Böse, bildungsferne Türkentun & lassen

Über Hans Rauschers ethnologischen Exkurs nach Yozgat

Seit Thilo Sarrazins Bestseller und Straches Stimmenzuwächsen in Wien erkennen auch die bürgerlichen Medien wieder Handlungsbedarf in Sachen Integration und erheben sich mit vorgeblicher Sachlichkeit über das Gutmenschentum. Sie stellen sich falsche Fragen und geben sich falsche Antworten. Hans Rauscher zum Beispiel brillierte kürzlich im «Standard» mit der Einsicht, dass die «Bildungsferne» türkischer Einwanderer «kulturell vererbt» werde.In Zeiten der Krise pflegen die zwei unappetitlichsten Illusionen der bürgerlichen Ideologie zusammenzurücken und einander im Schritt zu beschnüffeln: die Mär, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sei, und diejenige, dass bloß der Fremde jenem im Wege stehe und mit dem Schmiedehammer zu verjagen sei.

Da das zu Wachstum verdammte System leider von den Verantwortlichen der Krise abhängt und man diese deshalb nicht zur Verantwortung ziehen kann, muss man ihnen wie einem gefräßigen Behemoth mehr und mehr Geld ins Maul schaufeln, das man sich am bequemsten aus dem Sozialetat holt. Mit gesetzmäßiger Vorhersehbarkeit figurieren als Buhmänner dann zunächst die universelle Chiffre des antisemitischen Stereotyps: der Finanzspekulant, weiters der Sozialschmarotzer, der die Versicherungsleistung, um die man ihn prellen möchte, frecherweise auch haben will, und der Fremde, der ebenfalls in den Sozialtopf zahlt, dessen dunkle Augen aber unter zusammengewachsenen Augenbrauen so fremdartig danach schielen. Gelegentlich hinzu kommen die Fetten, die gefälligst aufhören sollen, zu fett zu sein, und die Alten, die bitteschön aufhören sollen, zu alt zu sein.

Es ist die ewig gleiche Leier. Die man von der Bildung fernhielt, werden wegen ihrer Bildungsferne verhöhnt, und die an den Migrationshintergrund Genagelten verachtet, weil sie diesen nicht ablegen und ihre Brut zwingen, keine «Standard»-Feuilletonisten zu werden, sondern weiter die Kanalräumer zu bleiben, als die wir sie geholt haben.

Ja zur Zielscheibe, ein «Muss das sein?» zur Schießwut

Doch auch ein anderes Muster wiederholt sich: Wann immer das Meinungsspektrum nach rechts rückt, kehrt das gebildete Feuilleton von der pontischen Verbannung in linksliberale Missionsarbeit zurück in die freigewordenen Apartments der rechten Mitte, wo es sich doch am wohlsten fühlt. Von dort aus verkündet es mit dem Pathos des verantwortungsvollen Citoyens, dass jetzt Schluss mit lustig sei und man das Diffamieren von sozial und bürgerrechtlich Benachteiligten nicht der barbarischen Rechten überlassen dürfe. Im konkreten Fall in Pamphlets, dass Multi-Kulti versagt habe, Herr Sarrazin sich im Postulat des Judengens vergriffen, aber dennoch den Mut gezeigt habe, jenes heiße Eisen anzufassen, das man demnächst den Desintegrierten über den Schädel zu schlagen gedenkt, weil die sich bekanntlich nicht integrieren wollen. Hans Rauscher hat das Yozgat-Gen verortet.

Was ist das Yozgat-Gen? Die meisten türkischen Gastarbeiter seien aus der Region Yozgat zugewandert, ein Flecken so weit entfernt von der «Standard»-Bildung wie nur irgendeiner. Traditionalismus und Bildungsferne hielten sie schon seit Generationen vom Publizistikstudium fern und schürten ihre Neigung zu Subproletariat, türkischer Lebensart und Arbeitslosigkeit. Es liegt auf der Hand, die demnächst die Türken am Schlafittchen packen will: Soziokulturelle Muster werden familiär tradiert. Diese Wahrnehmung ist aber so unwiderlegbar richtig und banal wie die Feststellung, der Unwille, aus dem Döblinger Villenviertel in die Plattenbauten Brigittenaus zu ziehen, sei einem hartnäckigen, kulturell tradierten Habitus geschuldet.

Da man einen Wähleranteil von beinahe 15 Prozent Migrationshintergründlern nicht mit flächendeckender Ausländerfeindlichkeit vergraulen darf, muss man selektieren. H. C. Strache hat die Türken zum Abschuss freigegeben, die bürgerliche Mitte empört sich über die Schießwut, akzeptiert aber die Ethnizität der Zielscheibe. Zwar ist sie noch nicht bereit, der lächerlichen Identifikation von türkischer Herkunft und Islamismus zu folgen, aber in Sachen Unbildung, Arbeitslosigkeit und der daraus resultierenden Tristesse sind die Türken als kulturell geschlossene Sorgenethnie abgesteckt. Tschetschenen, Kosovoalbaner, Serben und Waldviertler können vorerst aufatmen. Der Einwand, dass die meisten meiner türkischen Bekannten genug Bildungsnähe besäßen, um einigen Standard-Glossen fern zu bleiben oder zumindest problemlos deren Orthographie- und Denkfehler korrigieren zu können, ginge ins Leere, hat Rauscher ja mit ethnologischer Expertise eine bestimmte Art der türkischen Rasse als integrationsunwillig erkannt: die Yozgat-Türken. Natürlich hat er Recht, dass Unbildung, Proletentum, Norm- und Standard-Ferne familiär tradiert und von einem gewissen kulturellen Milieu gefördert werden. Lediglich die Schlüsse daraus trennen soziologischen Sinn von sozialen Dünkeln. Zwei Argumente will ich vorbringen, die den Vorwurf der türkischen Integrationsunwilligkeit aufspießen wie ein Krummsäbel das Burenheidl.

