„Bitte, danke, alles Gute!“Artistin

Vier Statements zur Arbeitssituation von PendlerbettlerInnen in Wien

Bettelpendler.jpgIm Visier von Politik, Medien und Polizei sind seit Monaten die Menschen aus der Slowakei, Rumänien, Bulgarien oder anderen südosteuropäischen Ländern, die es von unvorstellbarer Armut angetrieben nach Wien zieht, um hier die Lebensgrundlage ihrer Person, meist ihrer gesamten Familie, zu erbetteln. Da sie in der Regel nicht auf Dauer in Österreich bleiben wollen, sondern je nach Herkunftsland im Wochenrhythmus oder für einige Monate hierher kommen, werden sie als PendlerbettlerInnen bezeichnet. Der Augustin befragte vier Frauen mit unterschiedlichem, aber einschlägigem Zugang zu diesem Phänomen, das mit dem Zusammenbruch der Ost-Ökonomien in der aktuellen Krise vollends unübersichtlich wird.

Ulli Gladik ist Filmemacherin. Ihr aktueller Film Natasha ist das einfühlsame Portrait über eine bulgarische Bettlerin (Nähere Informationen siehe Kasten). Zwei Jahre lang begleitete U. G. Natasha bei ihrem Bettleralltag in Graz und ihrem Familienleben in Bulgarien. Nach den Beweggründen befragt, meint U. G.: Bettlerinnen seien die Unberührbaren unserer Gesellschaft. Man will sie nicht sehen, weicht aus und hat alle möglichen Vorurteile. Mit dem Film wollte sie einen Menschen aus dieser Anonymität herausholen, also quasi dessen Berührbarkeit vermitteln. Versteht man den sozialen und ökonomischen Hintergrund und lernt jemanden persönlich kennen, kann, so die Filmemacherin, Rassismus oder Diskriminierung gar nicht mehr funktionieren.

U. G.s Botschaft ist essenziell: Betteln im Westen ist eine Überlebensfrage. Natasha ist es gelungen, mittels ihrer Arbeit als Bettlerin die ganze Familie vor der Obdachlosigkeit zu bewahren und ihr ein gewisses normales Leben zu garantieren. Mit der Obdachlosigkeit, meint die Filmemacherin, fangen die wirklichen Probleme nämlich erst an. Dann müsste die Familie in Abbruchwohnhäuser ziehen, wie viele Roma in Osteuropa, in Baracken oder Zelte. Das habe sie während ihres einjährigen Studienaufenthaltes in Bulgarien alles gesehen. Dann könnten die Kinder nicht mehr in die Schule gehen, und es gäbe auch nicht mehr die Möglichkeit, vorübergehend Arbeit zu finden. Die Folge sei ein massiver Abstieg. „Wenn die Leute einmal in so einer schlechter Lage sind, dann greifen auch Förderprogramme nicht mehr.“

Der Film Natasha setzt ein klares Zeichen für soziale Solidarität und die Freiheit zu betteln. Gerade diese Signale vermisst die Filmemacherin von Seiten der Politik. In der Wiener Hausordnung Bürgermeister Häupls findet ihres Erachtens eine generelle Kriminalisierung bettelnder Menschen statt. Bürger und Bürgerinnen werden aufgefordert, BettlerInnen zu denunzieren. Für U. G. ein altbekanntes Muster, um von den wahren Problemen etwa der weltweiten Finanzkrise und den hohen Arbeitslosenzahlen abzulenken. Jene, die an der untersten Stufe der Gesellschaft stehen, werden zu Sündenböcken stilisiert. Da viele der bettelnden Menschen der Volksgruppe der Roma angehören, eine nicht nur absurde, sondern auch äußert gefährliche Wiener Stadtpolitik, da sie einem aufkommenden europaweiten Antiziganismus Vorschub leiste.

Die Gleichschaltung der JournalistInnen

Die generelle Kriminalisierung bettelnder Menschen durch Polizei und Politik ist auch der Journalistin Eva Maria Bachinger bei der Recherche zu ihrem Artikel Unter Bettlern aufgefallen. Der Artikel erschien in der Zeitschrift Moment Gazette für Menschenrechte und wurde mit dem nationalen Roma-Sonderpreis 2008 der EU-Kommission ausgezeichnet.

