Eing'Schenkt (17. Jänner 2023)
Vor dreißig Jahren explodierten die ersten Briefbomben in den Händen der Redakteurin der ORF-Minderheitenredaktion Silvana Meixner und des in der Flüchtlingshilfe engagierten Pfarrers August Janisch. Es sollten 25 Briefbomben und drei Sprengfallen werden – mit vier Toten und dreizehn zum Teil schwer Verletzten, die größte Terrorserie der zweiten Republik.
Mit einer Rohrbombe tötete der Terror im burgenländischen Oberwart Josef Simon, Peter Sarközi, Karl Horvath und Erwin Horvath – als sie eine Tafel mit der Schmähschrift «Roma zurück nach Indien» entfernen wollten. Die Polizei durchsuchte zuerst die Häuser und Wohnungen der Roma-Familien. Manuela Horvath – zwei der Ermordeten waren ihre Cousins – erzählt, wie sie, damals ein 10-jähriges Mädchen, mit Schock und Angst über die Todesgefahr da draußen in der Küche saß, während die Polizei ihr Kinderzimmer durchsuchte. Es dauerte Tage, bis die Behörden einen rassistischen Terroranschlag in Betracht zogen. Es gab keine Großfahndung, keine Straßenkontrollen im Großraum Oberwart und auch keine Warnung an die Bevölkerung. Dies erfolgte erst, nachdem zwei Tage später im einige Kilometer entfernten zweisprachigen Stinatz die nächste Bombe explodierte und Erich Preiszler die Hand zerfetzte. Rassistische Vorurteile vernebeln die klare Sicht, behindern die Aufklärung.
Viel stärker steht bei Berichten der Täter im Fokus. Der Terrorist – übrigens ein Begriff, der im Zusammenhang mit Franz Fuchs kaum vorkommt, meist heißt es «der Briefbomber» oder «der Attentäter» – sei «unauffällig» gewesen, ein «normaler» Nachbar, vielleicht ein wenig eigenbrötlerisch ja, aber sonst nicht der Rede wert. War er vorher noch ein unauffällig Normaler aus der gesellschaftlichen Mitte, wird er nachher zum «verrückten Einzeltäter». Das hilft, sein problematisches ideologisches und gesellschaftliches Umfeld auszublenden.
In den Bekennerbriefen offenbart sich ein Weltbild, das vielen nicht so fremd ist. Es beginnt mit einer giftigen und dominanten Männlichkeit, geht weiter mit völkischer Gesellschaftsordnung und endet bei autoritärer Haltung gegenüber Demokratie und Pluralismus. Kultur wird als Natur gedacht, eine einzige Identität wird zum alleinigen Zentrum des Lebens. Soziale Ungleichheit wird mit eingeborener Differenz, Gesellschaft mit Volk verwechselt. Ähnlich argumentiert der Terrorist aus Norwegen (71 Ermordete) in seinen Bekennerbriefen, oder der Attentäter von Christchurch (51 Tote), bei dem sich auch Linien zu den Identitären in Österreich finden.
Als wir begannen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und eine Kundgebung in Wien und Oberwart vorbereiteten, kamen aus dem Radio die ersten Stellungnahmen. «Wer sagt, dass es da nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einem Auto-Schieber-Deal oder um Drogen gegangen ist», erklärte Jörg Haider, Obmann der FPÖ. Das war und ist die Grundstrategie völkischer und identitärer Argumente. Minderheiten zu den «ganz Anderen» zu erklären (Othering), zu Sündenböcken für alles und jedes zu machen, sie abzuwerten und zu kriminalisieren. Im Kern bescheinigt diese Rhetorik den Opfern, dass sie selbst für die ihnen angedrohte oder zugefügte Gewalt verantwortlich sind.
Was mir im Rückblick auffällt: Es gibt keine Sprache, keine gemeinsame Erzählung. Die größte Terrorserie der zweiten Republik ist im kollektiven Gedächtnis des Landes unsichtbar, liegt im Nebel, die Erinnerungen verblassen, die Namen der Opfer verstummen. Wir erinnern uns jetzt 30 Jahre danach an die allgemeine Nichterinnerung