Cherchez La Femme: Dein Atem das Füttern der WörterDichter Innenteil

Requiem für Mayröcker (Illustration: Jella Jost)

Mayröcker geht

Wieso ich dich duze? Damit ich dir nahekomme. Damit eine bourgeoise Form der Distanz die finale Annäherung nicht zerstört, die ich hier versuche durchzuführen, die mir so schwerfällt. Über dich zu schreiben, verlangt mir viel ab. Ich sah dich ja nur ab und zu schwarz wandelnd auf der Wiedner Hauptstraße in unserem Grätzel langsam gehen in Begleitung deiner Freundin. Meistens bliebst du stehen. Und sahst. Mich, die anderen, deine Welt, unsere Welt. «Ich habe eine riesige Sehnsucht nach Liebe, ich verliebe mich auch ständig. Als Ernst* noch gelebt hat, hat er das aufgefangen. Heute kommt die Liebe ganz plötzlich, meistens über die Augen, über den Blick. Ich verliebe mich in Menschen und Tiere, ganz egal ob sie mich widerlieben. Das macht mir nichts aus. Ich will ja gar nichts von denen.»** Der Ausdruck auf deinem Gesicht war der, den ich erwartete von dir. So wie ich dich auf der Straße sah. Die Mayröcker ist da. Es gelang mir nie, den Blick deiner Augen interpretationsfrei wahrzunehmen. Wozu sollte das auch gut sein. Ich sah dich an, du sahst mich an, dazwischen lag Unbekanntes, keine Verbindung. Da bleibt der Blick nicht haften. Am Unbekannten wie mir war nichts festzumachen. Ich bin unbefleckt durch den Literaturbetrieb, der mir genauso umkämpft erscheint wie die narzisstisch verstörte Theaterszene. Ohne Protektoren, Protektorinnen bewegt sich nichts weiter. Mit Familie und Kindern ist die Zeit sowieso abgezählt. Das Potential liegt in der Schublade, verdünnt sich. Sickert mit großem Zufall durch Ritzen durch und beginnt zu riechen. Das Werk bleibt stehen und wartet auf Eintritt wie Unwissende vor kafkaesken Riesen-Toren. Friederike dein Name, der mir so bekannt und geliebt, da mein Rufen meiner Kusine desselben Namens mein kindliches Herz pochen ließ. Allerdings, du unterscheidest dich durch Fritzi. Doch das ist mir zu nah. Bei mir bleibst du Friederike. Auch das war mir unbekannt, wie so vieles, das dich umgibt. Du bist die Generation meiner Mutter, verlorene Mutter, geopferte Mutter, schweigende Mutter, unbekannte Mutter. Was und wer macht uns bekannt, anerkannt, erkannt, benannt und bemannt? Wer?

 

Natürlich wäre es schön, jetzt einen Sohn oder eine Tochter zu haben, aber ich bereue nichts, weil ich sonst mein Schreiben bereuen müsste, und das tue ich nicht, weil ich ohne Schreiben nicht leben kann. (Süddeutsche Zeitung, September 2012)

Die dir anhaftende Melancholie deines Sprachduktus, deines Sprachgesangs, macht dich unter uns so einzigartig. Deine Stimme ist für mich das persönlichste Begleitinstrument deiner Texte. Nie hatte ich mich mit dir ernsthaft auseinandergesetzt. Dein Werk verstand ich nicht, wollte ich nicht, gar nicht, an mich ranlassen. Nein. Deine Präsenz, den Klang deiner Stimme empfand ich früher abschreckend, er deutete auf meine große Unbekannte, die Scheu, die Traurigkeit, die Angst. Und es lag auch Zeitgeist in meinem Verweigern österreichische Literatur. Ich sah mich nie als Österreicherin, wohl aber als Kosmopolitin. Ich hatte meinen Zugang zur deutschen Sprache blockiert. Es war die Sprache der Nazis, eine Sprache von Gewalt und Mord. Und es war die Kunstsprache an der Burg, dem Burgtheater, wo mein Vater spielte. Dieser Sprache wollte ich nie wieder Gewicht geben. Nie wieder. So bin ich denn neugierig auf heute, was du mir erzählen wirst, wenn ich dich auf mein leeres Blatt rufe, Friederike. Du lebtest in deinen Werken eine kompromisslose Haltung gegenüber der Literatur, eine Sprache, die weit über eine Funktion hinausgeht, eine Sprache, die unzertrennlich war mit deiner Physis. Das Altwerden war für dich grässlich. Dazu bist du zu eitel, sagtest du. «Älterwerden ist furchtbar. Männer haben es nicht so schwer. Denken Sie mal an Samuel Beckett. Würden Sie den auch fragen, wie alt er ist und ob er ein Problem damit hat? Eher nicht.» Und wie erst verblüfft es, erschreckt es, dass du vom Schreiben nicht leben konntest. Was bedeutet das für uns Schreibende, Denkende, Fühlende? Du wurdest Favoritin für den Nobelpreis 2004 als eine der «ganz großen Autor_innen» des 20. und 21. Jahrhunderts? Wie wir wissen, erhielt Elfriede Jelinek die Ehre. Das Hochgelobt werden. In den Himmel gehievt werden. Das Brimborium. Das Scharwenzeln und Anpirschen. Diese Monokultur, dieser Thron, auf den man uns setzen muss, mit der Pflicht zur Huldigung. Doch die Preisgelder sichern das Wörter-Leben. »Meine Bücher hatten immer kleine Auflagen. Ein paar Tausend pro Buch vielleicht. Genau weiß ich es nicht. Die großen Herren bei Suhrkamp nehmen mich nicht so wahr, der Enzensberger*** kennt mich, glaube ich, gar nicht. Und gelebt habe ich vor allem von den Preisgeldern. Ich habe viele Preise bekommen.»

was brauchst du

was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
die Gestirne das Gras die Blume den Himmel

 

Mir geht es immer nur um die Sprache. Um ihre Funktionsweise, vor allem ihre Schönheit. Handlung, Botschaft, interessiert mich alles nicht.

