Christa Urbanek. Zum Geleit über den Tod hinausDichter Innenteil

Im Himmö (Zeichnung: © Jella Jost)

Cherchez la Femme

Liebe Christa, ich erinnere mich lebendig an eine Zusammenkunft einiger Künstlerinnen, vor mindestens zehn Jahren, darunter auch die phänomenale Filmemacherin und Malerin Mara Mattuschka, denn es war in ihrem Atelier in Ottakring, als wir um den runden Tisch in dem kühlen Hinterzimmer saßen, so als ob wir gleich knallhart pokern wollten. Und wir pokerten mit Geschichten und Worten und tranken Rotwein vor dem spärlichen Feuer des Holzofens. Du erzähltest von deinen Bühnengschichtln mit der legendären Anarcho-Rockband Drahdiwaberl, und da gibt es ordentlich was zu schildern. Und so wie du gestrickt bist, nimmst du dir kein Blatt vor den Mund und zwar niemals, nirgendwo und vor nirgendwem. Das ist exakt das was, wir an dir so lieben. Du ziehst dir keine Maske an. Die Stories über Stefan Weber und die anderen Performer*innen trugst du saftig unzensuriert vor. Du schildertest uns ausführlich deine Stage-Performances. Da hat es sogar mir kurz die Sprache verschlagen. Du bist ein Kind der 70er-Jahre. Unangepasst. Ich gratuliere dir, dass du dir diese menschliche Eigenschaft dein Leben hindurch als Alleinerziehende von zwei Töchtern bewahren konntest. Die Stadt Wien müsste dir ein Ehrengrab geben. Dein soziales Engagement damit würdigen und damit jedes einzelne soziale Engagement wertschätzen. Was der Bürgermeister wohl dazu sagen würde? Ich hätte Lust, ihn zu fragen.

 

Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich leb‘ in euch und geh‘ durch eure Träume (Michelangelo)

 

Das Goldene Wiener Herz für ihr soziales Engagement empfing Christa Urbanek mit Freuden. Denn erhalten hat sie den Preis für Menschlichkeit im Rahmen von «Jeder für Jeden» – der Messe für Menschen mit Behinderungen im Wiener Rathaus. Bevor sie das «Goldene Wienerherz» von Stadträtin Sonja Wehsely überreicht bekam, schnappte sich Christa das Mikro, um über ihren künstlerischen Output zu berichten. Wortgewandt wie immer und für alles eine Antwort parat. So ist die Christa. «Nachdem ich als Sachbearbeiterin bei der Pensionsversicherungsanstalt aufgehört habe, wollte ich etwas für bedürftige Menschen tun, und ich habe viele Jahre ehrenamtlich für Obdachloseneinrichtungen gearbeitet. Außerdem habe ich viele Jahre lang mit meinem Weihnachtsspäschls und der Nachweihnachtlichen Bescherung Spenden gesammelt wie zum Beispiel für die Aktion Schlafsack oder die Vinzi-Rast. Dabei haben mich ganz viele Freunde und Kollegen auf der Bühne unterstützt.» Kennengelernt hatte ich Christa Urbanek durch meine damalige PR-Managerin, die früher auch die Presse für Drahdiwaberl unter dem legendären Stefan Weber machte. Nach einer meiner ersten Vorstellungen von YELL!, wo Justus Neumann Regie führte, saßen wir zu dritt also in einem Lokal. Die zwei wilden Power-Ladys mit ihrem unverwechselbaren Lachen redeten auf mich ein, wie ich mich und mein Programm unter die Leute bringen könnte. Ich war damals noch a bisserl naiv, Ende dreißig, hochbegabt, könnte ich sagen, um mir selber Lorbeeren zu streuen, aber nicht kompatibel mit einer einschlägigen Wiener Musik- und Performance-Szene, war ich doch Theaterfrau durch und durch und sah mich als Musikerin, niemals als Kabarettistin. Ich hatte vor einigen menschliche Eigenschaften noch recht große Furcht, um es direkt zu sagen. Da standen mir die zwei Unschlagbaren also zur Seite. Wiener Frauenleben-Unikate. Und auch Christa war Alleinerzieherin, Kämpferin und immer mit einem guten Schmäh versehen. In jeder Situation. Was bleibt einer auch schon anderes übrig! Christa betonte stets, dass der Humor alles erträglicher macht. Sie hatte ein Riesenherz und ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Freunde und Bekannten. Sie unterstützte, wo sie nur konnte. Das kann ich bestätigen. Christa Urbanek ist auch eine der 28 Autor*innen, die in der Anthologie 5er-Edition – Literatur aus Margareten vertreten sind. Weiter habe ich via Facebook erfahren, dass posthum ein Buch von Christa herausgegeben werden soll. Das wäre ganz fantastisch. Das hat sie sich verdient. Und wir auch. Sie hatte über viele Jahre Aufzeichnungen ihres Lebens gemacht. Und da wird nicht geflunkert, da ist alles echt, und so manchen ihrer Zuschauer*innen wird eine Welt eröffnet, die er oder sie bis dato noch nicht gekannt hat. Ob Hans, Peter oder Heinrich, alle bekommen liebevoll ihr Fett ab, lese ich in einem der Medienberichte über sie. Zwischen den Zeilen lässt Christa Urbanek aber auch die Unsicherheit und Hoffnung jedes Einzelnen erkennen. Aus fast hundert Antwortbriefen auf ihre Kontaktanzeigen hat die so wunderbare lebenslustige Christa sich 50 Prozent davon ausgewählt – viele um einiges jünger – und hat sich mit ihnen getroffen. Angst hatte sie bei diesen Treffen eigentlich nie, doch dafür einige schräge Erfahrungen. Der bekannte Künstler Erwin Leder schreibt auf seiner Website über Christa und ihr Programm: «Chapeau, Christa, der Abend war ein Erlebnis der anderen Art. Viele kennen und lieben sie. Eine Frau wie ein Fels in der Brandung, die witzig funkelnden Augen hinter einer freakigen Brille verborgen. Kurzgeschorenes Haar mit einer neckischen Locke und ein ansteckendes schepperndes Lachen, das einem gewaltigen Resonanzkörper entspringt – ein Gesamtkunstwerk!»

