Bleib, Gudi, bleib!tun & lassen

In der Gudrunstraße steht ein Notquartier. Ende April wird es geschlossen. Wegen notwendiger Renovierung oder wegen aufmüpfiger Beschäftigter? Ein Lokalaugenschein bei streikenden Wohnbetreuer_innen.

Text: Kurto Wendt
Fotos: Michael Bigus

Die Basismitarbeiter_innen im Sozialbereich gehören zu den am härtesten von der Pandemie Betroffenen. Besorgt um ihre Klientel, ringen sie mit Vorgesetzten um Sicherheitsmaßnahmen und Personalaufstockung und immer auch mit der Angst, sich selbst mit Covid-19 anzustecken. «Koste es, was es wolle», war die Losung des Finanzministers im März 2020, und wie nicht anders zu erwarten, waren die Hilfe für die Ärmsten und die Gehälter derer, die mit ihnen arbeiten, damit nicht gemeint.

Good-bye, Gudi!

Wie bereits 2020 hat der Fonds Soziales Wien (FSW) die Notschlafquartiere im Rahmen des sogenannten Winterpakets pandemiebedingt auch heuer wieder bis Ende Juli verlängert. Alle bis auf eines. Die Gudrunstraße, die von den Mitarbeiter_innen und den Bewohner_innen liebevoll als «Gudi» bezeichnet wird, soll mit Ende April ihre Pforten schließen. Seit 2015 ist die Gudrunstraße eine Notschlafstätte für 70, zuletzt 50 Männer aus Österreich und anderen EU-Staaten im Rahmen des Winterpakets von Oktober bis April. Die dort Beschäftigten erhielten Jahr für Jahr befristete Verträge, manche jetzt schon im sechsten Jahr. Ob das Objekt im Eigentum von Wiener Wohnen, gemietet vom Fonds Soziales Wien (FSW), betrieben vom Arbeitersamariterbund (ASB), im Herbst weitergeführt wird, steht in den Sternen. Das einzige Notquartier, das zentrumsnah und mit der U-Bahn leicht erreichbar ist, wie es offiziell heißt, wird wegen mangelnder Gesamtauslastung und dringender Renovierungen geschlossen. Dies bestätigt auch Jakob Reisinger, einer von drei Pressesprecher_innen des FSW. PR wird groß geschrieben in der Stadt Wien und ihren vorgelagerten Institutionen. Der Vermutung, dass die Schließung der «Gudi» mit dem selbstbewussten Engagement der Beschäftigten vor Ort zu tun hat, widerspricht Reisinger. «Wir handeln sowohl bei der Kapazitätsplanung als auch der Prüfung der Förderansuchen nach objektiven Kriterien, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Effizienz.» Die Angestellten seien auch nicht beim FSW, sondern beim Arbeitersamariterbund beschäftigt.
Da hat Reisinger recht, und gerade das ist ein großes Dilemma für alle, die in dem Feld arbeiten. Die Stadt Wien stellt die Mittel bereit, der FSW verwaltet sie und die Organisationen Arbeitersamariterbund, Caritas, Volkshilfe, Rotes Kreuz, St. Elisabeth-Stiftung und die Johanniter betreiben die Notschlafquartiere. «Wenn wir Verbesserungen einfordern, wird immer auf jemand anderen verwiesen», meint Anna, die für 20 Wochenstunden monatlich zwischen 1.000 und 1.200 Euro verdient, je nachdem, wie viele Nachtdienste anfallen, und ab Mai wieder arbeitslos sein wird.
Auf die baulichen Mängel hat die Belegschaft der «Gudi» bereits 2020 hingewiesen. Verschimmelte Duschen, kaputte Schlösser, unzumutbare 6-Bett-Zimmer. In der Schließzeit August/September 2020 wurde nichts davon repariert. «Sie haben zwei Monate nichts gemacht, vieles könnte locker auch im laufenden Betrieb renoviert werden. Wir werden geschlossen, weil wir es gewagt haben, Verbesserungen einzufordern», kommentiert Anna.

Braucht ihr was?

Unterbesetzung, spontanes Einspringen bei Krankenständen, Burnout waren die Folgen der schlechten Arbeitsverhältnisse im November. «Wir hätten uns erwartet, dass wer vorbeikommt und fragt, braucht ihr was? Wie können wir euch unterstützen?», meint eine der «Gudi»-Angestellten, die sich Ende Jänner in der Arbeit mit Covid-19 angesteckt hat. 25 Nächtiger und 5 Mitarbeiter_innen des Teams waren Teil eines Clusters. «Ich fühlte mich sehr allein», schrieb sie in einem Brief, der auf einer ersten Streikversammlung der Angestellten des Notquartiers Gudrunstraße am 17. März verlesen wurde: «Ich hätte mir gewünscht, dass jemand, zum Beispiel der Betriebsarzt, auf uns zukommt und Informationen gibt, die Möglichkeit einer Reha, das bei der AUVA zu melden, eine Entschädigung, eine Ansprache und ein gewisses Mitgefühl, auch wenn es unter Umständen nur eine Phrase wäre.» Dem Warnstreik am 17. März folgte noch einer am 9. April. Jeweils in geheimer Wahl mit keiner bzw. einer Gegenstimme beschlossen und jeweils mit Kundgebungen von rund 300 Menschen begleitet.

Schlecht vertreten.

