«Böses Blut»?tun & lassen

«Gib dein Bestes!», heißt es, wenn es ums Blutspenden geht. Trotz des hohen Bedarfs werden homosexuelle Männer von der Blutspende ausgeschlossen. Der Grund dafür: Die Angst vor HIV und AIDS.

Text: Lukas Mayr
Foto: Carolina Frank

Es spielt Popmusik in der Blutspendezentrale des Roten Kreuzes in Wien. Steriles Licht der LED-Lampen durchflutet den Raum. Die Umgebung wirkt kalt, ­medizinisch, auf dem Boden steht «BLUT SPENDEN, LEBEN RETTEN!». Nur wenige Menschen sind hier. Ein freiwilliges Rotes-Kreuz-Mitglied drückt den ­Hereinkommenden einen Fragebogen in die Hand. Er fordert sie auf, diesen durchzulesen und auszufüllen. Der Fragebogen besteht aus 37 Fragen, auf welche mit Ja oder Nein geantwortet werden kann. So will das Rote Kreuz ­abklären, ob eine Zulassung zur Blutspende ­möglich ist. Dann kommt es zu einem Ärzt_­innengespräch, bei dem der Fragebogen durchgegangen wird. Bei Frage 37 handelt es sich um die Schicksalsfrage: «Hatten Sie in den letzten zwölf Monaten eines der folgenden Risikoverhalten: Sexdienstleistung gegen Geld oder Drogen; mehr als drei Sexualpartner_­innen; als Mann Sex mit einem Mann?» Wenn man diese Frage mit Ja beantwortet, unterbricht die Ärztin das Gespräch, hält kurz inne und erklärt, dass man aus Sicherheitsgründen von der Blutspende ausgeschlossen wird. Das Ärzt_­innengespräch ist somit beendet. Ein Ausschluss kann auch andere Gründe haben. So gibt es nach einem Auslandsaufenthalt in Brasilien oder auch nach einem Zahnarztbesuch eigene Regelungen. Die wissenschaftliche Erklärung für die verschiedenen Verbote ist der Schutz vor schweren, durch Blut übertragbare Krankheiten. Zu diesen gehört auch HIV, ein Virus, das die körpereigene ­Immunreaktion schwächt und bei ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr übertragen werden kann. Ohne Therapie kann das HIV zu AIDS führen, die durch den immungeschwächten Körper entstehende Krankheit. Der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern wird als Risikoverhalten eingestuft, in der Folge wird eine einjährige Spendensperre vorgeschrieben.

Diskriminierungsvorwürfe.

Doch wie hoch ist das Risiko für Homosexuelle, sich an HIV zu infizieren, wirklich? Im Jahr 2020 gab es in Österreich 332 Neuinfektionen, etwa die Hälfte davon sind auf Männer zurückzuführen, die Sex mit Männern hatten. Schwule Männer machen rund vier Prozent der Bevölkerung aus. Statistisch gesehen ist somit die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit HIV infizieren, deutlich höher. ­Außer Acht gelassen wird hier die Dunkel­ziffer. In Österreich gibt es laut der ­Österreichischen AIDS Gesellschaft etwa 9.000 HIV-positive Personen. Studien des Zentrums für Virologie der Medizinischen Universität Wien zeigen, dass knapp zehn Prozent dieser Infizierten über ihre Infektion nicht Bescheid weiß. Bei Männern, die Sex mit Männern haben, wird eine Infektion deutlich früher und schneller erkannt. Denn diese würden sich häufiger testen lassen und seien für die Prävention von einer ­HIV-Infektion sensibilisiert.
Das Österreichische Rote Kreuz argumentiert, dass das Verbot nur aus medizinischen Gründen besteht. «Das Rote Kreuz trägt die medizinische Verantwortung, Österreich mit sicheren Blutkonserven flächendeckend zu versorgen. Es ist aber Aufgabe der Politik, gesellschaftliche und gesundheitliche I­nteressen abzuwägen», betont Ursula Kreil, Transfusionsmedizinerin des ­Österreichischen Roten Kreuzes. Sie beruft sich zudem auf einen der Grundsätze des Roten Kreuzes: der Unparteilichkeit. Dies bedeutet, dass das Rote Kreuz nicht zwischen religiöser, politischer oder sexueller Orientierung unterscheide. Außerdem halte man sich nur an die Vorgaben der Behörden. Das Rote Kreuz weist folglich jeglichen Vorwurf der Diskriminierung zurück.
Ganz anders sieht das die Homosexuelle Initiative Wien, kurz HOSI. «Es ist eindeutig diskriminierend. Hier wird eine bestimmte Gruppe aufgrund eines Faktors, der vielleicht in den Achtzigern relevant war, ausgeschlossen», sagt Ann-Sophie Otte, Obfrau der ­Initiative. Laut ihr wird mit HIV falsch umge­gangen: «Bei der jetzigen gesetzlichen Lage wird jeder homosexuelle Mann ausgeschlossen. Ihnen wird aufgrund ihrer sexuellen Orientierung sexuelles Risikoverhalten vorgeworfen.» Es wird kein Unterschied gemacht, ob es sich um jemanden handelt, der seit fünf Jahren in einer monogamen Partnerschaft lebt, oder ob jemand regelmäßiger Gast von Sex-Partys ist. Otte kritisiert, dass folglich eine ganze Bevölkerungsschicht ausgegliedert wird, ohne genauer über das individuelle Verhalten Bescheid zu wissen. Weiters motiviert sie ihre Aussage dadurch, dass Heterosexuelle somit die gleiche Art von Risiko-Geschlechtsverkehr praktizieren könnten wie Homosexuelle und trotzdem nicht von einem Ausschluss betroffen seien.

