Rot-Grüner Realitätenhandel
Es fehlt in Wien an leistbarem Raum. Nicht nur zum Wohnen, auch zum Arbeiten. Raum für Künstler_innen, für Nachbarschaftsinitiativen – für kollektive, soziale, kulturelle und politische Projekte. Die rot-grüne Antwort auf das Raumproblem ist die Privatisierung des Problemfeldes: eine Agentur, die in Wien «Zwischennutzung zum Prinzip werden» lassen soll. Ulli Gladik und Clemens Staudinger haben nachgefragt, ob Zwischennutzung und Verdrängung eventuell miteinander zu tun haben.
Illu: Karl Berger
Bereits im rot-grünen Koalitionsabkommen 2010 beschlossen, dauerte es bis 2015 zur Ausschreibung: «Aufbau und Etablierung einer Serviceagentur für Leerstandsaktivierung». 450.000 Euro Steuergeld nutzen Stadt und Wirtschaftsagentur Wien in den nächsten drei Jahren dafür. Auffallend: Prekäre Rahmenbedingungen oder mögliche Verdrängungsprozesse, die Zwischennutzung in der Regel nach sich zieht, sind kein Thema der Agentur.
«Unsere Hauptaufgabe liegt in der Rolle als Vermittlerin zwischen Mieter_innen und Immobilienbesitzer_innen», so die PR Beraterin Astrid Bader, die gemeinsam mit anderen als Konsortium die Ausschreibung gewann. «Es gibt viele Immobilieneigentümer, die nicht abgeneigt sind, Raum zur Verfügung zu stellen, nur haben sie Berührungsängste, die wir abbauen.» Als Nutzer_innengruppe werden in der Ausschreibung «Kunst- und Kulturschaffende, Wissensarbeiter_innen, sowie Unternehmen aus der Kreativwirtschaft» genannt.
Warum steigen die Preise bloß SOHOch?
Auch im Konsortium: SOHO-Gründerin Ula Schneider. Als Grund für deren Berufung nennt die Stadt Wien «die langjährigen Erfolge von Schneider, Immobilienbesitzer_innen von temporären Nutzungen zu überzeugen, in Kombination mit dem jungen Label, das sich mit kreativen Erdgeschossnutzungen auch international einen Namen gemacht hat.» Sicher hat SOHO Ottakring die Wiener Kulturszene sehr bereichert. So siedelten sich rund um den Yppenplatz Ateliers, Galerien, Cafés an, die das Viertel bunter machten. Aber: Mit der Nachfrage stiegen die Preise und das Grätzl wurde auch für die Immobilienbranche profitabler, die «hippe Szene» wird gerne als Zusatz-Asset angepriesen. Ärmere oder mietrechtsunkundige Bewohner_innen werden sukzessive verdrängt, improvisierte Künstlercafés weichen schließlich Spezialitätenrestaurants, Mietpreissteigerungen allein in den letzten 5 Jahren: + 23 Prozent. Ein Prozess startete, der in der Stadtforschung als Gentrifizierung bezeichnet wird. Doch in der Agenturausschreibung hat die Stadt Wien keine Methoden zur rechtzeitigen Gegensteuerung verlangt – im Gegenteil, das Phänomen findet überhaupt keine Erwähnung. Vielmehr wird stolz verkündet, dass Zwischennutzung die Attraktivität von Immobilien erhöhe. Konzepte gegen Verdrängung gibt es längst und sind z. B. im «Bye-bye, Miethai»-Antispekulationspaket nachzulesen, mit dem die Grünen bei der Wienwahl 2015 warben.
Wie viel Demokratie wünschen Sie?
Christian Knapp, Unternehmer und ebenfalls Konsortiumsmitglied, spricht die Sprache jener, die Eigentum an Grund und Boden prinzipiell nicht in Frage stellen: «Gentrifizierung ist ein undefinierter Begriff, ein polemisch-politisches Wort». Aufgabe der Agentur sei es, Leerstand zu minimieren und Stadtteile aufzuwerten. Knapp ist übrigens auch in anderen Immobiliengeschäftsfeldern tätig. Er erfand und betreibt gemeinsam mit Kolleg_innen das Grätzlhotel, z. B. im Karmeliterviertel. Er selbst meint, dass sein Unternehmen mit der Agenturarbeit aber nichts zu tun habe.
Auch die Künstler_inneninteressensvertretung IG Kultur sieht Zwischennutzung problematisch, denn «dadurch werden immer wieder neue unsichere Verhältnisse geschaffen, die gerade für Menschen im Kultur- und Sozialbereich, die ohnehin oft un- oder schlecht bezahlte Arbeit machen, eine Vertiefung ihrer prekären Verhältnisse bedeuten», so Willi Hejda, IG Kultur Wien. Bereits 2013 wurde ein Mangel an leistbaren, langfristig verfügbaren Büros und Ateliers in Wien von der IG dokumentiert. Hejda will, dass ein Nutzer_innenbeirat implementiert wird. «Positionen, die sonst ungehört bleiben, müssen mitverankert werden, nämlich Rauminteressen von verdrängten Gruppen, oder Positionen aus migrantischer oder postmigrantischer Sicht», so Hejda, «denn es soll nicht nur um die kreative Wirtschaft gehen, die sich ohnehin gut artikulieren kann.» Ist so viel Demokratie erwünscht?
Ist Zwischennutzung die neoliberale Antwort auf die Forderung nach leistbarem Arbeitsraum, die vor allem Profit für die Immobranche bringt? Bader und Knapp sehen das nicht so. Neben Prekariumsverträgen (die Immobilieneigentümer_innen die Möglichkeit geben, Mieter_innen jederzeit an die Luft zu setzen), soll es auch Vertragsformen geben, die mehr Sicherheit bieten. Auch soziale und politische Gruppen sollen die Möglichkeit bekommen, Leerstand zu nutzen, versichert Knapp dem Augustin. Den tatsächlichen Start der Agentur mit dem Namen «Kreative Räume» stellt Astrid Bader für Juli in Aussicht.
Einmal mehr wird es wohl bei politischen Initiativen liegen, Verdrängungsprozesse zu dokumentieren, die Folgen aufzuzeigen und Betroffene zu unterstützen. Dazu bedarf es mehr als plakative Wahlversprechen wie «Bye-bye, Miethai» – konkrete Aktion ist gefragt!