Bissig bis strahlendtun & lassen

Von Kindern, Nachbar_innen und Gemeinschaftsflächen

Entdeckungsreisen. Kinder sind neugierig – und rufen damit unterschiedliche Reaktionen hervor. Angelika Burgsteiner (Text) hat zwischen Gast- und Nachbarsgärten einiges erlebt.

Illustraton: Silke Müller

Seit ich Mutter bin, gerate ich in Situationen, die mir als Kinderlose unbekannt waren. Ich betrete im Gefolge einer Grenzforscherin häufig fremdes Terrain und nutze gemeinschaftliche Flächen anders als früher. Die Erfahrungen dabei sind ebenso herzerwärmend wie niederschmetternd.

So erst kürzlich beim Besuch einer punschkrapferlrosa Konditorei in Hietzing. Die Nachbarskatze streift durch den Gastgarten und erweckt das Interesse meiner Tochter. Ihr nach! Fasziniert betrachtet sie das Tier, das wie eine Katze der Pharaonen aussieht. Für die Ägypter_innen war sie ein göttliches Wesen, und auch in ihrer heutigen Verkörperung lässt sie sich vom Ausdruck der kindlichen Freude nicht ihrer Erhabenheit berauben. Die Besitzerin allerdings hat ihre Gemütsruhe beim Garteln noch nicht wiedergefunden und schnauzt uns aus ihrem Leid heraus an. Klar, die fünf Meter Wegerl vom Gastgarten zu ihr rüber sind sicher privat, also Rückzug. Das Kind ist verschreckt und vor den Kopf gestoßen. Solche Ereignisse beschäftigen es über Tage und werden auch nach vielen Monaten noch erinnert. Wie vorteilhaft für den Grantscherbn nebenan, dass sich im Café-Garten niemand an der Katze stört. Oder g’hört das Viecherl vielleicht dorthin?

Wunderbare Welt.

Und schon wundere ich mich, dass ich mich immer noch über solche Leute wundern kann. Habe ich doch in der eigenen Familie welche, die Tiere den Menschen vorziehen – und zwar massiv und kompromisslos. Als «Phänomen des kulturellen Verfalls» hat der aktuelle Papst die Überhöhung der Tiere gegenüber den Kindern bezeichnet. «Die emotionale Beziehung zu Tieren ist leichter zu handhaben, eher programmierbar. Ein Kind eine komplexe Größe ist.» Seitenhieb Ende.

Jedenfalls gibt es auch das andere: die unvoreingenommene, helle Freude beim Anblick eines kleinen Menschen und seines Forschungsdrangs. Das strahlende Hallo, das uns aus weiter Ferne zuflog, kurz nachdem wir umgezogen waren, werde ich nie vergessen. Ich dachte erst an eine Verwechslung, aber nein, die ältere Dame verfügt schlicht über wohlgeöffnete Augen, für die alles in der Welt wunderbar ist. Allen voran die Kinder. Seit unserem Umzug öffnet meine Tochter ohnehin Tür nach Tür. Nascht an fremden Früchten und bekommt prompt uneingeschränkte Pflückerlaubnis, plantscht in Nachbars Garten und initiiert fröhlich begleitete Spaziergänge und Heurigenbesuche für die älteren Damen und Herren.

Zu sehen, wie sie in positive Resonanz geht, macht mich glücklich und versöhnt mich – ein wenig zumindest – mit den bitteren Erfahrungen der Anfangsmonate, als Frau Bissgur uns wiederholt aus der großen Grünfläche unserer damaligen Wohnanlage vertreiben wollte. Als wär’s englischer Rasen in Privatbesitz. Was denken sich die Leut’, wo Kinder an Blüten riechen und Blättern reiben, wie sie die Natur be-greifen sollen? Wie kann man überhaupt schrille Schreie ausstoßen, während ein Baby die Fingerchen nach Knospen ausstreckt oder später die ersten Schritte über eine Gänseblümchen-Wiese macht? Gänseblümchen – die kleinen Sonnen – sind nicht umsonst die liebsten Blumen der Kinder, denn sie nähren das innere Kind. Nach alter Kloster-Tradition werden daraus übrigens auch Elixiere hergestellt – für Erwachsene wohlgemerkt. Um jene zu stärken, die nach außen überheblich, in Wahrheit aber schwach und unsicher sind, die vergessen haben, dass alles Große sich im Kleinen spiegelt und dort beginnt.

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