Österreich-Deutschland wie Yozgat-Istanbul

Historischer Exkurs. Die Bildungsferne (ein Begriff übrigens, der wegen seiner noblen Heuchelei gar nicht anders als ironisch verwendet werden dürfte) unserer anatolischen Gäste der 60er und 70er Jahre war nicht ungewollter Nachteil, sondern gewollte Bedingung ihrer Anwerbung. Die Geschichte lehrt, dass ein Mangel an Bildung der Bildung von Gewerkschaften abträglich ist. Ein Grund, warum die deutschen Arbeitnehmervertreter sofort reagierten und die Angleichung der Löhne ihrer türkischen Kollegen an deutsches Niveau, ja sogar deren aktives und passives Wahlrecht forderten. Sie taten dies weniger aus Xenophilie als aus der gleichfalls vererbten Erfahrung heraus, dass die Unternehmerklasse die nicht minder vererbte Angewohnheit besitzt, Lohndumping zu betreiben. Aus Österreich sind vergleichbare gewerkschaftliche Maßnahmen nicht bekannt, herrschten im ständischen Alpenland doch noch sozialrechtlich anatolische Zustände vor. Allgemein bekannt ist, dass die qualifizierteren westtürkischen Arbeitskräfte zum deutschen Arbeitsmarkt tendierten, während ihre unbedarfteren, ländlicheren Kollegen eher mit dem unbedarfteren, ländlicheren Österreich vorlieb nahmen. Ja man könnte sagen, Österreich verhielt sich zu Deutschland wie Yozgat zu Istanbul.

Yozgat II. Diese Allegorik weitergesponnen und wir können behaupten, dass ein Yozgat auch mitten in Wien liegt. Es ist geographisch schwer zu identifizieren, weil es quer durch die Gesellschaft verläuft. Nicht nur die türkisch geprägten Bezirke Brigittenau, Favoriten, Simmering und Ottakring sind das, sondern auch Floridsdorf und Kagran, überall dort, wo der Akademikeranteil niedrig ist und auch Menschen der fünften Generation, also so genannte Ur-Wiener, seit ihrer Einwanderung aus Brünn über ihre sozialen Bildungsschranken schwer hinauskommen.

Richtig, der Unwille, in die ständisch verteidigten Bastionen der bürgerlichen Bildung vorzudringen, ist kein türkisches, nicht einmal ein yozgatisches, sondern ein generelles Problem einer Gesellschaft, in der es angeblich keine Klassen mehr gibt, sondern nur Tüchtige und Schmarotzer. Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2008 klärt uns unmissverständlich darüber auf, dass Bildung in Österreich stärker von sozialer Herkunft bestimmt ist als in den meisten anderen Ländern Europas. In einer deutschen Studie aus dem laufenden Jahr kommt unser Nachbarland nicht besser weg: 83 Prozent der Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss kämen gleichfalls nicht über diesen hinaus. Beide Studien finden klare Worte der normativen Wertung: Sie sprechen von Chancenungleichheit!

Vulgärliberalistische Gesinnung schiebt die Schuld daran immer den Benachteiligten in die Schuhe. Rechte Gesinnung isoliert hierauf eine kulturell markierte Gruppe aus dem Benachteiligungsverband, die sich stellvertretend für den Rest verprügeln lässt. Sobald sich die gedankenferne Intelligentsia zugleich von Rassismus und Gutmenschentum distanzieren will, bleiben erfahrungsgemäß soziale Dünkel über. Die feuilletonistischen Mittäter können Rassismus u n d Neoliberalismus bürgersinnig von sich weisen, aber zugleich der naiven Ausländerromantik Fakten entgegenhalten. Fakten, die zwar auf alle bildungsfernen Schichten, ob aus Brünn oder Yozgat zugewandert, zutreffen, aber durch den engen Fokus von Straches Zielfernrohr besser den Zeitgeist ergötzen.

Wem aber, müssten wir uns weiter fragen, nützt die Verwandlung von bildungsfernen Türken in bildungsferne Österreicher? Und wenn wir nur mehr «qualifizierte» Ausländer reinlassen, wohin und worin integrieren wir die unqualifizierten Österreicher?

Niemand am wenigsten Sozialarbeiter, Lehrer und Migrationsspezialisten kann die Probleme des Traditionalismus, der Frauenfeindlichkeit, der schleichenden Islamisierung und Ghettoisierung bei vielen türkischstämmigen Migranten leugnen, doch erst wenn diesen Menschen alle Chancen offen stünden, ihr Ghetto zu verlassen, was bisher nicht der Fall war und wohl auch nie sein wird, nur dann ließen sie sich der Schuld an ihrem mangelnden Integrationswillen überführen. Alles andere bleibt Ressentiment. Und wer nach dem wahren Kern des rechten Ressentiments fragt, hängt längst schon an dessen Kandare, der hat sich bei der Reflexion über komplexe Probleme längst ins Wir-ihr-Spiel zerren lassen. Herr Rauscher ist bestimmt keiner von diesen, er meint das nicht so, denn er ist ein wohlmeinender Mensch. Dennoch muss man durch ausgeklügelte Schutzwälle dafür sorgen, dass die eigene Vernunft sich nicht in die von Strache gebaggerten Gräben ergießt.

Schlichtweg schäbig ist es aber, den Migranten die Scheiße, die sie uns seit vierzig Jahren aus den Kanälen pumpen und schaben, über die Köpfe zu schütten.

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