Akrobatische Kämpfe, alberne Outfits, absurde Charaktere. Eine junge
Generation von Athlet_innen und der Weg in den Untergrund haben Wrestling zu einer neuen Zielgruppe verholfen. Über die Renaissance eines Ur-Wiener Sports berichten
Sebastian Panny (Text) und Heinz Tesarek (Fotos).
Bild: Chabela kennt nur eine Antwort auf den Versuch, ihr Bestechungsgelder unter die Nase zu reiben
Das Gespenst des Kapitalismus hält an diesem verregneten Sonntagnachmittag im Jänner auch im Weberknecht Einzug – in der Person der «Million Dollar Ma’am». Das Gesicht versteckt hinter einer Ringermaske und mit prall gefüllten Geldsäcken in den Händen erwartet sie ihre Gegnerin. «She’s got balls» von AC/DC erklingt, Jubel brandet auf. Das Publikum ruft nach der «Königin vom Kella». Chabela sprintet auf die Bühne und zieht sich zwei Eier aus dem Höschen. Die Geldscheine, die ihre Kontrahentin als Bestechungsversuch zusteckt, nimmt sie entgegen – nur um sie publikumswirksam anzuzünden. Die Leute sind angeheizt, der Kampf kann beginnen.
Das Konzept des Wrestlings ist schnell erklärt: Mindestens zwei Athlet_innen bestreiten einen möglichst spektakulären Kampf. Wer gewinnt, wird im Vorhinein bestimmt. Als Wrestling noch Catchen genannt wurde, waren die Kämpfe ein Massenspektakel. Wien galt als eines der europäischen Zentren, ab 1892 fanden im Prater Veranstaltungen statt. Allein im Sommer 1964 fieberten laut ORF-Bericht insgesamt mehr als 350.000 Menschen bei den Shows am Wiener Heumarkt mit. Der letzte große österreichische Vertreter seiner Zunft war Otto Wanz, er durfte sich sogar World Heavyweight Champion nennen. Nach seinem Karriereende 1990 sank die Popularität des Sportes im deutschsprachigen Raum. Kurz vor der Jahrtausendwende ging auch der letzte Kampf am Heumarkt über die Bühne.
Kämpferinnen im Untergrund.
Im Keller des Lokals am Lerchenfelder Gürtel drängen sich etwa 170 Personen aneinander und an die kahlen Backsteinwände. Es ist heiß, finster und stickig, der Boden leicht klebrig. Plakate künden von den Veranstaltungen, die sonst stattfinden, die Palette reicht von Bravo-Hits- bis Goa-Partys. Einige der Anwesenden kennen sich, sie werfen sich Grüße zu. Die unterschiedlichsten Leute haben zehn Euro Eintritt bezahlt: Die Sozialarbeiterin mit Dreadlocks und Bandshirt sitzt hier neben dem alten, grauhaarigen Mann im Norwegerpulli. Der überwiegende Teil des Publikums ist jung und könnte auch bei den Abendveranstaltungen anwesend sein, überraschend viele Frauen sind darunter. Warum sie alle hier sind? «Es geht nur um die Gaudi», so eine der Zuseherinnen.
Alle zwei Monate veranstaltet World Underground Wrestling (WUW) Kämpfe im Weberknecht, sechs stehen an diesem Tag an. Das vorletzte Match, der zweite Frauenkampf an diesem Nachmittag, ist jenes zwischen Chabela und Million Dollar Ma’am. Es folgt einer klassischen Dramaturgie: Nach dem Einlauf beginnt ein Geplänkel, die Kämpferinnen teilen Schläge aus und werfen sich gegenseitig zu Boden. Million Dollar Ma’am hat bald die Oberhand, das Publikum ist nicht glücklich darüber. Rollen und Sympathien sind klar verteilt.
«Zuerst habe ich mir gedacht, ich muss die Böse geben. Das ist aber wirklich harte Arbeit und benötigt viel Erfahrung. In erster Linie musst du gegen das Publikum sein. Ich habe dann alles auf mich zukommen lassen – das ist jetzt eben da, damit spiele ich», erzählt Chabela in einem Beisl in Rudolfsheim. Die 38-Jährige heißt im echten Leben mit Vornamen Isabell. Ihren Nachnamen möchte sie nicht in dieser Zeitung finden, es solle – ihrem Wunsch nach – ihre Bühnenfigur im Mittelpunkt stehen.
Isabell kommt, wie einige Wrestler_innen, aus der performativen Kunstszene. Eigentlich ist Isabell Clownin, sie verdient ihr Geld auch als Kindergartenpädagogin und mit Straßentheater. Irgendwann wollte sie einen Kampfsport erlernen, bald kam sie auf Wrestling, «diese saublöden Gestalten, die da bunt angezogen in die Manege reiten und sich gegenseitig vermöbeln». Vor vier Jahren suchte sie sich eine Wrestlingschule aus und ging zu einem Trainingstermin. Dass genau an diesem Tag das Training ausfiel, änderte nichts daran, dass Chabela schon vier Monate später ihren ersten Kampf bestritt.
Drama, Baby.
Das Match nimmt nun Fahrt auf, langsam wendet sich das Blatt. Das liegt nicht nur am Geschehen auf der Bühne, das Publikum spielt hier mit. Die Zuseher_innen kommentieren, feuern an – und vor allem schimpfen sie. «Brich ihr’s Gnack!» ist noch einer der harmloseren Zwischenrufe. Drei Frauen sehen sich erschrocken um, rücken etwas näher zusammen. Sie studieren Theaterwissenschaften und sind nur wegen einer Lehrveranstaltung hier. «Ich finde das eher verstörend», meint eine von ihnen.
