Cherchez la Femme: Die schreibende SchmähschwesterDichter Innenteil

Illustration von Jella Jost generiert mit Bing

Wie ich die Sargnagel lieben lernte

Ich habe mir diesmal schwer getan mit dem Titel. Vielleicht hätte ich auch «Es schreibt das Weib im Hype» nehmen können oder «Der Hype der neuen Biederkeit». Finde das aber zu kraftlos, zu letschert. Das ist das Zauberwort für Sargnagels Comics. Alles von Sargnagel kommt ziemlich laid-back daher, fast schon bluesig, aber da macht das Österreichische, das Letscherte, das fast schon was Hatschertes ist, ihr leider einen Strich durch die Rechnung, denn der Blues hat verdammt viel Kraft. Genau deshalb ist laid-back nicht wirklich dasselbe wie letschert. Anfangs, also vor ein paar Jahren, fand ich sie penetrant letschert, lasch, a fade Kunstfigur. Ich kannte sie persönlich nicht und wusste nicht, ob das abgefuckte Gehabe, manch kotige Sprache und ihr Alltag fake oder real sind, im Sinne der mir durchaus verständlichen linken Gesinnung und einem doch gelegentlich anzutreffenden Gruppenzwang zum Underdog. Nein, ich bin nicht nett, war früher braves Mädchen, habe meine bürgerliche Maske ordentlich und anständig getragen, geschminkt, gereinigt, von der Heuchelei des Tages, den sexuellen Übergriffen präpotenter Männer, die glaubten sie könnten mich schlürfen wie ihren 30 Jahre alten Whisky. Ich konnte mich immer wehren. Das hat funktioniert. Auch beruflich hätte ich niemals einen Kniefall, oder mehr, gemacht. Das war ich mir schuldig. Vögeln für eine Rolle im Fernsehen bot mir einer einmal an. Hm, naja, tut mir leid, dazu habe ich gar keine Lust, sagte ich. Er hängte auf. Ich war ihn los. Den Job auch. Leider habe ich erst peu à peu zum Schreiben gefunden und das auch erst relativ spät, mit Ende Vierzig. Den Schwanz einziehen und den Theaterleuten, den Künstlern, in den Hintern kriechen, dafür habe ich niemals meine Hosen runtergelassen. Sieh an, es gibt etwas Befriedigendes in meinem exzessiven feministischen Künstlerinnenleben, in dem ich nicht berühmt wurde, nicht auf Tour oder Lesereise gehen musste (wäre eh nicht gegangen mit zwei Kindern) und keinem Zwang an Kreativität und Output ausgesetzt bin, der mich von mir entfremdet. Ich bin frei geblieben. Aber jeder Preis ist auf seine Art zu zahlen. Vereinnahmung und Vermarktung sind dem Künstlertum immanent, wie zum Beispiel bei Plattenverträgen, wo man vertraglich verpflichtet wird, mehrmals am Tag aufzutreten um zu promoten oder ein dichtes Tourprogramm absolviert, Monat für Monat. Ich hab’s probiert für kurze Zeit, als Sängerin und Schauspielerin und habe mich so allein und leer wie noch nie gefühlt in meinem Leben. Von Hotelzimmer zu Hotelzimmer. Busfahrt, Ankommen, Aufbau, Performance, Abbau, Nachklang, Trinken, Bett, morgens wieder rein in den Bus, jede Woche dasselbe. Insofern stimme ich ­Sargnagel zu, in einem Interview, dass ein Brotjob Struktur gibt und man am Boden bleibt – falls man sich nicht versauft. Wir bleiben Lohn- und Erfolgsabhängige. Was mich betrifft; ich sortiere während des Schreibens. Denn ich zähle meine Gedanken wie die Student:innen Marina Abramović ihre hunderttausend Reiskörner. Das braucht enorm viel Ruhe, Stille und viel Zeit. Daher arbeite ich meistens nachts. Ich liebe es allein zu sein.

Aber warum?

Ich konnte mit den Texten, mit ihrer Erscheinung, mit ihrer Sprechmelodie nichts anfangen. Da war immer was dazwischen. Ich kann mich nicht an junge Autorinnen erinnern, die in den Medien derart gehypt werden und gleichzeitig dem Bild einer stereotypischen Autorin total widersprechen. Ich war perplex. So zurückhaltend und gelangweilt muss man sich erst mal zeigen. Alle Achtung, das nenne ich Feminismus, Wagemut, Scheißdrauf. Ich habe mir ihren Erfolg näher angesehen, mich in unerkannter Weise mit ihr bekannt gemacht, lese Interviews und ihre Bücher, sehe Videos und habe auch den Film über sie gesehen. Dazu möchte ich lieber nichts sagen. Umso mehr ich mich mit ihr beschäftige, desto liebenswerter erscheint mir die Sargnagel. Und das taugt den Leuten, das Harmlose. Eine Jelinek, mit der man sie natürlich nicht vergleichen kann, ist da viel saftiger und tut richtig weh. Als Österreicherin und Künstlerin bin ich selbstverständlich neidisch auf Erfolg, obwohl mir vor Erfolg sowas von graust. Mit diesem Widerspruch leben sicherlich viele Österreicher:innen. Aber Vergleiche sind perfide, sie verhindern das eigene Wachstum in die eigentliche Richtung. Obacht! Nun, da ich über meine vielen Schatten springen muss, grapsch’ ich mir die Sargnagel, zerre sie raus aus meinem österreichisch versauten Hirn und versüße sie mit neuen oder altbekannten Gedanken und schreibe was das Zeug hält.