Spätestens seit den letzten Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst 2020 ist spürbar, dass es unter den in Sozialberufen arbeitenden Menschen eine steigende Anzahl an kämpferischen Angestellten gibt. Der Arbeitsdruck wird immer höher, und die Gehälter bleiben niedrig. Deswegen haben sich auch Beschäftigte anderer Organisationen spontan mit der «Gudi» solidarisiert. Ulli Rathmanner von der Initiative Sozial aber nicht blöd und Betriebsrätin bei der Caritas: «In Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit sollten eigentlich die Gewerkschaften massiv für dringend notwendige Verbesserungen mobilisieren.» Die zuständige Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) ließ die Beschäftigten der Gudrunstraße allerdings im Stich. Begründung: Es handle sich bei dem Streik nicht um einen eigentlichen Arbeitskampf, sondern um politische Forderungen, und es gebe zu wenige Gewerkschaftsmitglieder in dem Arbeitsbereich. «Warum beitreten, wenn die Gewerkschaft so wenig tut?», fragt Anna. Ein Henne-Ei-Problem.
Sehr kaltschnäuzig kommentiert Stadtrat Hacker die Forderungen der Gudrunstraßenbelegschaft auf seiner Facebookseite: «Ich finde es ohnehin löblich und gut, dass sich junge Menschen für Schutzsuchende einsetzen, auch wenn ich es bedenklich finde, wenn einige Angestellte den Zustand von Betroffenen als Vorwand nehmen, um sich Vorteile für den eigenen Arbeitsvertrag zu schaffen. … Unbefristete Dienstverträge wird es in dieser Form nicht spielen.» Diese arrogante Feindseligkeit überrascht doch ein bisschen. Keine Spur davon, dass Rekordarbeitslosigkeit bekämpft wird oder prekäre Arbeitsverhältnisse in stabilere verwandelt werden. Wenn Kurz/Kogler jetzt 500.000 Arbeitsplätze schaffen wollen, könnte man meinen, dass ein SPÖ-Gesundheitsstadtrat doch zumindest einige tausend zusätzliche im Sozial- und Gesundheitsbereich in Aussicht stellen wollte.
Von der Initiative Sommerpaket, die auf sommerpaket.noblogs.org einen informativen Blog für den Bereich Wohnungslosigkeit betreibt, wird als ein Problem geschildert, dass die sieben Anbieter sich Jahr für Jahr in einem Ausschreibungsdumping gegenseitig unterbieten und die Beschäftigten dadurch weder Gehaltserhöhungen noch ausreichend Kolleg_innen bekämen. Jakob Reisinger vom FSW widerspricht: «Es gibt keine Ausschreibungen. Die Träger stellen Förderansuchen, die vom FSW geprüft und genehmigt werden» und «Mit den Partnerorganisationen des Winterpakets gibt es eine gute, routinierte Zusammenarbeit».

Bis zum letzten Tag.

Unterstützung für die Kampfmaßnahmen der «Gudis» kommt von ASB-Betriebsrätin Katharina Kronhuber, die auf der Demonstration von einer weiteren bevorstehenden Schließung, nämlich der Asylunterkunft in Erdberg, berichtet. «Dort verlieren sechzehn Mitarbeiter_innen ihre Jobs. Es ist richtig, von Massenquartieren in kleinere Wohneinheiten überzugehen. Wenn aber, wie in Erdberg, alle Einzelzimmer haben und dann in kleinere Einheiten mit Mehrbettzimmer verlegt werden, ist das ein echter Rückschritt.»
Für Kronhuber, die 2018 die Streiks im Bereich Sozialwirtschaft mitorganisiert hat und seit 2019 Betriebsratsvorsitzende beim Arbeitersamariterbund ist, wirkt der Kampf der «Gudis» motivierend für andere Einrichtungen. «Der Mut ist ansteckend. Plötzlich können sich auch andere vorstellen, mehr Rechte, mehr Gehalt und mehr Freizeit einzufordern.» Ob das Schließen des Notquartiers Gudrunstraße noch zu verhindern ist? «Der kreative Widerstand der Beschäftigten wird bis zum letzten Tag, dem 28. April, anhalten. Aber auch wenn es zu einer Schließung kommt, haben wir zwei wichtige Forderungen, die wir gemeinsam mit den Betroffenen an die Geschäftsführung richten. Zum einen eine Wiedereinstellungsgarantie für Herbst, zum anderen eine Corona-Mehrbelastungs-Prämie von 250 Euro pro Monat.» Stefanie Kurzweil, Pressesprecherin im ASB bremst die Erwartungen: «Eine Wiedereinstellungsgarantie kann es nicht geben, da nicht klar ist, ob die Gudrunstraße im Oktober wieder Teil des Winterpakets sein wird, und über Prämien verhandelt die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat.» Kurzweil ist es wichtig zu betonen, dass es «keine schwarze Listen gibt, das politische Engagement wird den oft langjährig im Winterpaket Beschäftigten sicher nicht negativ ausgelegt werden».
Es ist eigentlich schwer zu begreifen, warum empathische, qualifizierte, solidarische Menschen in einer seit 1945 sozialdemokratisch regierten Stadt so hart um ein sehr kleines Stück Gerechtigkeit für sich und die betreute Klientel kämpfen müssen. Auf die Frage, ob sie Angst habe vor der bevorstehenden Arbeitslosigkeit, sagt die Wohnbetreuerin Anna: «Vielleicht kann ich es emotional als Burnout-Prophylaxe verbuchen. Danke, Peter Hacker, danke, Fonds Soziales Wien!»