Lösungsvorschlag.

Jede Blutspende wird mittels PCR-Test auf Krankheitserreger untersucht. Viren bzw. virusspezifische Antikörper können so festgestellt werden. Ein PCR-Test erkennt jedoch erst zwei Wochen nach einer HIV-Infektion die Krankheitserreger. Trotz Testung kann man so nicht zu 100 % sicher sein, ob die Person Träger_in ist oder nicht. «Selbst bei modernsten Tests bleibt ein Restrisiko für Übertragung einer Infektion, da in einem frühen Krankheitsstadium die ­Infektion noch nicht im Blut nachgewiesen, aber bereits übertragen werden kann», sagt Ursula Kreil.
Die HOSI schlägt ein System vor, wie es schon in anderen EU-Ländern üblich ist. So wird in Italien und Spanien das individuelle Risikoverhalten der Spender_innen bewertet. Um dieses zu ermitteln, werden genaue Sexualpraktiken abgefragt. Vor allem wird hier darauf Wert gelegt, dass die Spender_innen keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Die HOSI glaubt, dass so die Blutspende für alle sicherer werde. Laut Aussagen des Roten Kreuzes wird das Abfragen der Sexualpraktiken in Österreich nicht gemacht, da man fürchtet, zu viele konservative Spender_innen in den länd­licheren Gebieten zu verlieren.

Politisches Zögern.

In Österreich gibt es erste Schritte, um gegen dieses Verbot vorzugehen. Der ehemalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober kündigte 2020 an, das Verbot ganz abschaffen zu wollen. Dies passierte nicht. Zu Beginn des Jahres 2021 kam es durch Forderungen der NEOS und der SPÖ zu einem ­Expert_­innen-Hearing im Gesund­heitsausschuss. Hier wägten Fachkun­dige die Vor- und Nachteile der Blutspende-Situation ab. Im Anschluss gab es eine ­Abstimmung. NEOS, SPÖ und FPÖ stimmten in Mehrheit für die Abschaffung des Verbotes. Grüne und ÖVP stimmten dagegen. Die Koalitionsparteien entschieden die Abstimmung für sich, das Verbot blieb unverändert. Im März 2021 kündigte Anschober an, das Verbot nicht abzuschaffen, sondern die Wartezeit zu verkürzen. Demnach dürften homosexuelle Männer nach vier Monaten ohne Geschlechtsverkehr für eine Blutspende zugelassen werden. Diese Verkürzung wurde bislang nicht umgesetzt.
Europaweit ist Österreich eines der letzten Länder mit solch strengen ­Regeln. Ob und wann es zu der Abschaffung des Verbots kommt, ist nicht absehbar. Für die HOSI Wien schickt die Regierung ­damit eine klare Botschaft: Hetero Blut wird ­geschätzt und gebraucht, schwules Blut ist unbrauchbar.