Charakter geht vor Konzepttun & lassen

Die Zukunft der Bunten Kuh ist ungewiss

Nach 38 Jahren wird Walter Untersteiner die Bunte Kuh abgeben. Anhand seiner Bilanz der vergangenen Jahrzehnte lässt sich der Wandel, den der Bezirk Margareten durchlief, gut nachzeichnen, findet Frank Jödicke.

Illu: Much

Ein Gasthaus gibt es in der Zentagasse 20 in Wien Margareten wohl bereits seit den 1950er-Jahren. Eine alte Tafel im Keller, die niemand bereit war wegzuschmeißen, mit der Aufschrift «Margaretener Weinschänke» lässt vermuten, dass die Wirtschaft einmal so hieß. Im Jahr 1979 nannte sie eine gebürtige Hamburgerin in Bunte Kuh um, und der Raum entwickelte, nicht zuletzt dank Walter Untersteiner, der kurz darauf einstieg, seinen ungewöhnlichen Charme. Die «Bunte Kuh» war übrigens jenes legendäre Schiff, mit dem es dem hanseatischen Empire gelang, den Freibeuter Klaus Störtebecker abzuservieren. Viel Seemannsgarn wurde um diese Ereignisse gesponnen. Untersteiner sieht es mit abgeklärter Nüchternheit. Ein Robin Hood sei Störtebecker nie gewesen, eher ein «ziemlicher Gauner», der sich als Auftragsdieb durchschlug. Die Leute machten eben gerne mehr aus den Geschichten, als eigentlich drinsteckte. «Bunte Kuh» sei aber ohne Frage ein guter Name.

Margareten wird umgebaut.

Heute ist das Haus der Bunten Kuh dicht eingerüstet. Die Mietwohnungen im Haus werden zu Eigentumswohnungen umgestaltet – in der Gegend ist eine gewisse Goldgräberstimmung wahrzunehmen. «Die Profiteure» seien unterwegs, sagt Untersteiner. Der Wirt einigte sich letztlich gütlich mit den Immobilienentwicklern – eine Fortführung des Betriebs ist aus heutiger Sicht zumindest nicht ausgeschlossen. Immerhin das hat Untersteiner erreicht. Nach einem Wasser-einbruch und diversen Wickeln mit dem Vermieter fehlte ihm die Kraft dafür, sich darüber hinaus aufzubäumen und eine möglicherweise Jahre dauernde juristische Auseinandersetzung auszufechten.

Untersteiner ist ein genauer Chronist des örtlichen Wandels, und er begreift ihn in seiner Komplexität. Im Moment werde alles im Bezirk spürbar teurer, eine Entwicklung die früher durch die Weitergabe von Mietwohnungen abgemildert worden sei. Heute suchten die Älteren nach Gelegenheiten, aufs Land zu ziehen; eine angebotene Ablöse mache die Entscheidung oft leicht. Gleichzeitig sind Altmieter_innen immer gewisse Dinge vorwerfbar, wie die üblichen Wohnungszusammenlegungen, die meist nicht vertraglich abgesichert wurden. Als Mieter_in habe man dann ganz schnell schlechte Karten.

In der Bunten Kuh begrüßte Untersteiner die Kinder eben jener Eltern, die im Alter aufs Land gezogen sind, aber ihre Wohnung an die Kinder überschrieben haben. Wenn die Eltern die Kuh mochten, dann kamen auch irgendwann die Kinder vorbei. Untersteiner hat sie alle willkommen geheißen und ist gemeinsam mit seiner Kuh durch die Generationen gewandert. In den 1970er- oder 1980er-Jahren gab es hier nicht weniger, aber anders strukturierte Vergnügungsmöglichkeiten. Das sogenannte «Kleine Bermudadreieck» im Fünften war damals «farbenfroher» mit seiner eigenen Halbwelt aus semi-legalem Glückspiel in den Hinterzimmern, gänzlich illegalen Kellerclubs und Exekutivbeamten, die des Nachts leicht angeheitert ihre Planquadrate abgingen. Außerdem gab es autonome linke Läden wie das Rotstilzchen. Die Fähigkeit, unterschiedliche Klassen, Schichten und Altersgruppen anzuziehen, war eine Besonderheit der Bunten Kuh. Rausgeflogen sind einzig einmal Herrschaften mit Käppi, Verbindungsschleife und Säbel.

Besser kein Prominententreff.

Damals, als es mit der Kuh anfing, hatten sie sich kein Konzept überlegt, wie dies heute vielleicht üblich wäre. Man wollte ein Beisl machen, das ein bisschen anders sein sollte. Es brauche aber Charakter, damit sich die Leute wohlfühlten. Gleich von Beginn an gab es kleine Ausstellungen, Lesungen, manchmal auch Konzerte, aber nur bis 10 Uhr am Abend. Die Bunte Kuh war nie ein Vorortbeisl, das am Wochenende leer steht, sondern zog am Werktag wie am Wochenende die Leute aus allen Teilen der Stadt herbei. Beinahe hätte sie im Ruf stehen können, ein Prominententreff zu sein. Einmal rief Bruno Kreisky vom Parlament aus an, um nachzufragen, ob es noch ein Erdäpfelgulasch für ihn und seine paritätische Kommission gäbe. Das Gulasch bekamen die Minister, die vielleicht erwartete Ehrerbietung nicht. Eines anderen Abends erschien Friedensreich Hundertwasser in der Bunten Kuh und baute sich vor dem Wirt auf: «Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?» – «Sie san der Herr Stowasser.» Der angeheiterte Malerfürst machte auf dem Absatz kehrt und eilte erbost zur Tür hinaus. Als ihn seine Begleitung darauf hinwies, dass die Kenntnis seines Geburtsnamens doch auf Fachwissen beim Wirt schließen lasse, kam er zurück und verschenkte signierte Kunstdrucke.

Bilanzziehen fällt schwer.

Eigentlich sei er «todunglücklich», die Kuh nach 38 Jahren aufzugeben, aber ein jahrzehntelanger Nachtjob, der nicht selten zu einem 18-Stunden-Arbeitstag geführt hatte, hinterließe eben Spuren. Wie schwer das Abschiednehmen zuweilen fällt, habe ihm seine Kollegin, die «Wilde Hilde» bewiesen. Die habe sich noch im Alter von 80 Jahren in ihre, wenige Straßen entfernte, Disko Las Palmas gestellt. Als sie den Laden endlich dicht gemacht hatte, lebte sie nur mehr eine kurze Weile. So etwas sei nicht untypisch, meint Walter Untersteiner. Im Grunde sei er auch ein sentimentaler Mensch, aber es müssen eben neue Aufgaben her, und ein paar Ideen habe er schon. Konkrete Pläne gibt es freilich nicht. Wenn die besten Beisln zuweilen ohne Konzept auskommen, dann sollte das auch für ein Leben gelten.

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