Cherchez la Femme: Die AltmeisterinnenDichter Innenteil

Mein Leben ist wie das Schlängeln einer Schlange im heißen Sonnenlicht | Illustration: Jella Jost

Ich gebe es zu, ich kann die Bezeichnungen Oma oder Opa nicht ausstehen. Ich sage Altmeister*innen. Ich sage es auch immer wieder und ich zeige null Toleranz, wenn Oma/Opa in öffentlichen Kontext verwendet wird. Die Verwendung dieser beiden zärtlichen Kosewörter stellt eine private, sehr intime Handlung dar in Bezug zu älteren Familienangehörigen. Ich lasse mich ja in der Öffentlichkeit auch nicht als Bärli, Süße, Schnecke oder Mausi bezeichnen, auch wenn ich mir das nach 25 Jahren Ehe durchaus von meinem Partner gerne mal anhören würde: «Komm Schnecke, langsam …»
Ach Wunder, älter werden, älter sein. Man kommt dem Getue nicht aus. Ständig umschwirren mich Zahlen in Form von Statistik, Finanzen, Ökonomie, Noten, Bewertungen und Jahresringen.

Wie lange ich also existiere, wird gemessen und mein verbleibendes Sein adäquat vermessen. Neologismen umkreisen mich: Seniorenresidenz (seit wann residieren Senior*innen denn, ich vermute nur wohl Betuchte tun das), Seniorenreisen (eine Reise nach Seniorien auf Mallorca?), Seniorenteller (besteht der nur aus Gemüse, weich gekocht?), Seniorentreff (Tinder für sehr Erwachsene?), Seniorenliga (rollator kicking?) und so weiter und so fort. Bei den Grünen heißen die Alten «Generation plus». Plus was?
Ich klicke auf den Kurzfilm von Dominique Doujenis Zu alt, wofür? Der Film ist von 2012. Dort sehe ich meine einstige Chemie-Lehrerin Christa Koenne, nun Bildungsexpertin, die einen interessanten Aspekt aufwirft: «Wenn alte Menschen beginnen, mit ihrer Geschichte zu argumentieren – das geht nicht mehr. Die Generationen sind einander historisch geworden. Wir können nicht mehr darauf hinweisen, wie wir es gemacht haben, als Vorbild dafür, wie die Jungen es machen sollen.» Ich denke, sie hat damit im Bereich Kommunikation und Technik recht, im Bereich Lebenserfahrung eher nicht. Gorji Marzpan von der Oriental Queer Organisation Austria erzählt zum Thema Altern von seiner Kultur «Ich komme aus einem Kulturkreis, wo Alter eigentlich was Schönes ist. Wir warten darauf, dass wir älter werden, und die Cross-Age-Interaktion ist in unserem Kulturkreis noch sehr stark vorhanden.» Und Christoph Reinprecht, Migrationsforscher, spricht von Altern als sogenannter Leerstelle. Altern – das gibt es bei uns nicht. Auf der Seite des österreichischen Seniorenrates hebt Pensionistenverbandspräsident Peter Kostelka bedeutende andere Aspekte heraus: «Wir Älteren sind keine Modernisierungsverweigerer. Wir stehen Neuerungen bzw. Vereinfachungen und Erleichterungen positiv, jedoch auch kritisch gegenüber. Denn es muss sichergestellt sein, dass Menschen, die das nicht wollen oder können, keine Menschen zweiter Klasse sind. Ganz wichtig ist die Einhaltung von allerhöchsten Standards im Datenschutz. VOR der Digitalisierung kommt der Mensch!»

 

Altern ist ein Fließprozess

 

Altern startet mit dem Eintritt in die Welt und mit Sicherheit schon weit vorher und endet nicht einmal mit der Veränderung der physischen Materie, denn noch im Sarg wachsen Nägel und Haare weiter und die Auflösung des Körpers kann ewig dauern, findet man doch immer wieder Knochen, die tausende Jahre alt sind. Altern ist ein Fließprozess. Es ist absurd, das Alter an einer Zahl festzumachen. Das hat was Lebloses an sich. Im Netz finde ich auch die Age Company wieder, in deren Workshop ich bei den Tanzwochen vor fünf Jahren meinen Körper wieder zu spüren bekam. Seitdem tanze ich wieder regelmäßig. Es ist der einfachste und schönste Weg, um schon nach nur zehn Minuten Tanz das Andocken der körpereigenen Endorphine zu spüren. Neuroplastizität. Seltsam übrigens: Ich war damals 53 und fühlte mich alt und nicht mehr erwünscht in dieser Gesellschaft. Nach vielen Jahren Auseinandersetzung mit mir und dem Thema Veränderung, Gesellschaft, Alter, Weiblichkeit, Feminismus habe ich immer wieder aktiv um meine Würde als Frau, als Mutter und als älterer Mensch gekämpft, wie eine Löwin. Ja, der Sache sind ein paar Zähne zum Opfer gefallen, heute aber geht es mir gut. Ich fühle mich genau richtig dort, wo ich gerade stehe und lebe. Auch in den späten Fünfzigern lässt sich einiges neu starten. Aber dennoch, es ist ein Kampf um Anerkennung, um Gelder, um Förderungen, um Gesundheit und um ein Menschenbild, das niemanden diskriminiert. Wieso es eine Age-Company braucht, versteh ich dennoch nicht. Warum werden wir mit cool klingenden Anglizismen in Abschnitte eingeteilt, in Best Ager, Silver Ager, Master Consumer, Age Company? 55 ist mit Sicherheit nicht 80. Da herrschen ganz andere Bedürfnisse vor. Die Age Company spricht auf ihrer Website von Personen ab 55 Jahren, und ich musste doch lachen, als ich das las. Als ob es ein separates Zuordnungsfeld braucht, um Kunst von Menschen für Menschen zu machen. Ich gehe ja auch ins Burgtheater – wenn ich denn gehe – und sehe dort alte Schauspieler*innen. Ich denke nur an Bernhard Minetti, erinnert sich jemand?

