Die beiden Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter rufen mit ihrer aktuellen Schau im Architekturzentrum Wien Boden für Alle aus.
INTERVIEW: REINHOLD SCHACHNER
ILLUSTRATION: MUCH
In einer Immobilienanzeige für eine Postbasis in Niederösterreich heißt es: «Wir [die Post AG] suchen vorrangig unbebaute Grundstücke …» Die Post AG scheint kein gutes Vorbild im Umgang mit der Ressource Boden zu sein.
Karoline Mayer: Es ist einfacher, auf ein unbebautes Grundstück eine Halle zu stellen, als sich mit leerstehenden Gewerbeobjekten auseinanderzusetzen – das ist ein großes Problem. Die Nachnutzung von Industriebrachen wird in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – noch zu wenig diskutiert.
Katharina Ritter: Es ist auch günstiger, und es geht um Altlasten, man könnte sich nicht Kalkulierbares einhandeln. Es gibt auch keine Förderungen für die Weiternutzung von Leerstand. Wenn man ein Gebäude übernimmt, dann muss es an die gerade geltenden Normen wie Brandschutz, Dämmung etc. angepasst werden.
Wie ist die Situation in Wien bezüglich Umwidmungen von Grün- in Bauland?
K. M.: Mit der Widmungskategorie «Geförderter Wohnbau» [mindestens zwei Drittel der Neuwidmung muss der geförderten Wohnnutzfläche vorbehalten werden und der Grundstückspreis ist mit 188 Euro pro m2 begrenzt] sind die astronomisch hohen Gewinne nicht mehr möglich.
In der Ausstellung ist zu lesen, Boden sei kein Joghurt. Wie darf man das verstehen?
K. M.: In einem Buch über die Neue Bodeninitiative in Basel sind wir über dieses Zitat gestolpert. Es stammt von der Schweizer Politikerin Jacqueline Badran. Sie sagt, die Regeln der freien Marktwirtschaft könne man auf Joghurt und andere Dinge anwenden, auf Boden aber nicht, weil Boden im Sinne von Baugrund endlich sei. Bei steigenden Preisen lässt sich nicht mit größerer Produktion gegenagieren.
Sie spricht davon, dass es grundsätzlich ein Fehler sei, die Bodenpolitik dem freien Markt zu überlassen.
K. R.: Wir vergleichen Boden mit Wasser. Als das Thema Privatisierung des Wassers aufgepoppt ist, folgte ein irrsinniger Aufschrei in der Gesellschaft, man könne Wasser nicht privatisieren! Boden ist immer schon privatisiert gewesen, obwohl eigentlich kein großer Unterschied zwischen Boden und Wasser besteht, weil Wasser auch endlich ist.
Was soll man noch aus der Ausstellung «Boden für Alle» mitnehmen?
K. M.: Dass die unglaublichen Gewinnsteigerungen, die der Boden momentan erfährt, für die Allgemeinheit genutzt werden sollten. Das wäre nur fair, weil sehr viele dieser Wertsteigerungen werden durch Aufwendungen der öffentlichen Hand ermöglicht – oft zum Nachteil von Bewohner_innen der verdichteten Stadt. Es ist nicht einzusehen, warum Private oder Institutionelle alleine diese Renditen einfahren können. Ich denke dabei an Nachverdichtung an der U-Bahn. Wer zahlt die U-Bahn? Und wer verdient dann am Wohnbauprojekt an der
U-Bahn? Das muss man sich genau anschauen.
Wem gehört der Boden in Wien?
K. M.: Wir haben beim Magistrat nachgefragt, welche Grundstücke der Stadt Wien gehören. Das dürfe man uns aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht sagen, lautete die Antwort, aber wir konnten Informationen zusammentragen: Fast 50 Prozent sind im Besitz der Stadt, was ein sehr hoher Wert ist. Wenn man noch die Grundstücke des Bundes und der ÖBB, die zu einhundert Prozent im Besitz der öffentlichen Hand sind, dazunimmt, ist das eine große Menge. Die Kirche besitzt in Wien auch sehr viel, und rund 10.000 Hektar sind in Privatbesitz.
Die öffentliche Hand besitzt in Wien also relativ viel Boden. Zusammen mit der im Jahr 2018 eingeführten Widmungskategorie «Geförderter Wohnbau» schaut es doch gut aus, oder habe ich etwas übersehen?
K. M.: An sich werden wir international beneidet, was jetzt nicht heißt, dass wir uns zurücklehnen können. Diese Qualität muss man mit allem, was zur Verfügung steht, verteidigen.
Ist diese Qualität in Gefahr?
K. M.: Das glaube ich schon, deswegen ist auch die Widmungskategorie «Geförderter Wohnbau» eingeführt worden. Die Arbeiterkammer hat errechnet, dass die Anzahl der genehmigten Wohneinheiten in den letzten Jahren extrem in die Höhe geschnellt ist, aber beinahe der gesamte Wohnbauboom hat am freien Markt stattgefunden. Es stimmt, dass in Wien mehr Wohnraum gebraucht wird, aber der Wohnraum, der produziert wird, ist nicht der Wohnraum, den wir brauchen, weil die Privatpersonen, die sich diesen leisten könnten, nicht hier sind.
Man muss an die große Glocke hängen, dass sich in Wien viel Bauland in öffentlicher Hand befindet und dass man es nicht verkaufen darf. So wie es die Bewohner von Basel machen. Sie verhindern, dass kantonseigenes Land verkauft wird.
Bis 19. 7.
azw.at