«Blau-Gelb ist mein Herz»vorstadt

Lokalmatador

Alexander Juraske hilft als Fan und Historiker dem Not leidenden First Vienna Football Club. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).O du lieber Alex, alles ist hin. Geld ist weg, Sponsor ist weg, alles weg, alles weg. Nur die lodernde Leidenschaft und das gesicherte Wissen um die Einzigartigkeit des First Vienna Football Clubs since 1894 sind ihm geblieben. Und so betont der teilnehmende Beobachter am Ende eines weiteren friedlichen Freitagabends auf der Hohen Warte: «Wenn du dich mit unserem Verein näher beschäftigst, kommst du drauf, dass es da immer wieder Krisen gab, auch selbst verschuldete.»

Wer könnte das besser wissen als Alexander Juraske? Er hat ein detailreiches Buch über die Geschichte seiner großen Liebe geschrieben, mit dem stimmigen Titel: «Blau-Gelb ist mein Herz». Schon sein Großvater hatte so ein Herz: «Er war drei Saisonen lang Professional im Dress der Blau-Gelben.» Der gelernte Schlosser hütete von 1926 bis 1928 das Tor des ältesten Fußballvereins des Landes.

«Bis ihn eine schwere Verletzung stoppte», weiß der 1974 geborene Enkelsohn, der in Döbling aufgewachsen ist und, seit er denken kann, kein violetter und auch kein grün-weißer Fußballfan ist. An der Hand vom Opa erlebte er auch eine der letzten Sternstunden der Vienna. In seiner Erinnerung klingt das so: «Heimspiel gegen Rapid am 26. April 1980, die Vienna gewinnt mit vier zu null. Zwei Tore für uns erzielt ein gewisser Hans Krankl.»

Juraskes Buch (soeben bei Promedia erschienen) ist unfreiwillig aktuell. Wir stehen nach dem nicht unverdienten Heimspielsieg gegen den ASK Ebreichsdorf noch eine Weile auf dem Gegenhang und blicken auf die von der Baupolizei gesperrte Haupttribüne. Alles ist hin! Daneben hängt noch das hoffnungsfroh affichierte Plakat: «Gemeinsam in die Bundesliga».

Geld ist weg, Sponsor ist weg, alles weg, alles weg. Als Vertreter der «Supporters», des 2014 gegründeten Fan-Dachverbands, in den Aufsichtsrat entsandt, weiß Alexander Juraske: Nach dem Rückzug des Sponsors hängt ein Fallbeil über dem Verein. Dessen pure Existenz wird jetzt nicht mehr auf dem Rasen, sondern vor Gericht entschieden. Und es ist möglich, dass der First Vienna Football Club in wenigen Tagen sein allerletztes Spiel bestreitet. Der Insider sagt das nicht gerne: «Vielen Fans ist das bisher noch gar nicht so bewusst.»

Es gibt tausend Gründe, warum das Sterben der alten Döblinger Dame im Zeitalter des Neoliberalismus-Fußballs schade wäre. Der tausend und erste wäre, dass Juraske seinem Buch ein letztes, ein allerletztes Kapitel hinzufügen müsste. Und wir setzen an dieser Stelle noch einen tausend und zweiten Grund drauf: Eine Stadion-Führung mit dem Fan, Historiker und Autor an einem Matchtag zählt zu einem echten Highlight des Wiener Fußballlebens.

Zwei Stunden vor dem Anpfiff begrüßt der Vienna-Guide unten im Karl-Marx-Hof eine kleine Gruppe Interessierter. Eröffnet zunächst, dass durch die vier charakteristischen Rundbögen zur Zeit des österreichischen Wunderteams die Massen strömten, von der Stadtbahn-Station Heiligenstadt hinauf in das erste große Stadion Europas. Und dass das Bundesheer im Februar 1934 eine Haubitze auf dem Spielfeld platzierte und damit auf die Menschen unten im Gemeindebau schoss.

Über den Karl-Decker-Weg führt Juraske dann vom sozialdemokratisch geprägten hinauf in das mondäne Wien. Karl Decker war ein kleinwüchsiger Penzinger. Der sich dafür, dass ihn seine erste große Flamme, die Rapid, als «Gschropp» verschmähte, später mehr als ein Mal rächte. Der Chronist erzählt: «Er ist noch immer der Rekordtorschütze der Vienna. Legendär sind seine sechs Tore beim zehn zu zwei gegen die Grün-Weißen.»

Von höherer Warte betrachtet: Beeindruckend ist nicht nur der Blick hinunter auf die Stadt, sondern auch Juraskes Verortung der ersten Fußballplätze Wiens. Er deutet auf ein hübsch renoviertes Portierhäuschen am Eingang zum Heiligenstädter Park. Dahinter haben englische Gärtner im Sold der Bankiersfamilie Rothschild zum ersten Mal eine aus England importierte Wuchtel mit ihren Füßen traktiert.

Das erste Derby of Rivalität gegen die Cricketer aus dem Prater wurde am 15. November 1894 auf der benachbarten Kuglerwiese ausgetragen. Der Lost Ground Hopper: «Auf diese Wiese wurde nur sechs Jahre später die Villenkolonie von Josef Hoffmann gebaut.» Heute fliegt hier der 37er auf seiner Endstation-Umlaufbahn um die Häuser.

Wenig bekannt ist auch Juraskes Hinweis, dass die Vienna bis zum März 1938 von angesehenen jüdischen Spielern und Funktionären geprägt wurde. Und dass auf dem Weg von der Kuglerwiese hinunter in die heutige Naturarena zwei weitere Luxus-Immobilien liegen, auf denen die Blau-Gelben in ihren ersten Jahren auch nicht nur (finanzielle) Erfolge feierten.

Ist auf der Hohen Warte nun ein weiterer Lost Ground zu befürchten? Der Historiker hofft das natürlich nicht. Noch angetan von den mehr als hundert Jahre alten Secessionsvillen und betört von der in dieser Saison beherzt wie schon lange nicht mehr spielenden Vienna-Elf, liegt nach dem Schlusspfiff ein weiterer Kalauer in der Döblinger Luft: Der Zeit ihren Fußball, dem Fußball seine Freiheit! Lang lebe die Vienna! Mehr unter: www.firstviennafc.at.

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