Bratislavaer Torheitvorstadt

Garagen prägen das Bild der slowakischen Hauptstadt – zumindest für Wenzel Müller (Text & Fotos), unser Bratislava-Korrespondent.

Unwillkürlich fühlt man sich an eine Reihenhaussiedlung erinnert. Doch es sind nicht Häuser, es sind Garagen, die sich hier in der Nähe des Hauptbahnhofs von Bratislava endlos aneinanderreihen. Garagen, die sichtlich schon einige Jahre auf dem Buckel haben.
Bratislava erlebt einen Boom. Moderne Bürobauten schießen aus dem Boden. Schon haben die Mietpreise in der Stadt das Niveau von Wien erreicht. Wer bauen möchte, weicht aus über die Grenze, nach Kittsee, wo die Grundstückspreise inzwischen günstiger sind als rund um die slowakische Hauptstadt.
Es ist noch gar nicht so lange her, da lag Bratislava hinter dem Eisernen Vorhang. Nur schwer zu erreichen. Und was sollte man da überhaupt, in dieser Stadt, die schon von weitem mit ihren in die Höhe ragenden Plattenbauten doch nur uniforme Tristesse zu versprechen schien?
Erst kamen die Firmen, angelockt durch niedrige Steuern, dann die Menschen. Mit der politischen Wende setzte ein Umbruch ein, ein Umbruch, der sich nicht zuletzt im Stadtbild widerspiegelt. Einige Stadtviertel erscheinen nun grauer als zuvor, in anderen, vor allem in den noblen Hanglagen, werden neue Häuser gebaut, die auch gut nach Döbling oder Grinzing passen würden.
Was sich allerdings bei aller Umbaueuphorie hartnäckig behauptet, das sind die Garagen aus realsozialistischen Zeiten. Und zwar in allen Stadtteilen. Man findet sie nicht nur in der Bahnhofsgegend, wo sie in ihrer Eintönigkeit mit den dortigen Wohnblocks trefflich harmonieren, sondern auch in deren besseren Gegenden, so in Staré Mesto beispielsweise, wo sie zu den dortigen Gründerzeitvillen geradewegs wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge passen.
Warum dieser Fortbestand, warum diese eigenartige Anhänglichkeit der Bratislavaer Bürger_innen an ihre Garagen? Stehen die etwa unter Denkmalschutz? Nein, das tun sie nicht. Eher scheint hier so etwas wie sentimentale Reminiszenz im Spiel zu sein.
Ewig mussten die Einwohner_innen von Bratislava (und überhaupt der Slowakei) einst warten, bis sie endlich ihren bestellten Škoda oder Moskwitsch bekamen – doch irgendwann war es so weit. Und dann bekam das teure Stück sogleich seine eigene Heimstätte. Falls man sich glücklich schätzen konnte, zu den wenigen Garagenbesitzer_innen in der Stadt zu zählen.
Im Rückblick müssen wir mit einiger Ernüchterung feststellen: Auch wenn der sozialistische Osten für sich in Anspruch nahm, eine bessere und gerechtere Welt zu erschaffen – seine Bürger_innen huldigten dem gleichen Götzen wie im Westen: dem Auto. Und machten sich mit dem Garagenbau der gleichen verödenden, bodenfressenden Landplage schuldig, dem gleichen Irrsinn. Heute ist die Autoindustrie mit 126.000 Mitarbeiter_innen die wichtigste Arbeitgeberin im Land. Ja, nirgendwo auf der Welt werden mehr Autos pro Kopf produziert als in der vor allem für große Hersteller so beliebten Slowakei.
Auf manchen Garagentoren ist im oberen Eck eine Zahl angebracht. Sie weist darauf hin, zu welchem Bezirk und welchem Haus die Garage gehört.
Bei uns dominierten in der Nachkriegszeit die geriffelten Garagentore, die zu kippen waren. In Bratislava sind die Tore zweiflügelig und gehen zur Seite auf. Je nach Standort stehen sie in Reihen, kleinen Gruppen oder einzeln.
Manche der Garagentore rosten friedlich vor sich hin, andere sind frisch gestrichen und leuchten in Rot oder Gelb. Und an vielen haben sich Sprayer_innen verewigt. Die Zeit der Einheitlichkeit ist eben vorbei. Heute ist Individualität angesagt. 

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