Cherchez la Femme: Die Majestät fälltDichter Innenteil

Lang lebe die Aristo-KI! (Generiert von Jella Jost mit Microsoft Bing)

Königin der Lust und andere Fake News

Mein letzter Essay vor dem prickelnden Jahreswechsel spielt im Versailles des 18. Jahrhunderts und ist eine schaurige Geschichte des Adels und handelt von nichts anderem als von Heuchelei, Intrigen, Sex-Abenteuern, Fresslust, Tod und Politik. Also von all jenem, das uns allen unter den Fingernägeln brennt, nicht wahr? Dem Adel wurde – und wird immer noch – Respekt gezollt, ja es gibt sogar Personen, die mit Adelstiteln angesprochen werden, obwohl das Adelsaufhebungsgesetz seit 104 Jahren gilt. Wann wird das Kapitel geschlossen? Wieso verfallen wir immer noch dem Glauben, dass wir eine Oberschicht, respektive eine Kaste benennen, um uns von anderen deutlich abzuheben, durch Sprache, die so ungemein verräterisch sein kann, durch Mode, durch Gestus und Habitus, durch Prunk und Protz. Wenn man so wie ich in Döbling in der Klosterschule aufgewachsen ist, kennt man das diskrete Spiel mit Namen, Herkunft, Formen, Dresscodes und den Adressen der Villen im Cottage. Da hat sich kaum etwas geändert. Das erschreckt mich zutiefst. Immer noch sehe ich blau-weiß dezent gestreifte Hemden, beige Hosen, die an das englische Königshaus angelehnte Kleidung in Grün – egal ob man zur Jagd geht oder nicht. Es hat etwas von einem absurden Spektakel. Die Privilegien leben in irgendeiner Form weiter. Die Republik aber anerkennt die auf Geburt beruhende Elitefunktion schon längst nicht mehr an, sondern bildet ihre Elite auf Basis eines breiten Wettbewerbs, zumindest wird es so verlautbart. Wobei nicht alle denselben Zugang zum Wettbewerb haben. Mit dem Habsburgergesetz 1919 wurde beschlossen, alle Herrschaftsrechte aufzugeben und auf eine Mitgliedschaft des Hauses Habsburg-Lothringen zu verzichten, ansonsten wurde man des Landes verwiesen. Auf Deutschlandfunkkultur lese ich, dass Otto Habsburg, Sohn von Karl I., seinen Sohn als «Erzherzog» hatte eintragen lassen. Das war in den 1960er-Jahren. Der Wiener Staatsrechtsprofessor Gerhard Strejcek fand das befremdlich. Österreich ist nämlich völkerrechtlich verpflichtet dieses Gesetz aufrecht zu erhalten. Den Habsburgern ist es auch untersagt sich wählen zu lassen. Und ich scrolle weiter und dann lese ich etwas durchaus ernst zu nehmendes: Herr Ulrich Habsburg-Lothringen fühlt sich dadurch ausgegrenzt. Seine Enkelsöhne (Söhne, wer denn sonst! Söhne übernehmen die Ländereien, nach wie vor wird das familiär so gehandhabt) hätten doch nichts verbrochen. Diese Aussage spricht für sich.
Da stehen die Scheuklappen links und rechts fest gemauert.

Von Samenerguss wusste er nichts

Marie Antoinette, eine der vielen Töchter Maria Theresias, wurde mit 15 Jahren, durch ihre Mutter eingefädelt, aus politischen Gründen nach Frankreich gesandt, um mit dem Kronprinzen, ebenfalls blutjung, verehelicht zu werden. Die Österreicherin machte dort keine gute Figur, die Gerüchteküche kochte permanent über, ihr Ehemann Ludwig der 16. schien impotent – er war jedoch nur aus religiösen Gründen über den ehelichen Akt unzureichend und zutiefst verstörend «aufgeklärt» worden und widerstrebte jedweder ärztlichen Untersuchung. Vom Samenerguss wusste er nichts und schon gar nicht, dass dieser im Körper der Frau stattfinden sollte, wenn man denn wegen der Politik Nachkommen, natürlich männliche, zu zeugen hat. Dieser Imperativ stand für das junge Paar jahrelang an erster Stelle der politischen To-Do-Liste. Antoinette war mutig und naiv, sie weigerte sich, das höfische, taillenformende Korsett zu tragen. Auch für die ausladenden Frisuren, die man damals trug, lud sie einen bürgerlichen Haarkünstler zu sich. Sie scherte sich einen Dreck, ausschließlich von Adeligen frisiert zu werden, die das Privileg genossen dem Körper der Königin nah sein zu dürfen oder gar sie zu berühren. Dass ihr Widerstand gegen die höfische Etikette sie viel später Kopf und Kragen kosten wird, war ihr keinesfalls bewusst. In den goldenen Räumen von Versailles gingen Frauen, die ohne Trauschein mit Männern lebten, Schriftsteller, die als Aufwiegler bekannt waren, lächelnd und fröhlich ein und aus, lese ich in der lesenswerten Biographie über ­Marie Antoinette von Michaela Lindinger. Da fällt mir wieder mal was aus meiner privaten Schatzkiste ein: Meine Taufpatin Inge-Maria war eine ehemalige Baronin, sie war bezaubernd und sprühend witzig-intelligent, wurde einst von Max Reinhardt entdeckt und ans Burgtheater geholt, konnte aber dort nicht Karriere machen, da ihre katholisch-strenge Mutter jedwede Bühnenarbeit untersagte. Ich wusste, ihre Mutter gab Schauspieler:innen niemals die Hand, doch bei meinem Vater machte sie eine Ausnahme. Der Teufel weiß warum. Ein anderes Gschichterl fällt mir noch ein: Meinen Großcousin, der als Deutscher ein «von» vor dem Nachnamen tragen darf, fragte ich einmal danach, woher das «von» denn käme? Irgendein Urgroßvater, antwortete er, hätte einem König Geld geborgt, sagte er. Danach gab’s den Mini-Titel. Wir lachten beide über die Banalität des Lebens.

