Bildungshafen auf stürmischer Seetun & lassen

Das «Projekt Schule für alle» will das Recht auf Bildung in Praxis umsetzen

PROSA ist eigentlich eine ganz normale Schule: Jugendliche und junge Erwachsene bereiten sich hier auf den Pflichtschulabschluss vor. Und es ist eine ganz besondere Schule: eine Schule «für alle», beziehungsweise genau für jene, die anderswo keinen Ausbildungsplatz bekommen. Manche Schüler_innen sind im Asylverfahren, andere bangen vor ihrer Abschiebung. Und alle haben das Bedürfnis, sich weiterzubilden.«Ich will lernen.» «Ich will arbeiten.» «Ich will eine Lehre machen.» Das sagen junge Leute in die Kamera: «Deswegen bin ich bei PROSA – Projekt Schule für alle.» Das selbstgemachte Werbevideo auf der Website des Schulprojekts wirkt wie von einer beliebigen Bildungseinrichtung. Bildungshungrige Menschen haben einen Weg gefunden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Aber so einfach ist es nicht: Es müsste nämlich heißen: «Ich will lernen. Ich will arbeiten. Ich will eine Lehre machen. Deswegen muss ich zu PROSA gehen. Weil es sonst kaum ein Angebot gibt.»

Wer nicht arbeiten darf, darf auch nicht lernen …

Sina Farahmandnia, Projektleiter und Mitbegründer von PROSA, beschreibt die Situation am Bildungsmarkt so: «Es gäbe ohnehin genug Ausbildungsplätze. Aber dadurch dass die Jugendlichen wegen ihres Status als Asylwerber_innen nicht dem Arbeitsmarkt «zur Verfügung stehen» – also nicht arbeiten gehen dürfen -, gelten sie auch nicht als «förderwürdig». Nachdem die meisten Ausbildungsplätze vom AMS gefördert werden, werden die Jugendlichen nicht aufgenommen. Und das trägt zur Illegalisierung von Leuten bei, die nichts anderes wollen, als eine Grundbildung zu bekommen, um hier ordentlich leben zu können.» PROSA ist angetreten, dagegen etwas zu tun.

Begonnen hat alles mit Bekanntschaften am Klammgruberhof, einer Unterkunft für Asylwerber_innen rund 65 Kilometer westlich von Wien in der Einöde. Über eine Deutschlehrerin wurden Sina Farahmandnia und seine Kolleg_innen auf die Jugendlichen aufmerksam, denen der Bildungszugang finanziell, geographisch und rechtlich verwehrt wurde. Die Gruppe begann ohne Organisationsstrukturen, einzelne junge Leute aus dem Klammgruberhof zu unterstützen, ihren Umzug in die Umgebung von Wien zu ermöglichen und Plätze in Pflichtschulabschlusskursen zu organisieren. «Und dann haben wir überlegt, dass es mit den richtigen Leuten möglich sein muss, selbst so einen Pflichtschulabschlusskurs zu organisieren.» Seit Herbst 2012 gibt es deshalb PROSA.

PROSA statt Pisa

Eine, die hier lernt, ist Laila. Sie lebt seit sieben Jahren in Österreich – das ist umso länger, wenn es fast ein Drittel eines Lebens ausmacht. Das erste Drittel verbrachte Laila in Armenien, das zweite in Russland. In Wien ist sie schließlich angekommen – nicht nur physisch, sondern auch perspektivisch. Sie möchte die Schule abschließen «und am liebsten Psychologie studieren». Bis dahin ist es noch ein weiter Weg: «Ich lebe jeden Tag in der Angst, dass ich nicht einmal mehr die Prüfungen machen kann.» Von Behördenseiten wird ihr und ihrem Mann die Abschiebung angedroht. Die Schwiegereltern konnten ihren Aufenthalt legalisieren. Laila, zweckoptimistisch, zitiert Bloch: «Die Hoffnung stirbt zuletzt.»

Insgesamt sind es 34 Schüler_innen, die PROSA im ersten Schuljahr besuchen. Dabei gäbe es eine Menge mehr, die Interesse und Bedarf hätten. «Wir haben im September Briefe ausgeschickt, dass man sich zum Aufnahmegespräch anmelden kann, und es haben sich innerhalb von einer Woche sechzig Leute gemeldet. Seit Oktober melden sich jede Woche drei bis zehn», erzählt Sina. PROSA will nicht nur die verwehrte Ausbildung ermöglichen, sondern auch Schule neu denken. Bildung braucht keinen Leistungsdruck, sondern Zeit und Geduld. «Manche Leute sprechen nahezu perfekt Deutsch, aber waren aufgrund ihrer Biographie noch nie in einer Schule. Natürlich gibt es Frustrationen, wenn eine Schülerin beispielsweise merkt, dass sie in Deutsch einen relativ aufwendigen Text schreiben kann, aber dann halt bei 5 mal 7 oder 8 mal 3 scheitert. Es geht darum, den Jugendlichen vor Augen zu führen, dass sie Zeit haben, und dass sie auch das Recht haben, diese Zeit in Anspruch zu nehmen.»

Home is where your heart is safe

Neben Schulbildung stellt PROSA auch sozialarbeiterische Unterstützung zur Verfügung. Ulla Pavlicek und Marlene Panzenböck sind täglich für die Schüler_innen zu sprechen. Seit PROSA feste Räumlichkeiten im Gymnasium Rahlgasse beziehen konnte, haben die beiden auch einen eigenen Raum. «Es geht um Asylrecht, um Ausbildung, um finanzielle Ansprüche, um Perspektiven», fasst Marlene ihr Arbeitsgebiet zusammen. Wie funktionieren Perspektivengespräche in einer Situation, in der die Perspektiven für die Schüler_innen wenig betörend sind? «Wir hören zu, was die Sorgen der Person sind, was sie gerne machen würde, und schauen dann, in welchem Ausmaß das möglich ist. Es gibt immer wieder Möglichkeitslöcher, und die versuchen wir zu finden», beschreibt es Ulla. Schließlich geht es auch in der scheinbaren Perspektivlosigkeit manchmal nur um einen kleinen Schritt, um wieder weiterzukommen: eine Praktikumsstelle, eine Schlafmöglichkeit, ein ermutigendes Gespräch, wenn der negative Asylbescheid kommt. «Home is where your heart is safe», steht auf der Website. Und ein bisschen sicheres Zuhause ist PROSA, dieser Bildungshafen für junge Flüchtlinge.

Fotos: Carolina Frank

PROSA online: http://vielmehr.at

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