Buchläden sterben anderswotun & lassen

Weil es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie ...

Alle Wiener_innen lieben bekanntlich den Pandabären. Aber lieben sie ihn auch mit einer Mütze, auf der ein eindeutiges politisches Statement sichtbar ist, der fünfzackige rote Stern? Und mit der zur Faust geballten rechten Tatze? Und mit dem roten Buch in der linken Tatze?

Anders gefragt: Gibt es eine Kundschaft für die «Libreria Utopia», die neue Buchhandlung im 15. Bezirk, die sich das chinesische Kuscheltier mit den Insignien der Weltrevolution als Logo und als Schutzengerl ausgewählt hat?

 

Die Politikwissenschaftlerin Steffi Klamuth und der Hacker Pablo Hörtner wollen es wissen. Buchladensterben gibt’s anderswo. In der Preysinggasse im 15. Wiener Gemeindebezirk, in einem Grätzel, wo man statt schicken Bobokneipen Wettcafés und islamische Kulturvereine vorfindet, wollen sie ein Konzept verwirklichen, «wofür es Vorbilder in Berlin, London oder Prag gibt, nicht aber in Wien», wie Steffi informiert. Das Konzept heißt: einen Freiraum herzustellen, in dem Richtiges gegessen, Richtiges getrunken, Richtiges gekauft, Richtiges gelesen, Richtiges gehört wird – und in dem auch richtige Geselligkeit stattfindet, was heißt: Geselligkeit ohne Konsumzwang. Richtig essen heißt für die Neobuchhändler_innen vegan essen, getrunken wird das Schremser Bier, für welches ausschließlich regionale Grundmaterialien verwendet werden, und was die richtige Lektüre betrifft, komme ich weiter unten auf sie zu sprechen.

Bücher gegen das System

An sich sind Bobos für Buchläden, vor allem mit avanciertem Warenangebot, unentbehrlich, denn sie zählen auf Grund ihrer Bildungsprivilegien zu den Vielleser_innen. Steffi und Pablo haben sich bewusst ein Grätzl ausgesucht, das von Gentrifizierungsprozessen und übermäßigem Bobo-Zuzug verschont geblieben ist. «Libreria Utopia» nennen sie ihre Oase in der kulturellen Wüste Fünfhaus, und möglicherweise enthält dieser Titel die Vorahnung, dass manche ihrer Vorstellungen doch allzu utopisch sind, nicht zuletzt Pablos Credo: «Wir wollen mit Librería Utopía einen Beitrag dazu leisten, das herrschende System zu Grabe zu tragen.»

Am 2. Dezember also startet das Experiment einer «dezidiert linken Fachbuchhandlung», die – sobald es im kommenden Jahr die Temperaturen erlauben – auch einen Schanigarten haben wird. Das Sortiment wird dominiert von geistes- und sozialwissenschaftliche Fachliteratur linker Autor_innen, die in Wien sonst schwer zu finden ist. Ich unterdrücke mein Vorurteil, weit verbreitete, etwa von Morawa vertriebene Literatur gelte in diesem Geschäft pauschal als brave Literatur; tatsächlich will Pablo die Regale nicht mit «weichgespülten Kuschelreformismus à la Attac, ÖGB, amnesty international oder Global 2000 mit deren angepasster und oftmals fragwürdigen Bündnispolitik mit den Herrschenden» verstopfen. Steffi und Pablo rechnen trotz diesem «Reinheitsgebot« mit Interessent_innen aus ganz Wien, zumal die U3 (Station Schweglergasse, nur eine Station nach dem Westbahnhof) freundlicherweise die Nachfrage nahe zum Angebot karrt. Die Laufkundschaft wird nicht mit Michel Foucault und Walter Benjamin in den Laden gelockt, sondern mit antiautoritären Kinderbüchern, Grafic Novels und den Kochkulturbüchern aus dem Mandelbaum-Verlag.

Poesie und Disziplin

Vom erwähnten Benjamin stammt der Satz von der Balance zwischen Poesie und Disziplin, die einen Revolutionär, eine Revolutionärin ausmache. Ich habe mir angewohnt, linke Projekte oder Personen nach diesem Kriterium zu beurteilen. Der Fokus auf Sachliteratur, der aus dem Konzept herauszulesen ist, verleitete mich zur Annahme, die beiden linken Bücherfreaks aus der Preysingergasse hätten es eher mit der Disziplin. Steffi versicherte aber glaubhaft, Peter Weiß‘ Roman «Die Ästhetik des Widerstandes» würde ebenso im Sortiment sein wie das Werk der Dadaisten. Und ein Blick auf das T-Shirt ihres Partners, auf dem für «Discordian Communism» geworben wird, kann als Pablos Bereitschaft zum Verspielten, zum Spielerischen gedeutet werden: ein wichtiges Element des poetischen Prinzips im Sinne Benjamins. Die Diskordianer (bzw. Diskordier) sind nämlich in Robert Anton Wilsons Buch «Illuminatus!» ein Volk von Verwirrungsstiftern, Dogmenbrechern, Chaotikern und anarchistischen Alles-in-Frage-Stellenden.

Libreria Utopia

1150, Preysinggasse 26-28

Offen ab 14 Uhr

www.radicalbookstore.com

0 660 391 38 65

Eröffnungsprogramm, Empfehlung:

Mo., 2. 12., 18 Uhr: Ilija Trojanow, «Der überflüssige Mensch»

Do., 5. 12., 18 Uhr: Podiumsdiskussion über Partisaninnen des 20. Jahrhunderts

Sa., 7. 12., 18 Uhr: Poetry Slam

In der Folge wöchentlich Veranstaltungen

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