Cherchez la Femme: Mut ist das Licht der SeeleDichter Innenteil

Illustration: Jella Jost

Erzähltheater über die Widerstandskämpferin Noor Inayat Khan

Langsam gewöhne ich mich an kontinuierliche Skype-Cafés. Neben mir die Tasse. Kein Geruch für das Gegenüber. Er ist nicht mit dabei. Nur Augen und Ohren. Vor mir ein Bild eines Menschen. Unberührbar. Formen Sprache, Tonfall, Mimik und Gestik formen ein Bild, das dem realen Bild dieser Person entspricht? Oder ist es meine Routine? Es gibt derzeit wenig andere Möglichkeiten, als online zu kommunizieren, beschränkt auf einen Screen. Und nach mehr als zehn Jahren Networking auf Facebook, bin ich wieder einmal abgeklärt, ja gelangweilt. Ich habe meine Facebook-App auf dem Smartphone gelöscht. Ein paar Tage Entzug, na und, und dann nichts mehr, nur Stille und viel Zeit am Abend. Erstens ist damit ein Gigabyte auf meinem Smartphone frei geworden, zweitens lese ich wieder Bücher und keine Postings oder Kommentare, meine eigenen mitgezählt. Es war wie eine Versuchung, ich konnte nicht anders. Mein aktuelles Buch ist ein Geburtstagsgeschenk einer Freundin. Als wäre es für mich geschrieben worden, einfühlsam, tiefgehend, berührend. Daniel Schreiber Allein. Das ist eines der drei Bücher, die ich parallel lese. Das zweite Buch ist von Kodo Sawaki: Zen ist die größte Lüge aller Zeiten. Das dritte Buch fange ich bald an zu lesen, es heißt Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Das klingt vielversprechend, nicht wahr? Covid, Einsamkeit, Frauen, Sex und Spiritualität. Alles existenzielle Themen, die jeden und jede von uns treffen. Mit Sicherheit. Ein paar kleine Vorteile hat Facebook also doch – als weltweites Adressbuch, denn dort lerne ich Birgit Lehner kennen. Ihre fröhliche freundlich-offene Art ist erfrischend, in einen Hauch Naivität gehüllt, den es braucht, um enthusiastisch zu erzählen. Ihre Ausschnitte des Erzähltheaters sind gekonnt durchkomponiert. Ich wollte sie daher zu ihrem aktuellen Erzähltheater über eine Widerstandskämpferin befragen.

 

Orient, Maharadschas, Sufismus und Politik

 

Wer war sie? Jene halb indische, muslimische Prinzessin, Schriftstellerin und Musikerin, die im 2. Weltkrieg britische Spionin wurde: Noorunissa Inayat Khan. Immer noch wird sie von Sufis als Heilige verehrt. Noor musste unter unfassbaren Umständen erfahren, was Einsamkeit und Frausein bedeutete. Ihr Vater Hazrat Inyat Khan war ebenfalls Musiker und Sufi. Ihr Urururgroßvater kämpfte als Sultan gegen die British East India Company (1773 bis 1858 fanden unter diversen englischen Lords in Indien und im heutigen Afghanistan 14 Kriege statt, Invasionen und Annexionen nicht inbegriffen). Eine künstlerisch-spirituelle, politisch-elitäre Familie definitiv. Die Familie war aber alles andere als vermögend, ihr Vater war Wander-Derwisch und hatte mit Noors Mutter, einer Amerikanerin, drei weitere Kinder. Sie wuchs in London und einem Vorort von Paris auf. Ihr Vater ging ins patriarchale Indien zurück und ließ die Mutter alleine mit vier Kindern zurück. Noor Inayat Khan lebte von 1914 bis 1944 und schöpfte aus einer so tiefen wie umfassenden spirituellen Quelle Kraft für ihren Widerstand gegen das NS-Regime, den sie als Funkerin unter dem Dach des britischen Geheimdienstes ausübte. All das sind natürlich für uns hier und jetzt zum Teil immer noch exotische Spionage-Geschichten, die es zu erzählen gilt: Orient, Maharadschas, Sufismus und Kolonisation. Noor Inayat Khan ist eine einer Handvoll Frauen, die das britische Georgs-Kreuz erhielten, die höchste zivile Tapferkeitsauszeichnung. Sie war Mitglied der Special Operation Executive, SOE. Sie changierte zwischen den Linien und Kulturen, einerseits die militärische englische Uniform, andererseits ihre indische Tradition in Sari und allem, was dazugehört, und dazu war sie multilingual. Über ihre Lebensgeschichte komme ich zum Erzähltheater der Birgit Lehner. Birgit hat einst unter anderem Germanistik studiert und von der Schauspielerei in den Journalismus gewechselt. Damals in den 80er-Jahren konnte man sich noch Zeit nehmen zum Studieren, das war einfacher, heute stehen die Studierenden unter großem Druck. Als Studentin habe ich beim Falter unter anderem das Theaterlexikon betreut. Später habe ich ein Praktikum bei der APA (Austria Presse Agentur) gemacht und dort einige Jahre als Kulturredakteurin gearbeitet. Mein 40. Jahr habe ich als Sabbatical in Frankreich verbracht. Dort gibt es eine Renaissance des mündlichen Erzählens. Jede Bibliothek in Frankreich hat eine Salle de Conte, also einen Saal, in dem Erzählkunst aufgeführt wird. In den USA gibt es sogar Lehrstühle für Erzählkunst und in Berlin an der HDK einen Lehrgang für Künstlerisches Erzählen: Du eignest dir einen Stoff, eine Geschichte an und erzählst sie jedes Mal neu, egal ob im Wohnzimmer oder auf der Bühne, egal wie lange, das ist dem Jazz ähnlich, wie die Improvisation. Unterschiedliche Erzähler*innen arbeiten allerdings auch verschieden. Manche schreiben sich nichts auf, ich kann das nicht. Ich brauche einen Rahmen, um darin frei sein zu können.

