«Bin ich einfach nur Brigitte»vorstadt

Lokalmatadorin

Hat unser Kind Schmerzen? Wird es die Geburt überleben? Wenn ja, wie lange? Wie wird es aussehen? Wie können wir es begrüßen? Und am Ende die traurigste aller Fragen: Wie können wir uns von unserem Kind verabschieden?
Brigitte Falli kennt all diese bangen Fragen. Die diplomierte Kinderkranken- und Säuglingsschwester leitet im St. Josef Krankenhaus in der Auhofstraße 189 alle Stationen, die für Geburten und Frühgeburten zuständig sind. Und sie gehört dem vierköpfigen Kernteam der perinatalen Palliativbetreuung an.
In dieser Funktion ist sie eine ganz zentrale Bezugsperson für Menschen, die sich auf den endgültigen Verlust ihres Kindes vorbereiten müssen, bevor dieses noch geboren wurde.

Erklärend.

«Laut ärztlicher Diagnose», erklärt ihnen Brigitte Falli bereits beim ersten Zusammentreffen ohne Wenn und Aber, «wird Ihr Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, während oder bald nach der Geburt sterben.»
Dieses spezielle Angebot der Sterbebegleitung für werdende Eltern und deren ungeborene Kinder gibt es seit gut einem Jahr. Es ist einzigartig in Wien. Als Vorbild dient dem gemeinnützigen Ordensspital eine Abteilung der Berliner Charité.
«Bisher haben wir sechs Familien betreut», berichtet Brigitte Falli, die seit mehr als zwanzig Jahren im Krankenhaus arbeitet und zehn Jahre davon am AKH mit Eltern in psychischen Extremsituationen zu tun hatte.
Das übergeordnete Ziel in ihrem Beruf beschreibt sie so: «Egal wo und wie Kinder zur Welt kommen, gesund oder krank, wir müssen sie pflegerisch bestmöglich begleiten.» Ihre Arbeit beendet sieht sie nicht nach dem Tod eines Säuglings, ganz im Gegenteil: «Mit einigen Eltern bin ich bis heute in Kontakt.»
Gerne erinnert sich die diplomierte Pflegerin daran: «Bei der Abschiedsfeier für Charlotte ließ die Familie bunte Luftballons in den Himmel steigen. In der Trauerrede wurde ich namentlich erwähnt.»

Erfreulich.

In Anbetracht der psychischen Belastung, die ihr Beruf mit sich bringt («Man nimmt die Ängste der betroffenen Familien oft mit nach Hause»), hilft so eine Würdigung über manche schwierige Stunde hinweg.
In den oft sehr intimen Gesprächen mit den Eltern bewegt sie sich als Pflegekraft zwangsläufig zwischen dem in der Ausbildung Gelernten und der persönlichen Empathie, erläutert Brigitte Falli.
Deshalb bestärkt sie auch jüngere Kolleg_innen: «Du kannst nicht immer ganz abgeklärt sein. Wenn auch mir plötzlich die Tränen über die Wangen laufen, dann bin ich einfach nur Brigitte.»
Ihr Engagement für Andere wurzelt in ihrer Kindheit: «Mein Vater war viele Jahre beim Roten Kreuz hauptberuflich tätig, die Mutter ebenso lang Pflegeassistentin.» Dass sie in einem Spital arbeiten möchte, wurde ihr mit 16 klar: «Da habe ich mich mit meiner Magersucht selbst ins AKH eingeliefert, im letzten Moment, wie mir mein behandelnder Arzt später verriet.»
Damals schöpfte sie jene lebensbejahende Kraft, die ihr auch heute hilft: «Die waren im AKH wie eine Familie zu mir. Nach drei Wochen habe ich geweint, als sie mich entlassen haben.»
In einem Dankesschreiben hält die Mutter eines verstorbenen Babys fest: «In den schwersten Wochen, Tagen und Stunden haben Sie nicht eine Minute gezögert, meinem Partner und mir zuzuhören, uns aufzufangen, Hilfe zu leisten und etwas Unbeschreibliches möglich zu machen. Nämlich aus einer so traurigen Situation, wie sein Kind tot zur Welt bringen zu müssen, ein Aufgefangen-Werden zu ermöglichen, das auch schöne Erinnerungen an dieses Ereignis gestattet.»

Erwünscht.

In der täglichen Arbeit weiß Brigitte Falli vieles in ihrer eigenen Hand: «Uns ist es immer wichtig, auf die Wünsche der Eltern, so gut es geht, Rücksicht zu nehmen und ihnen einen würdevollen Abschied zu ermöglichen.» Oft genug müssen unerfreuliche Botschaften überbracht werden. Die Pflegerin: «Die Eltern klammern sich naturgemäß an alle Hoffnungen, die sich bieten.»
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch irgendwann stirbt auch sie. Es kommt vor, dass Geburtstermine – so lange das medizinisch vertretbar ist – hinausgezögert werden: «Im Wissen, dass das Kind bis zur Geburt noch am Leben ist.»
Keinen Einfluss hat die Krankenhausmitarbeiterin auf die Politik. Daher bleibt ihr nur, einen persönlichen Wunsch zu äußern: «Wir benötigen deutlich mehr Sensibilität für die betroffenen Kinder, und dazu mehr Geld. Es darf nicht sein, dass ihre Eltern auch noch von einer Chefarztbewilligung zur nächsten rennen müssen.»
Und wenn sie sich etwas wünschen dürfte? «Dann wäre es ein Hospiz für Kinder, das nicht auf Spenden angewiesen ist.»