Blaues BlutDichter Innenteil

Es lebte einst in einem Königreich ein König, von dem man sagte, er und seine Familie seien heilig, denn ihr Blut sei nicht rot, wie das der gewöhnlichen Leute, sondern blau. Wann immer der König oder seine Familie durch die Stadt ritten, fiel das Volk vor ihnen auf die Knie, Blick auf den Boden gerichtet, und es verkündete: Lang lebe unser König, heilig ist seine blaublütige Familie!

Coverbild: Irina Ardanova

Wenn der König Geburtstag hatte, mussten ihm alle Bürger wertvolle Geschenke bringen. Jeder hatte im Haus ein Bild des Königs hängen, und so verehrte das Volk sein heiliges Königshaus Tag für Tag wegen seines blauen Blutes.

Eines Tages machte sich der König auf den Weg zur Jagd. Vor allen anderen ritt er auf seinem stolzen, schwarzen Ross. Wie immer kniete das Volk vor ihm mit abgewandtem Blick nieder und verkündete laut: Lang lebe unser König, heilig ist seine blaublütige Familie!

Plötzlich tauchte ein kleiner Hund aus der Menge auf und rannte mit lautem Gebell auf das Ross des Königs zu. Das Pferd erschrak, bäumte sich auf und warf den König aus dem Sattel. Er fiel herab auf den harten Boden, und ein spitzer Stein zerkratzte ihm die Hand. Die Wunde begann zu bluten, doch aus der Wunde kam kein blaues Blut, wie es die Leute glaubten, sondern rotes, wie das aller gewöhnlichen Menschen.

Doch das Volk war auf den Knien und sah den Betrug nicht. Alle, bis auf ein kleines Mädchen. Das Mädchen hatte sich nicht verbeugt und rief laut: Seht mal! Der König hat gar kein blaues Blut!

Alle blickten auf und sahen das rote Blut, das aus der Wunde des Königs tropfte. Sie erkannten, dass die Königsfamilie überhaupt nicht heilig war und dass sie alle belogen worden sind.

Als die Menschen heimkamen, rissen sie alle Bilder des Königs von ihren Wänden und verbrannten sie. Von dem Tag an achtete keiner mehr den König.

Aus: Die sprechende Puppe. Neue Märchen für Kinder und Erwachsene.

Aus dem Russischen übertragen von Terlan Djavadova

Das Buch des armenischen Märchenerzählers und Augustin-Verkäufers Razmik A. Gevondyan, Jahrgang 1935 und seit 2005 in Wien zuhause, ist von Montag bis Freitag immer vormittags beim Autor persönlich auf seinem Augustin-Standplatz (vor dem Supermarkt, Kaiserstraße 92, 1070 Wien) erhältlich.