Cherchez la Femme: Da liegt der Hund begrabenDichter Innenteil

Dabei habe ich so intensiv gegen den Bias angepromptet! Generiert mit Midjourney von Jella Jost

Vorwärts in die Gegenwart

Stell dir vor, du kramst in einer uralten Foto-Kiste deiner Großeltern, die du in einer vergammelten dunklen Ecke oben am Dachboden per Zufall entdeckt hast. Stell dir vor, du entstaubst vorsichtig die Bilder, die so aussehen, als könnten sie in deinen Händen jeden Moment zerfallen. Und stell dir vor, du findest Schwarz-Weiß-Fotografien des 20. Jahrhunderts, vielleicht sogar des 19. Jahrhunderts, die meisten verblichen, wie ein brauner Nebel, wahrscheinlich vergilbt, Gesichter, die unter deinen Augen verschwinden.

Feuchtigkeit, Staub sowie Unreinheiten sorgen dafür, und dies besonders, wenn Fotos nicht korrekt aufbewahrt wurden. Alles Zeichen von Vergänglichkeit, von Vergessenem und Vergessenen, von vorüber, aus und vorbei, von abgelaufener Zeit, von Verschwinden, von Entgleiten, von Transformation, von Umwandlung, von Leben – auf einem belanglosen Stück Fotopapier mit einem der wichtigsten Aspekte der Fotokunst, dem Licht. Farbe ist nichts anderes als Wechselwirkung von Licht mit einem bestimmten Material. Der charakteristische Gelbstich ist dadurch bedingt, dass sich Natriumsulfat – üblicherweise als Fixiermittel verwendet – schlicht länger auf den Abzügen hält als die anderen Materialien. Silberhalogenide im Fotopapier jedoch verlieren bald ihre Wirkung. Die Herstellung von Fotografien ist also direkt mit einem Wissen um chemische Prozesse verwoben. Auch wenn wir so gerne die Zeit oft anhalten wollten, die Chemie tut einfach ihre vergängliche Wirkung. Das stellt sich heute mittels neuer Technologien und KI ganz anders dar.

Immer gegen den Bias anprompten!

 

Vor ein paar Tagen nahm ich zufällig eine Schlagzeile über eine Ausstellung in Darmstadt wahr. Da ich gelegentlich dort in der Nähe bin, las ich den Artikel und war sofort begeistert: Versäumte Bilder. Frauen in der Wissenschaft. Welche Darstellungen von Frauen gibt es in den verschiedenen Medienformaten wie Videos, Porträt und Stockme­dien? KI-Bilder haben neben der bloßen Abbildung von Realität auch das Potenzial, eine gewünschte Wirklichkeit zu transportieren.
Was bedeutet die Forschung für ­Medizin, Technik, Gesellschaft und ­Umwelt? Welche Gesichter stehen hinter der Forschung und wie können ­diese authentisch und einfühlsam dargestellt werden?
Auf der Seite von www.bilderinstitut.de lese ich, generierte Bilder können in besonderer Weise auf ein Thema aufmerksam machen und es auf kreative Weise visuell illustrieren. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, dafür aber der Akkuratesse, die nicht gegeben ist. KI-Bilder können kein realistisches Abbild eines Sachverhalts liefern, aber sie können inspirieren und unsere Sehgewohnheiten durchbrechen. Und genau das erregt Aufmerksamkeit. Das Bilderinstitut promptet stets gegen den bestehenden Bias (Deutsch etwa: Verzerrung) von KI an und veröffentlicht stets den verwendeten Prompt, um verantwortungsvoll und transparent mit dem neuen Medium umzugehen. Es ist wirklich wert, sich diese Videos anzusehen, um zu lernen, auf welche ­Weise man mit KI kommunizieren kann. Zum Ausstellungskonzept gehört, dass der Arbeitsprozess mit dem Medium KI transparent gemacht wird. Dieses ­Making-of-Video zeigt, wie das Arbeiten mit KI funktioniert.

 

Gegen den Matilda-Effekt

 

