Bittersüße Wahrheitentun & lassen

Zuckerkartell vs. Augustin

Angesichts der Pensionierung von Generalanwalt Christian Konrad wird dem Raiffeisenkonzern in der Öffentlichkeit größere Aufmerksamkeit geschenkt. Am 4. Mai hat der Sender Ö1 im Wirtschaftsmagazin «Saldo» einen Beitrag von Paul Schiefer ausgestrahlt, in dem die Autoren der einschlägigen Augustin-Serie zu Wort kamen. Eine Äußerung der Journalisten zum Zuckerpreisdiktat hat die Agrana AG (Raiffeisentochter mit Zuckermonopol in Österreich) bestritten. Urteilen Sie selbst!In der Ö1-Sendung hieß es: «Nicht nur bei Milch, sondern auch im Bereich Zucker vermuten die Augustin-Reporter, dass Raiffeisen seine marktbeherrschende Stellung ausnützt. Über die Agrana AG kontrolliert Raiffeisen den österreichischen Zuckermarkt. Im Vorjahr sei der Preis um 20 Prozent erhöht worden.»

Weiter ging es im O-Ton der Augustin-Mitarbeiter: «Die Preiserhöhung im vergangenen Jahr war durch nichts gerechtfertigt.» Der EU-Zuckermarkt sei vom Weltmarkt total abgeschottet.

Als Gegenschuss montierte Schiefer folgende Passage in den Beitrag: «Die Agrana selbst sagt auf Anfrage, die gestiegenen Zuckerpreise hätten sehr wohl mit dem Weltmarkt zu tun. Durch die Zuckermarktreform werde in Europa weniger Zucker hergestellt, als verbraucht wird. Der Rest müsse importiert werden. Und das habe zu höheren Preisen geführt.»

Auf einen Nenner gebracht: Ohnehin alles paletti! Folgt man dieser Logik, lügt der Augustin. Oder doch nicht? Die Reform des EU-Zuckermarkts, die im Juli 2006 in Kraft trat, bis 2009/2010 voll wirksam wurde und bis Ende 2015 gilt, hat dazu geführt, dass rund 15 Prozent des Zuckerbedarfs in der Europäischen Gemeinschaft durch Importe gedeckt werden müssen.

Züge der Reform

Ob dieser geringe Anteil des Weltmarktzuckers Einfluss auf die Preisgestaltung in den EU-Staaten hat, bleibe dahingestellt. Franz Fischler ist in seiner Zeit als Agrarkommissar davon ausgegangen, dass der gestützte EU-Zucker zwei- bis dreimal so teuer wie Rohrzucker ist. Obwohl der Weltmarktpreis sich seither an das EU-Niveau angenähert hat, ist das noch lange kein Grund, die Verbraucher_innenpreise für Zucker in die Höhe zu schnalzen, wie das per 1. Oktober 2011 hierzulande passiert ist. Zumal nach Darstellung von «Brot für die Welt» von der EU «eine Senkung der Zuckerpreise in vier Schritten um insgesamt 36 % von 631 Euro je Tonne auf 404 im Jahr 2009/10» beschlossen wurde. Sie ist allerdings bei den Endverbraucher_innen nie angekommen.

Der Rationalisierungserfolg sah demnach so aus: Im Mai 2010 hatten bereits 130.000 Landwirt_innen und mehr als 20.000 Raffinerieangestellte den Wirtschaftszweig verlassen. Zwischen 2005/06 und 2009/10 wurden insgesamt 83 Fabriken geschlossen – neben 68 Betriebsaufgaben zwischen 2000 und 2005. Die Zahl der Rübenbäuer_innen ging EU-weit von 300.000 auf 170.000 zurück, während die Anbaufläche um 0,5 Millionen auf 1,5 Millionen Hektar schrumpfte.

Laut Oberösterreichs Landwirtschaftskammer-Vizepräsident Franz Reisecker (Aussendung vom 13. April 2011) ist «Österreich in der Lage, mit der eigenen Zuckerproduktion den Binnenverbrauch abzudecken». Also erübrigen sich für Österreich Importe vom Weltmarkt. Weiter sagte Reisecker: «Aufgrund der EU-Zuckermarktreform ist beispielsweise in Ungarn die Zuckerproduktion auf rund 30 % des Verbrauchs gefallen. Der Preis für die ungarischen Konsumenten stieg innerhalb kurzer Zeit auf rund 1,50 Euro je Kilo Zucker, während dieser in Österreich deutlich unter einem Euro kostet.»

Veränderte Ausgangslage

Diese Preisangabe war seinerzeit korrekt. Die Lage hat sich jedoch per 1. Oktober 2011 schlagartig geändert. Ein Rundgang durch diverse Supermärkte brachte am 14. Mai 2012 folgendes Ergebnis: Pro Kilo wurde für Fein- und Kristall- (1,19 Euro) bzw. Würfelzucker (1,39 Euro) und pro halbes Kilo Staubzucker (89 Cent) von Billa, Hofer, Spar und Zielpunkt gleichermaßen verrechnet. Handelt es sich um einen Kartellpreis? Einziger Ausreißer – nach oben – war ein Greißler in Wien-Wieden, der für Kristallzucker 1,90 Euro und für Würfelzucker 2 Euro verlangt.

In Deutschland kam Anfang Oktober 2011 ebenfalls Bewegung in den Zuckerpreis. Am 4. Oktober des Vorjahres meldete die «Berliner Morgenpost»: «Im deutschen Lebensmittelhandel rollt eine Preissteigerungswelle. Nachdem der führende Diskonter Aldi Süd den Preis für das Kilogrammpäckchen in der vergangenen Woche um fast ein Drittel von 65 auf 85 Cent erhöht hat, drehen auch andere große Lebensmittelhändler kräftig an der Preisschraube.»

Am 22. 12. 2011 berichtete das «Handelsblatt»: «Höhere Zuckerpreise lassen beim europäischen Branchenführer Südzucker die Kassen klingeln.» Und am 16. 5. 2012 schrieb «Die Presse» unter dem Titel «Agrana mit Rekordjahr»: «Eine Zuckerknappheit in der EU und damit verbundene höhere Preise bescherten dem […] Zuckerkonzern eine Gewinnsprung von 79 Prozent. […] Im Zuckersegment schnellte das operative Ergebnis von 33,8 Millionen im Jahr davor auf nun 112,3 Millionen Euro.»

Nimmt man alles nur in allem, erscheint die Berufung der Agrana auf den Weltmarkt als Ausrede und nicht als stichhaltiges Argument.

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