«Schlimm ist es, wenn die Leute ruhig sind. Wrestling ist wie eine Seifenoper – nur halt mit Publikumsbeteiligung und Kampfsport», meint Chabela. Viele Zuseher_innen kommen regelmäßig und bringen Schlachtrufe für ihre Favorit_innen mit. Sie sind hier nahe am Geschehen: Im Unterschied zum normalen Wrestling gibt es weder Ring noch Seile. Die Kämpfe finden auf einer Bühne statt, verlagern sich oft auf den Bereich davor oder in den Gang zwischen den Bänken. Dort landet auch Chabela, sie hat ihre Gegnerin mittlerweile im Griff und jagt sie durch das Publikum. Nach einer Tracht Prügel wuchtet sie Million Dollar Ma’am auf ihre Schultern, steigt auf die Bühne und präsentiert ihre Beute.
Ein Gast ist begeistert: «Das hier hat eine ganz eigene Atmosphäre, es ist wie ein trashiges B-Movie!» Nach dem Event versammeln sich alle Kämpfer_innen für ein Foto auf der Bühne. Um Chabela herum sind vorwiegend männliche Kollegen, manche sehen aus, als könnten sie einen mühelos in zwei Hälften brechen. Wird man als Frau in so einer Umgebung ernst genommen?
«Sexismus oder Belästigungen habe ich hier nie erlebt», betont Chabela. Sie wirkt fast empört über die Frage. «Am Anfang gab es vereinzelt Rufe aus dem Publikum, die zu weit unter die Gürtellinie gingen. So etwas wie ‹Scheiß ihr auf den Bauch!› Als es mir mal zu tief wurde, hab ich mir das Mikro geschnappt und das Publikum gefragt ‹Oida, wem von euch soll ich jetzt am Bauch scheißen?› Da waren sie ruhig. Jetzt habe ich schon lang nicht mehr so etwas gehört, aber das Publikum hat sich auch verjüngt.» Auch die Gagen sind fair: Alle Erlöse des Tages werden gleichmäßig verteilt.
Der Preis des Erfolgs.
Wrestling ist nicht nur Show. Bis ein Sportler oder eine Sportlerin in der Lage ist, einen Kampf zu führen, dauert es einige Zeit. Im Keller einer katholischen Privatschule findet eines der zwei wöchentlichen Trainings statt. «Heute ist das erste nach einer Show. Da kommen immer recht wenige», erzählt Chabela am Weg. Vier Personen sind es diesmal – inklusive Trainer.
«Zuseher brauchen wir nicht noch mehr, da sind wir eh schon an unseren Grenzen. Nachwuchs brauch ich dringend!» Klein, stämmig, feurige Tattoos bis hinauf zur Glatze, keine fünf Sätze ohne einen Spruch in breitestem Wienerisch – Gerhard Hradil alias Humungus ist der Inbegriff des Wiener Strizzi.
Über 30 Jahre ist er jetzt in der Branche tätig. Erst als Kämpfer, dann als Veranstalter. «Früher war alles ernster. Erst 1997 wurde öffentlich gemacht, dass Wrestling nicht wirklich echt ist. Sogar ich war mir damals nur zu 90 Prozent sicher, dass das alles gespielt ist.» Während er erzählt, üben seine Schüler_innen, korrekt hinzufallen. «Du musst natürlich beide Aspekte lernen: das Kämpfen und die Show. Das Kämpferische ist dabei sicher schwieriger. Herkommen kann aber jeder. Heast, oft kannst nicht so fallen, ohne dir die Hand zu brechen!», ruft er einem seiner neueren Schüler zu. Viele seiner Schützlinge interessieren sich eher für die künstlerischen Aspekte – Charakter ausdenken, Outfit designen, die Rolle verkörpern. «Bei der Schauspielerei gibt es keinen Körperkontakt, das ist der Unterschied. Das müssen viele erst lernen.»
«Alle nahmen sich zu ernst.»
Sein Sport wird in den letzten Jahren wieder populärer, die Kämpfe sind praktisch ausverkauft. «Wir sind 2012 der WUW beigetreten, eigentlich wollte ich davor schon aufhören. Es war viel Arbeit, die Shows waren aufgeblasen, gleichzeitig nahmen sich alle zu ernst. Dass ich etwa am Ende der Show noch alle für ein Foto auf die Bühne bringe, wäre früher nicht gegangen. Viele würden mich auch heute noch fragen, ob ich deppert bin. Aber vielleicht macht das auch unseren Erfolg aus.» Auch Chabela erklärt sich den Boom der letzten Jahre ähnlich. «Wir nehmen den Sport schon ernst. Aber uns selbst dafür nicht ganz so.»
Ihr Kampf mit Million Dollar Ma’am nähert sich seinem Ende. Chabela wirft ihre Kontrahentin zu Boden und sich selbst, Ellbogen voran, drauf. Ein mehrkehliges «Uhhh» ertönt im Publikum – teils aus Bewunderung, teils aus mitgefühltem Schmerz. Schließlich beendet sie das Leid ihrer Gegnerin mit einem Aufgabegriff, der Schiedsrichter erklärt sie zur Siegerin. Chabela nimmt sich einen Geldsack, läuft durch das Publikum und lässt es falsche Geldscheine und Schokomünzen regnen. Das Volk feiert seine Königin.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit ZWISCHENZEIT ONLINE entstanden:
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Nächste Wrestlingshow:
3. März, 16 Uhr
Weberknecht
16., Lerchenfelder Gürtel 47