Brücke der FreundschaftArtistin

Entdeckt beim AtelierRundgang: Der bulgarische Filmemacher K. Stoyanov

Gegebene Strukturen für neue Zwecke nutzen: Bei freiem Eintritt konnten ein sonniges Wochenende lang vor allem im zweiten Wiener Gemeindebezirk 86 Spielorte zeitgenössischer Kunst besucht werden. Ein Lokalaugenschein.Mich interessieren Zwischenbereiche im öffentlichen Raum, die gleich aussehen wie normale Bereiche, aber nicht erlaubt sind. Zwischenräume im Alltag, die sozusagen zwischen Kunst und Menschlichkeit angesiedelt sind, in denen vorgegebene Strukturen für neue, andere Zwecke benutzt werden, sagt Kamen Stoyanov. Der junge, coole Filmemacher sitzt in der Sonne vor einer Galerie in der Praterstraße 15 und braucht dringend seine Sonnebrille. Worte verlieren tut er auch nicht so gerne. „Mich interessiert es, wenn öffentliche Strukturen für etwas anderes verwendet werden. Das passiert in Österreich nicht so oft wie in Bulgarien.“ Er rückt mit seinem Stuhl nach hinten in den Schatten hinein und schwärmt von einem improvisierten Flohmarkt an einem Kanal in Sofia, an dem Leute ihre Waren halb im Wasser anboten. „Es gab nicht einmal eine Treppe, die sind die Böschung hinuntergerutscht. Aber inzwischen wurden die Flohmarktverkäufer wieder vertrieben.“

Stoyanov nimmt als vorführender Künstler am AtelierRundgang des 1., 2., 3. und 20. Bezirks teil. Die Unmenge von 86 sehr unterschiedlichen Locations können besucht werden: Ateliers, wie das von Monika Frank mit ihren schönen farbigen Flechtbildern oder Architekturbüros wie „Liquifer“, in dem Barbara Imhof Architektur für Weltraum-Shuttels entwirft. Die KünstlerInnen sind „zu Hause“ bzw. vor Ort und erklären einem gerne ihre Kunst.

Kunst auf Säulen

Kamen Stoyanov will in die große, dunkle, kalte Galerie zurückkehren, wo er schnell wieder an seinem Laptop sitzt. Er zeigt ein Video her, das am zweiten Januar dieses Jahres entstand, als er mit seiner Kusine Sornitza zum ersten Mal die ehemalige „Brücke der Freundschaft“, die heutige Dunav Most/Donaubrücke, überquert, um erstmalig ins benachbarte Rumänien zu reisen. Die Bürgermeister der gegenüberliegenden Städte Rousse und Giurgiu initiierten diese Osterweiterung live, mit Hilfe eines Gratis-Busverkehrs ging es plötzlich über eine noch zwei Tage zuvor nur mit viel Schwierigkeiten passierbare Grenze. „Wir wissen dass Giurgiu eine Industriestadt ist, mehr nicht. Das Unbekannte zieht uns an. Jede banale Situation kann spannend erscheinen. In Rumänien scheint die EU-Begeisterung größer zu sein als in Bulgarien. Man sieht die europäische Fahne alle zwanzig Meter. Wir sind schnell mit den Sehenswürdigkeiten fertig“, beschreibt im Film der Erzähler den Ausflug.

Stoyanovs Film „Roma Open Art Museum“, gedreht auf der Piazza Augusto Imperatore in Rom, handelt von dem römischen Künstler Fausto Delle Chiaie, der mit schickem braunen Mantel, gestutztem Bart und dunkler Brille Führungen in seinem auf verschiedenen Säulen selbst errichteten Freiluft-Kunstmuseum veranstaltet. „Lunedi chiuso/Mondays closed“ steht auf einem Schild. Der improvisierende Künstler stellte seine Kunst auf die Überreste einer alten Grabstätte, immer mit Texten dazu und erläutert mit weiten Gesten seine Werke. „Die Kunst liegt in den Erklärungen“, meint Stoyanov noch. Doch dann arbeitet er schon wieder weiter und verschwindet glücklich und diszipliniert in seiner Gedankenwelt.

Nilpferde und Paramilitärs

Am Max-Winter-Platz in einem Souterrain mit schwarz-weißem Fliesenboden hat Tanja Boukal ihr Atelier. In einer Fotoserie an der Wand sieht man die ehemalige Residenz des kolumbianischen Diktators Escobar: „Er hatte sich seine Residenz wie ein Kind eingerichtet“, lächelt die weit gereiste Künstlerin, die schon einmal Assistentin von Valie Export war. „Mit einer Go-Cart-Bahn, einer Stierkampfarena, Nilpferden und einer Sammlung von meterhohen Dinosauriern. Das mittlerweile von Gebüschen verwachsene Areal wird noch immer von Paramilitärs bewacht.“ In der Dschungellandschaft Choco gründeten im 16. Jahrhundert geflüchtete SklavInnen ihre Dörfer, die „Palenques“ (Pfeiler). Die ehemaligen SklavInnen nannten sich „Cimarrones“, was so viel wie „entlaufene Haustiere“ bedeutet. In das Gebiet, das von dichtem Regenwald bewachsen ist, führt nur eine einzige Straße hinein und eine wieder hinaus. Beide Straßen werden oft von Paramilitärs gesperrt. Boukal besuchte die Nachfahren der SklavInnen, im Moment ist bedingt durch die militärische Lage in Kolumbien aber wieder kein Zugang möglich.

Von der Stadt Kairo schwärmt der Maler Frederick Steinmann mit französischem Akzent in der Praterstraße 43, der in dunklem Anzug mit langen Schritten seine Räume abschreitet und wie auf der Durchreise wirkt. Er lebte lange in Kairo, in einer Villa mit hohen Räumen. „Das Licht war so wie hier, in Wien“, sagt er. Kleine Kathedralen aus Holz, die einen Ateliersbrand überstanden, stehen in einer Ecke. Ein Krokodil hängt an der Decke. Meine Mutter rückt ihre Brille auf die Nase und durchsucht die Leinwände, die an den Wänden gestapelt sind. „Was ist ihre Ausbildung?“, ist ihre Standardfrage an die MalerInnen, die wir besuchen. „Welche Materialien verwenden Sie?“ Ich lache sie aus. Sie rückt ganz ernsthaft der Kunst zu Leibe, wühlt heimlich in dunklen Ecken und befördert weitere Kunstwerke ans Tageslicht: „Sag‘ ja niemanden, dass ich eine Malerin bin. Ich tue so, als ob ich eine Sammlerin wäre!“

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