Tante Christa an der Kassa

 

Christa Urbanek wurde 1947 in Wien geboren. Nach einem Vierteljahrhundert hinterm Schreibtisch schmiss sie ihre Nerven als Mutter zweier Töchter und den Job hin und startete so ihre späte Karriere beim Theater, Kabarett und beim Film. Seitdem hat sich Christa, die auch als österreichische Antwort auf Marianne Sägebrecht bezeichnet wurde, als charismatisches, selbstbewusstes Szeneoriginal einen Namen gemacht. Und nicht nur das, sie war auch aktiv beim Akkordeon- und Klezmore-Festival tätig an der Kassa und half bei vielen Vorstellungen ihrer Kolleg*innen aus. Dort kannte halb Wien sie als Tante Christa. Für ihren Dauerbrenner, die Realsatire Kennwort Unikat, die mehr als 20 Jahre auf Bühnen gespielt wurde, nahm Christa ihre authentischen Texte aus den zahlreichen Briefen ihrer Kontaktanzeigen her. Mit der Chiffre Gleiten statt Hetzen gab sie in Annoncen ihren sexuellen und sozialen Wünschen freien Lauf. Das Programm deckt 30 Jahre ihres Lebens ab. Unter vielen anderen spielte sie zum Beispiel die letzten Male 2015 wieder beim Satirefestival Schwechat unter Intendant Hannes C. Hoflehner. Claus Tieber, Regisseur ihres zweiten Programms Remasuri, sagt: «Egal ob volles Haus oder wenig Publikum, Christa machte als Besucherin so viel Stimmung wie gefühlte hundert Zuseher. Ob sie das Haus mit ihrem Lachen und Zwischenrufen mitriss oder uns Spielende vergessen ließ, dass wir vor nur fünf Leuten sitzen – mit Christa im Publikum war die Vorstellung gerettet.» In diesem neuen Programm griff Christa Urbanek einmal mehr in die Schatztruhe ihrer Erinnerungen, die sie weit geöffnet hatte. Da blieb kein Auge trocken und viele Fragen, die wir uns vielleicht noch nie zu stellen getraut haben, fanden eine Antwort. Ein Leckerbissen für Kleinkunstfans, waren ihre realsatirischen Schmankerln aus dem prallen Leben gegriffen, deftig zubereitet und hart, aber herzlich serviert. Leider erhielt Christa vor ein paar Jahren die Diagnose Krebs. Die letzten Monate lebte sie alleine in ihrer schönen großen Wohnung in der Diehlgasse, gleich beim Park, in dem sie so gerne weit öfter sektschlürfend gefeiert hätte, wie an ihrem letzten Geburtstag im vergangenen September in kleinster Runde.

Sie war und bleibt definitiv eine Philanthropin. Daher schmerzen die, wenn auch wenigen, geringschätzigen Kommentare über sie unter ihren YouTube-Videos und sollten uns ermahnen, wie oberflächlich gedacht und gelebt wird und warum die Ober- oder Unterweite oder der persönliche Bodymaß-Index niemanden, aber auch wirklich niemanden, was angehen. Persönlich teilte sie mir vor einem Jahr unverhohlen mit, wie enttäuscht sie von der Szene ist. Ihr Programm fand keine Abnehmer*innen mehr, keine Veranstalter*innen. Dreiundsiebzig bist du geworden, du Septemberkind du. Wir sind uns regelmäßig auf irgendwelchen Veranstaltungen über den Weg gelaufen, wie das eben so ist in der Wiener Szene, wo man jede*n kennt. Diese Zeiten haben sich seit dem 15. März 2020 dramatisch verändert. Es gibt kein gesellschaftliches Leben mehr. Man darf shoppen gehen, aber man darf keine Kultur erleben, wo das doch draußen jetzt wieder bis zu einem gewissen Maß möglich wäre. Die Kultur ist das letzte Glied einer sogenannten systemrelevanten Kette. Wie die Mitmenschlichkeit, die gibt man auch so gerne an der Garderobe ab. Christa aber hat sie immer und überall getragen. Christa, mit dir ist ein Stück 70er-Jahre Wien in den Himmel geflogen und verloren gegangen. Ich wünsch dir tausend blonde Engel, egal ob Mann oder Weib, du wirst dir das schon so richten, wie du magst. Daran haben wir keine Zweifel. Wir kommen dann gelegentlich nach. Servas, du Unikat! Adieu, du Hilfsbereite! Ciao, du Vielgeliebte! Adios Compañera.

Christa Urbanek wirkte in vielen Kino- und Fernsehproduktionen mit. Unter anderem ist sie in Susanne Freunds Dokumentarfilm I’m a bad guy zu sehen. Ausschnitte aus ihren Kabarettprogrammen auf YouTube.