 

Elfenbeinturm

 

«Man nannte das Haus in Suresnes bei Paris, in dem Noor aufwuchs, Fazal Manzil, Haus des Segens. Das muss sehr beeindruckend dort gewesen sein, ein Elfenbeinturm, in dem bekannte Künstler*innen ein und aus gingen. Noors Vater sang seine Kinder ins Aufwachen, nicht ins Einschlafen, eine Besonderheit. Nach dem Tod ihres Vaters, als Noor 13 Jahre alt war, übernahm sie die Verantwortung für die Familie. Ihre Mutter war dazu nicht mehr in der Lage in ihrem Schmerz. Als die Nazis Paris einnahmen, entschloss sich Noor zu friedlichem Widerstand. In einer sehr gefährlichen Lage sich zu fragen, wie komme ich da rein anstatt raus, lässt auf außergewöhnliche politische Haltungen und Fähigkeiten schließen. Noor arbeitete zunächst als Krankenschwester, dann als Funkerin», erzählt Birgit Lehner. «1942 begannen die Engländer auch Frauen als Spioninnen einzusetzen. Noor zögerte nicht, als sie vom englischen Geheimdienst für den Einsatz in Frankreich angeworben wurde. Sie entsprach nicht dem Stereotyp einer heutigen Agentin, sie war klein, fragil, von auffälliger Schönheit – und sie wollte nicht lügen», erzählt Birgit. Diesen moralischen Vorsatz musste Noor wohl oder übel gebrochen haben. Auf BBC Timewatch höre ich eine Sendung. Wie immer sind kleine Details in den Erzählungen oft der Schlussstrich, der das innere Bild, welches man von einer Person erzeugt, fertig «zeichnet». Selbst der Fallschirm war für Noor Inayat Khan zu groß, daher gelangte sie nicht per Flugzeug, sondern über andere Wege nach Frankreich. Mir fällt da mein geliebter Onkel Jakob ein, der als deutscher Jude in der Résistance gekämpft hat. Wer weiß, ob beide sich begegnet sind? Die Welt ist klein, wenn man um das Gleiche kämpft. Spion*innen konnten generell nur kurz eingesetzt werden, da die durchschnittliche Überlebensdauer sechs Wochen betrug. Noor war die einzige, die vier Monate im Einsatz als Spionin überlebte. Letztendlich wurde sie aus Eifersucht und gegen Geld verraten. Sie kam ins Gestapohauptquartier in Paris, das sich in einem Wohnhaus befand. Als sie versuchte, über ein Badezimmerfenster auszubrechen, wurde sie erwischt. Die Gestapo versetzte sie nach Deutschland, und sie wurde im Gefängnis in Pforzheim in einer Einzelzelle an Füßen und Händen angekettet. Nach zehn Monaten Isolationshaft brachte man sie nach Dachau ins KZ, wo sie am Tag darauf ermordet wurde. 39 Frauen wurden von den Engländern als Agentinnen eingesetzt. 13 wurden umgebracht. Noors letztes Wort, das von einem Soldaten mitgehört wurde, war Liberté! Freiheit! Sie verriet keinen einzigen Namen. Die Nazis konnten nichts aus ihr herauskriegen. Ein nicht unerheblicher Fehler war ihr aber doch passiert: Noor hatte entgegen den Londoner Sicherheitsrichtlinien Nachrichten in Klartext aufbewahrt. Der deutsche militärische Nachrichtendienst erhielt dadurch die Möglichkeit, mit einem sogenannten «Funkspiel» den Funkverkehr mit London an Khans Stelle weiter zu führen und die Ankunft weiterer SOE-Agenten im Voraus zu erfahren. In London steht ein Mahnmal am Gordon Square in Bronze. Birgit spricht mit mir über ihren Zugang und wie lange sie überlegt habe, «welche Form ich da finden soll. Letztendlich ist es ein innerer Monolog geworden. Ich stelle mir dabei die Frage: Wo beginnt der eigene Wille? Warum machen Menschen das? Was treibt sie zur Opferbereitschaft? Aber ich nehme mir auch das Recht heraus zu fragen: War das notwendig? War dieses eine Menschenleben notwendig?» Birgit Lehner wurde übrigens von Noors Großnichte kontaktiert. Ich hätte gerne mehr darüber erfahren. Aber wie so oft, wenn plötzlich Personen, über die du schreibst, vor dir stehen, entsteht eine Grenze, die häufig nicht zu bewältigen ist. Mir ging es so mit meinem Buch-Projekt über eine bekannte Künstlerin der feministischen Avantgarde. Ich hatte ursprünglich die Idee dazu. Letztendlich wurde radikal über mich drübergefahren. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Sache beiseite zu legen. Man tut gut daran, als Künstlerin, achtzugeben und nicht aus Liebe zur Story und zum eigenen Werk sich in Situationen zu begeben, die brenzlig werden können. Allemal ist es jedoch wert, über Widerstandskämpferinnen zu erzählen. Krönende Notiz am Rande: Im «Adlerhorst» (Hitlers Repräsentationsobjekt über den Berchtesgadener Bergen) macht Noors Neffe Führungen.

 

www.eagles-nest-tours.com

www.birgit-lehner.com

 

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