Bloß kranktun & lassen

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Menschen, die kein sozialversicherungspflichtiges Einkommen haben, länger arbeitslos sind, keine Pension kriegen, weil Pensionszeiten nicht ausreichen, bekommen von der Sozialhilfe „Krankenhilfe“, -und damit auch keine E-Card. Das sind Zehntausende, 2002 geschätzte 20000, jetzt werden es aufgrund des Anstiegs der SozialhilfebezieherInnen mehr sein. Einbezogen sind da noch gar nicht die 100 000 ohne Krankenversicherung, die eine Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums feststellte.

Der Umstieg vom Krankenschein auf die E-Card soll einen vereinfachten Zugang zu medizinischer Versorgung bringen. Das muss wohl gerade für sozial Benachteiligte gelten, deren Krankheitsrisiko doppelt so hoch wie das der Durchschnittsbevölkerung ist. Leben am Limit macht Stress. Leben am Limit schwächt die Abwehrkräfte. Leben am Limit macht verletzlich.

Scham ist der ständige Begleiter von Armut. Eine Stigmatisierung, die SozialhilfeempfängerInnen bei Gesundheitsdiensten öffentlich kenntlich macht, ist für die soziale Integration nicht förderlich und einfach nicht notwendig. Niemand in der Arztpraxis noch irgendjemand im Krankenhaus braucht erkennen, um welche Klasse von Patient es sich handelt. Niemand, der in einer schwierigen sozialen Situation krank ist, hat es notwendig, bloß gestellt zu werden. Soll`n halt net so ang`rührt sein, könnten manche einwenden. Das verkennt den Ernst der Lage. Wir wissen, dass Einkommensschwache eine geringere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen haben, obwohl sie sie stärker bräuchten.

Der Ausschluss einer großen Gruppe SozialhilfeempfängerInnen von der E-Card zeigt auch wieder einmal, dass der Almosencharakter der Sozialhilfe keine Zukunft hat. Statt Gnadenrecht braucht die Sozialhilfe eine moderne Orientierung an sozialen Grundrechten, die für alle gelten und Existenzsicherung garantieren.

Vor genau einem Jahr stellte eine Studie des Europäischen Zentrums für Sozialforschung fehlenden Krankenversicherungsschutz bei über 100 000 Menschen fest, – das sind ca. 2% der Wohnbevölkerung.

Zur Erinnerung: Fast alle Betroffenen hatten geringes Einkommen. Zwei Drittel befanden sich zum ersten Mal in dieser Situation, immerhin ein Drittel war schon öfters davon betroffen.

Da ist Frau K. mit geringfügiger Beschäftigung, da ist Herr G. in einer schweren psychischen Krise, da ist Herr S. als Arbeitssuchender ohne Leistungsanspruch, da sind -vormals mit ihrem Ehemann mitversicherte- Frauen nach der Scheidung, da sind Hilfesuchende wie Frau L., die ihren Sozialhilfeanspruch aus Scham nicht einlösen.

Es handelt sich zum einen um ein strukturelles Problem, wo Personen systematisch ausgeschlossen werden, und zum anderen um ein Problem mangelnder Inanspruchnahme sowie zu hoher Zugangsbarrieren.

Die Lücken im Krankenversicherungsschutz könnten durch die Einbindung bedürftiger Nichtversicherter über die Sozialhilfe geschlossen werden, oder gleich durch einen generellen Krankenversicherungsschutz für alle. Das Modell mit dem größten Erfassungsgrad wäre eine generelle Krankenversicherung: Zu prüfen ist, ob eine generelle Krankenversicherung derart organisiert werden kann, dass das Beitragsystem aufrecht bleibt und die Beiträge für bisher nicht versicherte Personen von bestimmten öffentlichen Institutionen entrichtet werden.

Der andere Weg wäre die Einbindung Nichtversicherte über die Sozialhilfe. Dabei müssten sämtliche Nichtversicherte einen Status als Selbstversicherte in der Krankenhilfe erhalten. In einem Rahmenvertrag zwischen Gebietskrankenkassa und Ländern könnte so ein sofortiger Versicherungsschutz vorgesehen werden.

Martin Schenk

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