Sargnagel das Antidot

Sargnagels Seitenhiebe fallen nie wirklich böse aus, sie entpuppen sich mehr als Deutungen, wie zum Beispiel das ihrer Meinung nach suizidale Konsumverhalten der Österreicher, das sie Würstelstandkultur nennt oder wenn sie über das romantische Leben der Österreicher:innen spricht, keine spielerischen Flirts, keine Rendezvouskultur, erst kurz vorm Filmriss durch Alkoholmissbrauch kann Annäherung anfangen, schreibt Sargnagel. Endlich nennt eine Frau die Wirklichkeit beim Namen. Die Frau Sargnagel erinnert mich ein klein wenig an den genialen Herrn Phettberg, der subtilstes Feingespür an Komik und Umgangsformen versprühte in seinen legendären Auftritten als Gastgeber und Interviewer der Nette Leit Show 1995 – 1996. Selbst Manfred Deix hätte Sargnagel als Kunstfigur nicht besser kreieren können und ihr Umfeld, das sie in ihren Büchern liebevoll-aversiv betrachtend beschreibt. In der Nette Leit Show erzählt Manfred Deix, dass er sich die Leute, von denen er sich in seinem Heimatort bedroht fühlte, von der Seele gezeichnet hat. So geht es mir schreibend auch. Und der Sargnagel womöglich ebenso. Man lebt unter Menschen, die Grausiges denken oder anrichten. Man lebt in einer Gesellschaft in der Vermögende nicht-Vermögende verarschen. Unter dem Mantel des Gesetzes. Man lebt unter Menschen, die sich hassen, verabscheuen und tögeln. Man lebt unter Menschen, die dir beibringen, dass du ein Stück Scheiße bist. Pater Paterno sagt in der Nette Leit Show «Die Bösen trifft man nicht so einfach, die sehen zu gut aus.» (Lacher!). Wie soll man den Irrsinn verarbeiten? Kunst ist ein geniales Fluchtmittel, aber die Meisten greifen gerne zum Alk. Die subkulturellen Wiener Milieus sieht man, finde ich, leider immer seltener in Filmen. Nur ein bisschen im Tatort, dann viel Reichen-Trash, also Totalschrott fürs Hirn. Aber gut, zusammen mit dem Alk tut das sicher seine nötige Wirkung. Selfgedögelt. Angepasst sein ist harte Arbeit, damit man nicht aus der Reihe tanzt. Stündliches Optimierungsdoping angesagt. Die sozialen Unterschiede müssen retuschiert werden, weil die Angst vor Häme groß ist. Finden wir Freiheit, wenn wir Underdogs sind? Können wir uns einem Anpassungsdruck entziehen? In meiner Jugend war das so. Punk. Das Antidot. Sargnagel mein Antidot? I waß net. Ich nehme dich jetzt probeweise zu mir. In Litera. Dadurch erinnere ich mich wieder an meine wahren widerständischen Werte und meine Aufmüpfigkeit, die ich bis jetzt leider nicht in Gold verwandeln konnte. Darum sing’ ich:

Heute schreib ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Sargnagel ihr Kind;
ach wie gut, dass niemand weiß,
dass ich Jost Jella heiß!

Heute werde ich gut schlafen, werde vom unerbittlichen Kampf gegen das Establishment träumen, während ich mit einem Fuß in dessen Türe stehe. Ob das der Sargnagel auch passiert ist? Vielleicht müssen wir Künstler:innen, wir Beobachter:innen, wir Schreiber:innen besonders gut auf die fließenden Übergänge von Subkultur zu Hochkultur achten. Sonst werden wir von denen noch angepatzt. Flecken auf dem roten Käppchen. Ich lese heute noch ein paar Seiten von Sargnagels jüngstem Buch Iowa. Leichtfüßige, witzige, oft auch kindhafte Betrachtungen, amüsante Geschichten aus dem Mittleren Westen der USA. Leider verliert das Buch den sogenannten Zug, den Kitt, den Drive, den Saft, den Glue, Baby, ab dem zweiten Drittel. Ich wollte es fast schon weglegen, aber ich bin beharrlich und werde heute den liebenswürdigen Schilderungen der Sargnagel im Geiste durch meine eigene Stimme zuhören. Der eigene Film im Kopf ist immer noch der Beste. Und lange lebe der Hype!