 

Wenn du erzählst, wie alles zu dir spricht; Tiere, Dinge, Menschen, dann bist du in meinen Augen Schamanin, eine unsichtbare, aber doch sehr reale Welt mit Sprache durchdringend und belebend. Deine Konnektivität mit allem ist der Beweis dafür. Sich mit allem und jedem zu verbinden, kann Bürde sein, es kann aber auch zutiefst befriedigen. Beides. Nie eines alleine. Immer kamen von allen Seiten Eindrücke herbei, um aus dir herausgeschrieben zu werden. Dieser Zugang zur Welt würde uns allen gut stehen. Die Welt würde freundlicher werden und uns zugewandter, da wir uns in allem und in jedem und jeder wiederfinden. Diese Verbindungen sind unauflösbar, obwohl Menschen und Nationen permanent daran rütteln und sie zerstören. Die Verbindungen kappen. Wenn das überhandnimmt – und das tut es –, wird es kippen. Dichter und Dichterinnen sind das Kitten, Wörter-Weber. Ich exzerpiere aus deinem Bildspeicher; aus deinen frühen Sommermonaten, dem Haus deiner Eltern im Weinviertel, Idylle, Impressionen durch Natur, Wasser, Flug der Schwalben, du saßt dann da, die Mittagssonne brannte, saßt da im Garten bei den glühenden Feuerlilien und Zitronenfalter, birkenweisses Lusthäuschen glänzte, das Spiegelbild in der Regentonne, die Malven im Haar. Melancholie, Vorstadium aller deiner Texte. Das Weinen begleitet die Melancholie. Beides fördere dein Schreiben, sagtest du, und die Einsamkeit, das Alleine-Sein, ohne Jandl. «Es ist gut gegangen, weil wir nicht zusammen gewohnt haben», sagte Mayröcker über ihre Beziehung zu Jandl. «Es ist ja mal um den Georg Büchner Preis gegangen. Er hat ihn schon gehabt. Und ich hätte ihn sollen bekommen. Und da hat ein Kollege gesagt: Ja, aber es bleibt doch in der Familie. Wenn sie ihn bekommen haben, dann braucht ihn doch nicht die Friederike Mayröcker. Ich habe ihn aber dann doch bekommen. Das tut weh, so Sachen.» Du und Jandl, ihr schiedet aus eurem Beruf als Lehrer und Lehrerin aus. Eine große Befreiung, wie du sagtest. »Ich musste alles wie verrückt nachholen, was ich während dieser vierundzwanzig Jahre nicht schreiben konnte.» 1975 erschien dein erstes Buch im Suhrkamp Verlag. Deine Unbeirrbarkeit und deine Demut der Literatur gegenüber umfassen mich am Handgelenk, als ob sie mich warnen wollen. Sprachzauberin wurdest du genannt. Deine Texte ein «immerwährendes Selbstgespräch, das immer wieder von Neuem beginnt.» Die Poesie brennt in dir. Der brennende Busch. Je älter du wirst, desto reicher wird dein Zugang zum (heiligen) Geist. Jetzt bist du nicht mehr abgelenkt, erzählst du im Südwestrundfunk, Passagen am 12.12.2014.

Die Poesie erhebt sich in die Lüfte

Wie die Vögel, die du so liebtest, besonders die Schwalben, die Vogelstimmen, das Fliegen, so schwingt die Poesie sich mit dir hinauf. Mauersegler sahst du oft, Anfang Mai. Du hörtest Johann Sebastian Bach und John Dowland. Wenn sich alles in einem einschwingt. Ich kann dazu nicht mehr sagen. Da fehlen mir Worte. Ich kann dir nur diesen Abschiedsbrief singen. Und ich werde morgen mit meiner Hündin – du mochtest doch Hunde – spazieren gehen, den Vögeln lauschen, Bach wie immer im Herzen haben und deine Texte in meinem Bücherregal heraussuchen. Dich mir aus deinem Grabe holen. Denn ich weiß, dass es wunderbar ist, sich zu wundern. Damit auch du mir und die Welt vertraut wirst. Nur im Vertrauen geht die Welt nicht unter.

 

* Ernst Jandl: österreichischer Dichter und Schriftsteller, Mayröckers Gefährte, Partner, Kollege, Muse

**Mayröcker-Zitate aus: Südwestrundfunk Passagen am 12.12.2014

sowie Süddeutsche 9/2012

***Hans Magnus Enzensberger: deutscher Dichter und Schriftsteller, Herausgeber u. a. von Kursbuch