soziale Ungleichheiten. Bildung als individuelles Hochrüstungstool im gegenseitigen Wettkampf vergrößert die soziale Spaltung. Und es geht immer auch darum, ob Bildung am Arbeitsmarkt «verwertbar» ist. Tausende müssen in Österreich weit unter ihrer Qualifikation arbeiten. Bildung kann viel, aber nicht alles leisten.

Deutschlernen sei der Schlüssel zur Integration, heißt es beispielsweise. Die Sache ist aber komplizierter, sonst müssten die Jugendlichen in den Pariser Vorstädten bestens integriert sein, sprechen sie doch tadellos Französisch. Es fehlt an Jobs, Aufstiegsmöglichkeiten, Wohnraum, unterstützenden Netzwerken. Ein Schlüssel braucht immer auch ein Schloss. Die einen investieren nur in Schlüssel, die anderen nur in Schlösser, und dann wundern sich alle, dass die Türen nicht aufgehen. Alle Untersuchungen zeigen: Für Migrant_innen ist die Verwertung der Bildung ein größeres Problem als die Bildung selbst. Wenn man nachrechnet, dann sieht man, dass vom gesamten sozialen Unterschied zwischen der Bevölkerung mit in Drittstaaten absolvierter Bildung und der Bevölkerung mit im Inland geborenen Eltern nur ungefähr ein Drittel auf den Bildungsunterschied entfällt, rund zwei Drittel aber auf ungleiche Chancen am Arbeitsmarkt bei gleicher Bildung.

Welcher Personengruppe wird bei Bewerbungen der Vorrang vor einer anderen gegeben? Geschlecht, bestimmtes Alter, Aussehen, Auftreten, Akzent. Das entscheidet. Die großen und die kleinen, feinen Unterschiede werden deutlich. Wir sind es gewohnt, andere sozial einzuschätzen: Wie reden sie, wie sind sie angezogen, was lesen sie, welche Fernsehsendungen sehen sie, was essen sie, welche Musik hören sie, welches Auto fahren sie? «Bildung hört man mehr, als man sie sieht. Den materiellen Besitzstand sieht man dagegen eher, als dass man ihn hört», bringt es der Sozialwissenschaftler August Gächter auf den Punkt. Bei Bewerbungsgesprächen regiert die «gehörte Bildung» mit Namen und Akzent, dann erst die wirkliche Qualifikation. Versuche mit unterschiedlichen Absendernamen bei Bewerbungsbriefen haben die Kriterien für Einladung oder Desinteresse gezeigt: Michael ja, Mustafa nein.

Insgesamt ist die Nachfrage nach gering qualifizierten Tätigkeiten größer als die Anzahl an Menschen mit geringen Qualifikationen, die zur Verfügung stehen. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Niedriglohnsektor hat eine mittlere Ausbildung. Es gibt einen Überschuss an mittleren Ausbildungen und zu wenige Geringqualifizierte für die zahlreichen »unteren« Jobs. Wenn davon gesprochen wird, dass Bildung die soziale Frage löst, dann muss auf den Widerspruch der großen Nachfrage im Niedriglohnsektor verwiesen werden. Und der Druck zur Sprache kommen, der mittlerweile Bessergebildete dazu zwingt, im untersten Sektor zu arbeiten.