Der Matilda-Effekt, so beschreibt es das Bilderinstitut, bezeichnet die Tendenz, dass wissenschaftliche Leistungen von Frauen oft ignoriert oder anderen Personen – meist Männern – zugeschrieben werden. Die Visualisierung dieses Effekts findet sich häufig an den Wänden wissenschaftlicher Institute: die Ahnengalerien der Wissenschaft – eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Porträts von Männern. Ich erinnere mich noch allzu gut, als ich das erste Mal durch die Hauptuniversität Wien schlenderte, auf dem Weg zu meinem ersten Seminar. Unter den Arkaden posierten die Büsten vieler bekannter Wissenschafter. Es machte mich nachdenklich und auch traurig. Den Schmerz zu beschreiben, den man als Frau empfindet, der durch unendlich wiederholte Abwertungen in uns hineingemeißelt wurde, den kann kein Mann nachvollziehen. So wie Reiche ein Leben in Armut in keiner Weise begreifen oder verstehen können. Deshalb war und ist es nach wie vor notwendig, dass Frauen auf die Barrikaden gehen und deutlich werden. Mit allen Mitteln. Und KI ist hier ein phänomenales Tool. Eine Möglichkeit, Frauen in der Wissenschaft sichtbar zu machen, besteht darin, diese bestehenden Galerien mit Männer-Porträts durch Frauen zu ergänzen. Revolutionär ist die Idee, KI dafür zu verwenden und die Bilder emotional, stilistisch und formal so zu gestalten, dass sie denen der Ahnengalerie um nichts nachstehen. Die Porträts der großartigen Ausstellung Versäumte Bilder in Darmstadt wurden mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erschaffen. Zu sehen sind zum Beispiel Emmi Dorn, Judita Cofman, Erika Spiegel, Gisela Bergsträsser, Lise Meitner, ­Rosalind Franklin und viele andere Wissenschafterinnen. Als ich begann, die gestochen scharfen Bilder der ­Frauen näher zu betrachten, in ihren lebendigen Kodak-Color-Farben, im Leica-Style oder in den Kodak-Portra-Colors, in Posen der Selbstermächtigung, des Stolzes und des Erfolgs, da ergriff mich große Freude. Mittels KI wird zum Beispiel Lise Meitner, 1878 – 1968, die Entdeckerin der Kernspaltung, ins Jetzt geholt, gehört zu uns, ist eine von uns, nicht zu übersehen. Meitner selbst wurde der Nobelpreis trotz 49 Nominierungen nie zuteil. Den Bildern gelingt es, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Das ist genial. So wird KI für Feminismus und Geschichtsdokumentation genützt. EU-Kommissarin Margrethe Vestager sagte übrigens sehr richtig, dass Demokratie (innerhalb der KI-Entwicklung und Anwendung, Anm. d. Verf.) genauso schnell sein muss wie Technologie. Das heißt nichts anderes, als dass wir uns hier in Europa ziemlich hurtig auf die Socken machen müssen, denn der Zug ist schon abgefahren. KI muss reguliert werden, ­Gesetze müssen verankert werden, besser heute als morgen. Der EU Artificial Intelligence Act, ein Gesetz zur Regulierung künstlicher Intelligenz, ist ein Meilenstein, der mit großer Mehrheit vor Kurzem beschlossen wurde. Die EU macht mit dem Gesetz deutlich, dass sie sich der Gefahr, dass KI-Anwendungen beispielsweise zur Beeinflussung und Überwachung von Menschen missbräuchlich eingesetzt werden können, bewusst ist. Da die EU auf diesem Gebiet nicht führend ist, muss besonders gut aufgepasst werden. Manche Fachfrauen sprechen auch davon, dass in Europa gerade deshalb große Chancen liegen, mit vertrauenswürdiger KI zu punkten. Aber gehen wir nun in die USA. Der US-amerikanische Bundesstaat Tennessee hat unlängst ein Gesetz zu KI erlassen, welches das Generieren einer Stimme eines Künstlers, einer Künstler:in ohne dessen oder deren Zustimmung untersagt. Unberührt bleibt aber davon, dass KI-Tools mit echter Stimme trainiert werden. Die Kulturbranche wehrt sich vehement gegen den Einsatz generativer künstlicher Intelligenz und spricht sich für klare Regelungen aus, die es in den USA noch nicht gibt. Da ist Europa mit dem gerade beschlossenen AI Act den US-Amerikaner:innen voraus. Für die US-Schauspieler:innen war KI-Missbrauch ein Streitthema und sie wandten sich dabei übrigens an die KI-Entwickler:innen selbst.

Cyborgization

 

Wir alle betreten hier neuen Boden. Viele Bereiche unseres Lebens ­werden sich durch KI massiv ­verändern. Manche hoffentlich auch gar nicht. Was mich persönlich fasziniert und ­irritiert, ist die Tatsache, dass KI sich in alle nicht-erdenklichen ­Richtungen bewegen kann und eine noch nicht abzuschätzende Wirkung auf uns Menschen hat. Wie wird uns das als Menschheit verändert haben in 200 Jahren? Ich frage ChatGPT. Eine der Antworten lautet: ­Cyborgization. Ich erlebe das real seit zwei Jahren an meinem Partner beziehungsweise durch einen neuen Teil seiner Beinprothese, die nun «fühlen» kann. Er ist dadurch in der Lage, den Boden und Unebenheiten zu fühlen. Das war vorher nicht möglich. Die Grenze zwischen ­Maschine und Mensch wird verschwimmen. Das tut sie in diesem Fall jetzt schon. Mein Partner ist übrigens immer noch der, der er vorher war. Solange er keinen Chip im Cerebrum hat!

Making-of-Video:
www.bilderinstitut.de/versaeumte-bilder-darmstadt