Ich vermute eher, dass auch ältere Menschen einem Framing unterzogen werden, um sie besser zu vermarkten. Es wird eine neue Kategorie erschaffen und damit neue Begrifflichkeiten und: schwupp! ist eine neue Verpackung kreiert und wieder ein (scheinbar) neues Produkt für den Markt. Das ist die Prozedur. Es wird alles zerhackt in Einzelteile. Die Cellulitis wird vermarktet, die Vagina sowieso, die hätte ich mir ja schon längst liften lassen sollen – autsch! Und die Hoden? Werden auch Hoden geliftet, oder wird nur an Frauen herumgeschnitten? Man sucht sich jene Teile raus, die am optimalsten auf den Markt zu schmeißen sind. Und jetzt die alt gewordenen Models, silbergrau, edel, schön und schlank wie immer. Dasselbe in grün. Nur die jungen Alten sind neoliberal gute Alte. Ich denke gerne an die alt gewordene Künstlerin Louise Bourgeois, ihr verschmitztes Lächeln und tausend Falten, die mitlachen. Eine wahre Altmeisterin.

 

Altern jenseits einer Demarkationslinie

 

So richtig gepackt hat mich eine Idee von Mitra Kassai, die als DJ Rita in Hamburg wirklich coole Clubbings mit älteren Personen ab 60 aufwärts veranstaltet. Dort sind keine tortenessenden Kaffeekränzchen-Perückenträger*innen mit Silberlöffelchen-Attitüde, dort shaken zum Teil recht fitte Tänzer*innen zu geiler Musik. Ist doch klar, wer möchte schon in ein paar Jahren zu Roland Kaisers Sound tanzen. Ich möchte mein Jugend-Lebensfeeling von Ekstase, Tanz und Glück mit Pink Floyds Crazy Diamond, David Bowies Low und Joni Mitchells Hejira abrufen können. Und da haben richtig gute neue Vibes auch Platz. DJ Rita veranstaltet Konzerte, an denen auch jüngere Menschen Spaß haben! Warum ihr das wichtig ist, schildert sie liebevoll: «Die Generation, die jetzt alt wird, tickt ganz anders. Wir haben die jüngsten Alten, die es je gab. Die haben die 68er miterlebt, die Entwicklung vom Schwarz-Weiß-Fernsehen bis zum Smartphone. Man kann ihnen niemanden vorsetzen, der ‹Kumbaya› auf der Gitarre spielt, mit ihnen bastelt man auch nicht Kastanienmännchen. Meine Mutter ist auch in dem Alter, sie lebt in einer Seniorenresidenz, aber eigenständig. Beim Einzug war ihr erster Satz: ‹Mist, ich habe ja gar kein WLAN!› Es ist die Generation, die selbstständig leben möchte, solange es geht.» Corona und die jetzige Krise hat da einen ganz schönen Strich durch die Clubbing-Szene gemacht.

 

Altsein ist eine politische Kategorie

 

Jetzt in der Krise ist Vorsicht geboten, wenn wir politisch gegeneinander ausgespielt werden, wenn behauptet wird, die Jungen zahlen für die Alten oder umgekehrt. Wir sind alle voneinander abhängig. Zukunft und Vergangenheit wirken in die Gegenwart rein. Wenn Individuen dem Mainstream nachrennen, rennen sie in eine Sackgasse. Altsein ist deshalb eine politische Kategorie, weil jeder und jede einmal dorthin kommt, ob man will oder nicht. Es ist eine absurde Sache mit dem Alter. Zuerst will man unbedingt älter werden, und wenn es dann so weit ist und es einer/m gut geht auf dem Gipfel der viel zitierten Produktivität, möchte man am liebsten auf einen Knopf drücken, damit es so bleibt, für immer. Sind wir doch gespaltene Wesen. Herzig und grauslich zugleich. Ein einseitiger Blick auf das Alter aber bedeutet für alle Individuen eine Tendenz, sich von der Welt zu entfremden. Ein starrer Fokus auf die äußere Welt, hinterlässt Schalheit und Leere. Es kommt und vergeht ja alles. In diesem Kommen und Gehen liegt Schönheit und Freiheit. Das Potenzial einer inneren Dimension, ohne auch nur irgendwie in Richtung Religion oder Esoterik gehen zu wollen, formiert sich zu Herzensbildung. Schon Carl Gustav Jung erkannte, dass die innere Welt genauso real ist wie die äußere. Träume sagte er, wären genauso real wie die Welt da «draußen». Darüber nachzudenken könnte ein Leben lang dauern. So wie das Altern.

 

Tipps:

Mitra Kassai – Oll inklusiv:

femtastics.com/stories/mitra-kassai-oll-inklusiv/

 

In Südkorea gibt es Scheinbegräbnisse «mock funerals», sehen Sie im Internet nach, es lohnt sich darüber zu lesen.

 

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