Nachwirkungen der Bilder von Xenia Hausner
Meine Tochter möchte mit mir in die Albertina gehen, schreibt sie mir auf WhatsApp. Ich freue mich über ihren Vorschlag, Frauen und Kunst, jederzeit, ich sage sofort zu. Wir sehen uns viel zu selten. Sie wohnt mit ihrem Freund und studiert Anglistik, muss aber 25 Stunden arbeiten, um über die Runden zu kommen, in einer Bäckerei in der SCS, wohin sie eine Dreiviertelstunde fahren muss. Ich denke zurück an die 80er Jahre, als studieren frei war, Geist und Intellekt üben war nicht (nur) von Einkommen abhängig, es gab nicht viele Zwänge, es blieb genug Zeit, um zu reflektieren, gemeinsam mit anderen Studierenden, zu debattieren und um seine Persönlichkeit reifen zu lassen. Ich möchte heute nicht mehr jung sein; Druck, Enge, Wettbewerb, ökonomischer Druck, konservative Rückwärtsbewegungen und offen gezeigter und durchgeführter Frauenhass machen vielen das Leben zur Hölle. Dass wir als Gesellschaft anders können, hat sich immer wieder erwiesen. Und wenn Änderung vonstatten gehen müssen, dann sieht man, wie rasch die Umsetzung von so vielem, was den Menschen guttut, möglich ist. Xenia Hausner setzt um, stellt szenische Fragen. Xenia Hausner ist keine Unbekannte, kommt aus prominenter Künstlerfamilie, der Vater, Maler Rudolf Hausner, dessen Bilder des Phantastischen Realismus ich immer noch im Kopf trage. Soweit die Wirkung von Bildern! Xenia Hausners Malerei überwältigt mich im doch viel zu kleinen Untergeschoss der Albertina. Diese Bilder bräuchten mehr Raum. Ihre Maltechnik zwischen Acryl und Öl springt mir grob ins Gesicht, meine Augen flimmern, es ist zu viel. Die in Szenen gesetzten Farben und Personen klatschen auf mich ein. Ich verweile daher nicht, ich bewege mich von Bild zu Bild, so lange, bis ich ohne zu denken vor einem stehen bleibe. Oder auch nicht. Es muss auch nicht alles gefallen. Die Gefälligkeit ist ohnehin ein falscher Pfad der Eitelkeit. Aber dann dieses Bild – Winterreise –, vor dem ich stehen bleibe, es packt mich, es berührt mich sehr: Ein älteres Paar umarmt sich, man sieht ihn von hinten, unbeweglich, starr die Arme am Körper und sie in der Umarmung, ein Abschied. «Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh‘ ich wieder aus», singt man in Schuberts Lied. Hausners Blick wandert zielgerade auch zu globalen sozialen Abgründen, wie in dem Bild Cage People, der in 2 mal 2 Meter großen, in Apartments übereinander gestapelten Sperrholzkisten lebenden Menschen in Hongkong. 50.000 Menschen müssen so leben in einer der reichsten Städte der Welt. Das weibliche Maß titelt ein anderes Bild, in dem die Künstlerin Figuren vor einen Hintergrund setzt und ihnen ein Lineal, eine Reißschiene aus Karton, hinzufügt. Dadurch werden die Frauen verbunden und getrennt – und vermessen. Die Vermessung betrifft nur Frauen, Frauen, die einem Ideal entsprechen müssen, Frauen, an die ein völlig anderer Maßstab angelegt wird als an Männer. Hausner fokussiert hier die Machtverhältnisse und ihre Umkehr zu einer «Vermessung der Welt aus weiblicher Sicht».
Welche Hürden mussten Künstlerinnen überwinden
Bildende Künstlerinnen waren auch vor hundert Jahren äußerst aktiv und präsent. Im Vergleich zu männlichen Kollegen aber publizierte man deutlich weniger über sie und ihre Werke. Gehen wir hundertfünfzig Jahre zurück. Die Geschicke der Länder, Kronländer und Erbländer lagen in der Hand von wenigen, und zwar in der von Männern. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden zwar Reflexionen zum Thema Frauen und Kunst publiziert, aber erst die Neue Frauenbewegung und damit die Auseinandersetzung mit Feminismus in der Kunst, führte Ende der 1960er-Jahre dazu, vermehrt Künstlerinnen zu fokussieren. Die ersten umfangreichen Publikationen beleuchteten die Künstlerinnen historisch, feministisch oder rein biografisch. Bedeutende internationale Ausstellungen über Künstlerinnen fanden in den 1970er-Jahren in Los Angeles statt. Mit der Ausstellung Künstlerinnen international 1877–1977 in Berlin wurde 1977 endlich auch in Europa eine weitere feministische Türe geöffnet, um unterrepräsentierte Künstlerinnen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. 1981 gründete man in Bonn das Frauenmuseum. Aber erst 1997 leitete erstmals eine Frau die documenta in Kassel: Catherine David. Erst 2012 folgte eine weitere Frau: Carolyn Christov-Bakargiev. Und in Österreich? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übten Frauen keine der Professuren an den Akademien aus, das war ausschließlich eine Männerdomäne. Sie waren auch nicht Mitglieder überwiegend männlich-künstlerischer Vereinigungen und Gruppierungen wie zum Beispiel der Wiener Sezession. Zwar durften sie dort ausstellen, konnten für sich aber nicht idente Rechte beanspruchen wie ihre männlichen Kollegen. Die Künstlerinnen bildeten daraufhin ihre eigenen Verbände, was durchaus Wirkung zeigte. Der Verband bildender Künstlerinnen Österreichs VBKÖ noch im Gründungsjahr 1910 eine retrospektive Ausstellung zur Sichtbarmachung der Kunst der Frau. Diese Unternehmung wird vom feministischen Ausstellungsdiskurs als historische Pionierinnenleistung angesehen. Unterstützende Mitglieder des VBKÖ fanden sich im Hochadel, aber auch unter den bekannten und einflussreichen jüdischen Wiener Familien Bondi, Ephrussi, Gomperz, Gutmann, Rothschild, Schey, Wertheimstein u. a. 1920 datiert man die erste Zulassung von Frauen zum Akademiestudium. 1938, mit dem Anschluss an das Deutsche Reich, wurden sie aus der Kunstgeschichte verbannt und vergessen. Erst in den 2010er-Jahren entdeckte man auf Dachböden, in Depots versteckt, herausragende Werke vieler Künstlerinnen dieser Epoche. Sie wurden im Nationalsozialismus totgeschwiegen oder sie waren Jüdinnen und mussten ins Exil, um ihrem Tod zu entgehen, falls eine Flucht rechtzeitig gelang. Auch das Thema Restitution ist – immer noch – ein politisch brisantes in Österreich. Schließlich wurde die Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen, IntAkt, 1977 gegründet, eine herausragende Organisation. Die Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe dieser Frauen bildete die Basis für viele Themenausstellungen.