Die Schuld der Medien sei dabei nicht zu unterschätzen, da fast alle JournalistInnen beim Thema Betteln gleichgeschaltet seien. Für sie war das der Ausgangspunkt, sich mit der Thematik genauer zu befassen und die Betroffenen selbst zu interviewen, genau das habe sie nämlich bei den gegenwärtigen Medienberichten vermisst. E. M. B. hat ambivalente Gefühle dieser Thematik gegenüber. Sie könne sich Ausbeutung in Einzelfällen vorstellen, in ihren Recherchen sei sie aber nicht darauf gestoßen. Außerdem würde die Polizei sowieso die Falschen treffen. Ich hab mir halt immer gedacht, es wird auch ein Teil der Realität sein, es wird natürlich unter diesen Bettlern Leute geben, die das Geld wo abliefern müssen. Aber ich hab mich dann immer gefragt, warum werden die kriminalisiert und nicht die Hintermänner. Warum so ein negatives Urteil über diese Leute, die auf der Straße sitzen und das Geld so schwierig erbetteln?“

E. M. B. hat zu Bettlerfamilien aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Pitesi/Rumänien Kontakt aufgenommen und diese in ihrer Wohnung besucht. Es ist eine andere Welt, mitten im reichen Wien, schildert die Journalisten, wenn man das abbruchreife Bassenahaus und die Substandardwohnung im Erdgeschoss betritt. In dem Haus scheint es sonst keine anderen Mieter mehr zu geben. Auf 45 Quadratmetern leben zehn Erwachsene und drei Kinder. Während BettlerInnen aus der Slowakei, die in der Regel nur für wenige Tage nach Wien pendeln, oft in Abbruchhäusern oder einfach im Freien übernachten, mieten Bettlerfamilien aus Rumänien oder Bulgarien Schlafplätze an. 150 Euro für eine Matratze, Kinder zahlen nichts. Meldezettel werden im Schnitt um 50 Euro vergeben. Wo Armut herrscht, gibt es auch Ausbeutung. Das Betteln betrachten die Frauen als ihre, ganz selbstverständliche, Arbeit. Die mitgereisten Männer versuchen Schwarzarbeit zu finden, gerade am Bau nicht ganz aussichtslos. Wenn sie keine Arbeit finden, schauen die Männer bei ihren bettelnden weiblichen Verwandten immer wieder vorbei und nehmen das erbettelte Geld in Verwahrung, denn die Polizei glaubt das Recht zu haben, dieses zu konfiszieren. Der Mythos, dass die Frauen ihr Geld an Hintermänner abliefern müssten, lasse sich ganz einfach durch Befragung der Betroffenen falsifizieren.

Ein Punkt, den sie als frühere Sozialarbeiterin im Umgang mit BettlerInnen besonders kritisiert, ist, dass sich eigentlich niemand um diese kümmert. Die einzigen, meint sie, mit denen diese Menschen hier in Österreich in Kontakt kommen, sind die Passanten, die Polizisten und die Leute vom Jugendamt. Es gibt eigentlich kein Streetwork, also Sozialarbeiter, die durch die Straßen ziehen und versuchen, mit den Menschen zu kommunizieren und sie vielleicht zu fragen, was sie bräuchten, wie man ihnen helfen könne. Selbst auf der letzten Armutskonferenz 2008 musste man sich eingestehen, nicht viel über BettlerInnen aus Südosteuropa zu wissen. Die Gründung der BettelLobby Wien sei ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Was aufdringlich ist, bestimmt der Herr Inspektor

Marion Thuswald ist Mitarbeiterin der BettelLobby Wien. Die Sozialpädagogin und Bildungswissenschaftlerin beschäftigte sich in ihrer Diplomarbeit mit dem Arbeitsalltag von Bettlerinnen in Wien und führte Interviews mit Dutzenden der Frauen („Betteln als Beruf? Wissensaneignung und Kompetenzerwerb von Bettlerinnen in Wien.“ Universität Wien 2008).