Le Grand Corps – der große Körper

Von Anfang an fehlte Antoinette das Verständnis dafür, dass es nicht um ihren persönlichen Körper ging, sondern um ihren Körper als politische Aussage und Ausdruck der Macht des Ancien Régime* und um den symbolischen Prozess des Ankleidens der Königin. Das bezog auch den millionenschweren Schmuck mit ein, als Ausdruck der kosmischen Ordnung und Macht. Fake News as its best! Vom Leben der Marie Antoinette wurde eine permanente Selbst-Ausstellung ihres Körpers mit allen Zeichen ihres königlichen Amtes erwartet. Le Grand Corps, der große Körper, durfte eigentlich nur von der ranghöchsten aristokratischen Ankleidedame berührt werden. Mit der Beschädigung dieser archaischen rigiden Rituale überschritt Antoinette definitiv eine Grenze, die sich bis aufs Volk übertrug. Man wurde misstrauisch gegenüber der Österreicherin, die Zeitungen bezeichnete sie als Hure, nachdem ihr Ehemann sie weder in Missionarsstellung besteigen noch befriedigen konnte und sie ihre Lebenslust auf unzähligen Festen in Versailles nicht verbarg. Dabei wollte die junge Antoinette bloß alles Verstaubte abschütteln. In dem Glauben aber war sie naiv. Als täglicher Höhepunkt des öffentlichen Ankleidens inkarnierte die stilisierte Präsenz die politische Bedeutung der Königin. Endlich gebar sie ein Kind, eine Tochter, Madame Royale, die später als einzige dem Schafott entkam. Es folgte Louis-Joseph, lang erwartet, der Dauphin, der königliche Thronfolger, der wie viele bourbonische Adelige an Knochentuberkulose litt und mit 8 Jahren starb. Später kam noch ein Sohn, Ludwig der 17. und eine Tochter, die mit 11 Monaten starb. Der Tod war omnipräsent. Trotz der erfolgreichen ehelichen «Pflichten» hetzten die Zeitungen gegen Antoinette und bezeichnete sie als «Erztigerin», ein besonders verwerfliches Schimpfwort, ist der Tiger doch ein gestreiftes Tier und galten seit dem Mittelalter Streifen als das Muster des Teufels. Ehrbare Menschen durften keine gestreifte Kleidung tragen. Das blieb Leuten vorbehalten, die außerhalb der Gesellschaft standen, wie Hofnarren oder Gefängnis-
insassen, deren gestreifte Kleidung als «Stoff des Satans» bezeichnet wurde. Die Frauenfeindlichkeit der unzähligen Beschuldigungen war evident. Diffamierungen wie «Tribade» (Lesbe), «infernalische Megäre» (Rachegöttin), «Erzhure», «Vampirin», «Hexe», «Wölfin» waren klare misogyne Stigmatisierungen. Im alten Rom nannte man die Freudenhäuser «Lupanarien», von Lupae = Wölfinnen, lese ich mit regem Interesse im Buch von Michaela Lindinger. Antoinette wurde also durchwegs als Sexmonster dargestellt. Fake-News, mit denen ich sogar noch groß geworden bin, lauteten, Antoinette hätte verlautbart «das Volk solle halt Kuchen essen anstelle von Brot». Verschwörungsmythen zelebrierten den Hunger. Antoinette hatte das so nie gesagt. Nun, der Mann, der für ­Antoinettes Schicksal mit verantwortlich war, hieß Jean-René ­Hébert, ein Redakteur. Die Französische Revolution war nicht zuletzt ein Umsturz, in dessen Prozess den Journalisten eine zuvor nie dagewesene, entscheidende Rolle zukam. Die Bürger und Bürgerinnen Frankreichs begannen ein eigenes kritisches Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die Forderungen nach Mitbestimmung und Information kamen aus den Rängen der Bürgerlichen und Aufgeklärten. So entstand eine neue Macht: die öffentliche Meinung. Das war Antoinettes Falle. Das hatte sie unterschätzt. Und das Gottesgnadentum des Königs war am Sinken. Und mit ihm sein und ihr Kopf. Das Blut leckten die Hunde, die unter der Guillotine schon warteten.■

*die Regierungsform der Bourbonen in Frankreich, im weiteren Sinn die frühe Neuzeit in ganz Europa vor der
Französischen Revolution von 1789