Damit uns Frauen das Lachen nicht im Hals steckenbleibt
Es gibt mittlerweile, aufgearbeitet durch zahlreiche Wissenschaftlerinnen, unzählige wiederentdeckte Künstlerinnen aus dem 17., 18., 19. und 20. Jahrhundert, die in ihrer Zeit bekannt, sogar berühmt waren, aber von der durchwegs männlichen Riege der Wissenschaftler diffamiert («Malweiber») oder kunsthistorisch nicht ihrem Umfang und ihrem Können entsprechend erfasst wurden. Das lag an einer patriarchalen Geschichtsschreibung und an den Biografien der Künstlerinnen, die geschlechtsstereotype Rollenverteilungen gedrängt waren. Dabei gab es Anfang des 20. Jahrhunderts (männliche) Literatur über Frauen in der Kunst wie zum Beispiel die 1928 erschienene Publikation Die Frau als Künstlerin. Der Autor Hans Hildebrandt ging sogar so weit, die Frauen auf eine Stufe mit «primitivem» Gestaltungsdrang von Kindern und Naturvölkern gleichzusetzen, und verbreitete seine völlig absurden Schlussfolgerungen, Frauen seine unfähig zu planvollem Vorgehen. Hildebrandt fiel dem gesellschaftlichen Stereotyp anheim, Frauen als Subordinierte und Unfähige zu betrachten. Diesem Zeitgeist folgend räumte er ein, Frauen folgten einem «impulsiven Gestaltungstrieb, der sich insbesondere im Ornamentalen entlade; jegliche Fähigkeit zur Abstraktion ist ihnen fremd». Und sofern man Bildhauerinnen ein Existenzrecht einräumte, wollte man es auch gleich auf Bereiche beschränken, die keine oder kaum öffentliche Wirkung zeigten, wie Kleinplastiken, Medaillen, Edelsteinschnitt – Techniken, die «am häuslichen Küchentisch» gearbeitet werden können, da Künstlerinnen eigene Ateliers oft nicht zustanden. Darüber kann man heute zum Glück nur mehr staunen und lachen. Wenn uns Frauen auch das Lachen allzu oft im Hals stecken bleibt. Hinzu kamen weitere reale alltägliche und künstlerische Beschränkungen. Große lukrative Aufträge gingen nach wie vor auch nach dem 2. Weltkrieg an Männer. Damit standen die Künstlerinnen natürlich auch finanziell schlechter da. Der von einer patriarchalen Gesellschaft etablierte «mindere Wert», den man Frauen, Künstlerinnen zuschrieb, war von den Frauen selbst verinnerlicht worden. Die Abwertung der Frau sitzt systemisch tief. Erst in den 1950er-Jahren erhielten zumindest einige der mittlerweile längst arrivierten Bildhauerinnen Lehraufträge und Professuren. Von den 26 Rektoren der Universität für angewandte Kunst seit 1868 bis 2011 war keine einzige Frau darunter. Als Universitätsprofessorin berief man Gerda Fassel als erste Professorin für Bildhauerei. 2011 amtiert Eva Blimlinger als erste weibliche Rektorin in der Geschichte der Akademie, gemeinsam mit den Vizerektorinnen Andrea B. Braidt und Karin Riegler. Sehr langsam bewegen wir uns Richtung Zukunft der Gleichstellung, schleppend. In Xenia Hausners Bildern spielen die Männer nur am Rande eine Rolle. Das ist richtig so. Damit uns Frauen jedoch das Lachen nicht im Hals stecken bleibt, müssen wir ökonomisch gleichgestellt werden. Es gibt keinen anderen Weg als diesen. Warum gibt es denn wohl nur wenige Sammlerinnen die Werke von Künstlerinnen zu einem hohen Preis kaufen? Weil sie nicht das Geld dafür haben. Das ist die ernüchternde Antwort!