Die Bettlerinnenszene meint M. T. sei eine sehr dynamische. Die Rahmenbedingungen wechseln schnell, und ein Ändern der Taktik von Seiten der Bettlerinnen sei häufig notwendig. Ein Beispiel sei das seit Juni 2008 bestehende Verbot des Bettelns mit Kindern bzw. das Bettelverbot für Kinder. Nahmen die Frauen bis dahin ihre Kinder zur Arbeit mit, so müssen sie seitdem andere Möglichkeiten der Kinderbetreuung finden. M. T. verweist auch auf die zunehmende Praxis der Polizei, die organisiertes (dazu reicht Augenkontakt zwischen Bettlerinnen) und aufdringliches (mit ausgestreckten Händen sitzen und Bitte sagen) Betteln mittlerweile so weit fasst, dass eigentlich jede Form des Bettelns bestraft werden könne.

Die Bildungswissenschaftlerin kritisiert, dass die Strategien von Polizei, herrschender Politik und der dominanten Medien die Frauen genau an ihren Stärken angreifen. Sie kriminalisieren deren soziale Beziehungen und Kontakte („organisierte Bettelei“) und sprechen ihnen die moralische Legitimität („Missbrauch der Kinder „) ab. Die Argumentationen seien zum Teil skurril, die Maßnahmen unverhätlnismäßig hart und teilweise rechtswidrig. Die Eintragung Bettlerin im Reisepass oder § 2 WLSG (steht für Wiener Landessicherheitsgesetz) ist eindeutig rechtswidrig. Der derzeitige Umgang mit BettlerInnen folge dem Konzept der sauberen Stadt. Der öffentliche Raum, so M. T., gehöre aber allen, und urbanes Leben sei nur möglich als bewusst aufrecht erhaltene Spannung zwischen physischer Nähe und sozialer Distanz.

Botschafterin und Beobachterin ihres Volks

Kveta Schubert gibt in ihren Fotoausstellungen, Filmen und Workshops, vor allem mit Kindern und Jugendlichen Einblick in die Kultur der Roma. Ihr jüngstes Projekt heißt „Straßenkunst Kunst zum Überleben“, in dem die Themen Straßenmusizieren und Betteln angesprochen werden. Betteln habe für sie eine ganz große Tradition, und das weltweit.

Das Anliegen der Künstlerin ist es aufzuzeigen, zu sensibilisieren und zu vermitteln. Wichtig ist ihr bei der Aufarbeitung das In-die-Tiefe-Gehen, das Brechen von Tabus und das Verändern von Sichtweisen, aber ohne Hass oder Aggressionen auszulösen. Und wer könnte das besser als sie. „Ich bin eine Romni, meine Kultur ist die Romakultur“, sagt sie stolz. Die Geschichte ihres Volkes sei viele Jahrhunderte alt, aber die politische Geschichte habe erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. eingesetzt, als sich Ethnologen und Sprachwissenschafter mit den Roma und Sinti zu beschäftigen begannen. Das Wissen um die Geschichte ihres Volkes sei notwendig, um die Menschen, die hier in Wien betteln, zu verstehen. Die Vergangenheit, meint sie, habe den Roma oft keine Chancen gegeben, die meisten seien ungebildet. Deswegen bekämen sie schlechte oder überhaupt keine Arbeit und müssten betteln gehen. Erst wer eine Romasiedlung gesehen hat, wisse, warum es viele aus der Siedlung nach Wien treibt.

Für K. Sch. stellt das Näherbringen der Romakultur nur den Beginn eines gegenseitigen Kennenlernens und Respektierens unterschiedlicher Kulturen dar. Sie, die einem Volk angehört, dass Jahrhunderte lang Diskriminierungen und Pogrome erfahren hat, strahlt eine faszinierende, warmherzige Offenheit aus. „Ich akzeptiere jede Kultur, jede Religion und jede Tradition.“ Davon könnten sich viele eine extradicke Scheibe abschneiden.