Greift ein Wiener Wirtshaus-Sterben um sich?
Der beliebte Heurige auf der Alszeile in Dornbach muss einem Wohnhaus weichen. Für den Adlerhof in der Burggasse, den vor allem Fußball-Fans schätzen, wird gerade ein_e Nachfolger_in gesucht. Die Gastwirte Susanne Fichtner und Stefan Giczi erzählten Kerstin Kellermann (Text) und Kilian Haiku Kupries (Fotos) von ihrem arbeitsreichen Leben in der Gastronomie.«Wenn das Grundstück leer ist, kriegt man 3000 Euro pro Quadratmeter», spekuliert ein Stammgast. «In Dornbach kostet der Quadratmeter ab 2500 Euro aufwärts. Die Gemeinde ist interessiert. Die graben dann erst einmal eine Tiefgarage. Das Erste, was aufer rennt, sind die Ratten …» Die Stammgäste haben den Heurigen «Auf der Als» übernommen und beaufsichtigen den Flohmarkt mit den ganzen Gasthaus-Utensilien, denn die Wirtin ist krank. Die Wirtin war 25 Jahre lang Pächterin, Chefin und Köchin in einer Person. Zugesperrt wird der schöne Heurige schräg gegenüber dem Sportklub-Platz auf der Alszeile 34 mit den alten Bäumen – der Bagger wird darüberfahren. Der alte Platz, auf dem schon seit 200 Jahren Heurige standen, wie Postkarten beweisen, wird in ein Wohnhaus verwandelt. Mit der Post kam ein Flugblatt der MA 21 Stadtteilplanung und Flächennutzung an die Anrainer_innen, darauf der neue Flächenwidmungsplan. Man kann eine Stellungnahme schicken.
«Auf die Weinberge in der Nähe stehen die Bauleute ja auch sehr, aber so in Not kann das Stift St. Peter gar nicht kommen, dass die ihre Weinberge verkaufen», ist eine Frau überzeugt. Teller, Gläser, Lilienporzellan mit Blumen darauf, eine alte Waage, Salzstreuer, Besteck. An der Wand der niedrigen Holzhütte hängen Urkunden: «Chefin Helga, die beste Köchin von Hernals», «Der besten Heurigen-Chefin zum 60. Geburtstag» und sogar ein Gedicht eines zufriedenen Gastes (das an dieser Stelle bewusst nicht wiedergegeben wird, Anm. d. Red.)
Im Sommer war der straßenseitige Garten immer voll, auch mit Pensionist_innen mit Gehwagerl aus dem Altersheim etwas die Straße hinauf. Aber es gab auch Winterbetrieb und einen Kreis von Stammgästen, die teilweise seit inzwischen 45 Jahren regelmäßig in dem Gasthaus verkehren. Die frühere Chefin hieß Frau Fuchs und wohnte 42 Jahre lang hinter dem Gebäude in einem kleinen Haus, das nun auch geschliffen werden wird.
Die Hilde Rom der Gastronomie
Inzwischen ist die Junior-Chefin eingetroffen und zündet sich eine Zigarette an: «Unsere Verpächterin, Frau Fuchs, ist mit fast neunzig Jahren verstorben und die Erben waren zerstritten. Solange sie lebt, sind wir da, sagte die Fuchsi immer. Wir versuchten den Grund zu kaufen, aber immer sagte ein anderer Erbe nein.» Susanne Fichtner half der Mutter nach deren Herzinfarkt in der Küche, 25 Jahre lang war die Alszeile ihr Lebensmittelpunkt. «Die Mutter hat Schneider und Kürschner gelernt und erst ein Gasthaus im 21. Bezirk gehabt.» «Die Chefin war die Hilde Rom der Gastronomie», lacht Eugen Fichtner, der Schwiegersohn, «ähnlich wie auf der Löwinger Bühne. Die Leute sind wegen ihrer großen Goschn gekommen, und wenn sie einmal normal war, waren die Gäste angefressen.» «Meine Mutter hielt eisern durch und war stur, sogar als mein Bruder gestorben ist, hat sie sich weiter durchgebissen, es half ihr. Eine starke Frau, ein Steher. Nun von Tempo hundert auf null zurückschalten ist heftig. Sie kommt noch nicht ganz zurecht mit dem Daheimsein.»
Die Stammgäste trinken Sekt, reden von einem Sitzstreik und feiern den letzten Ausschank. «Der will nur Geld machen, der neue Besitzer», sagt einer. «Die Menschen hier zählen nichts.» Gewachsene Strukturen und soziale Netzwerke werden zerstört. «Die Gastro wird ruiniert», resümiert die Junior-Chefin, «man bräuchte inzwischen ein Büro mit Sekretärin. Es bleibt unter dem Strich nichts über. Die Gemütlichkeit ist beim Teufel und die Raucher haben draußen mehr Spaß als die anderen herinnen. Die haben uns schon etwas angetan. Es gibt keinen Antrieb mehr, ein Gasthaus zu übernehmen, mit den ganzen Auflagen und der vielen Arbeit. Heute weißt du ja nicht einmal mehr, ob du einen Schneebesen mit Holzgriff verwenden darfst oder nicht.»
Vom Parkcafé zum Adlerhof
«Irgendwie wird es mir leidtun, den Adlerhof zu verlassen. Ich habe immer gutes Publikum gehabt, junge Leute, die konsumieren. Es ist vorbei.» Stefan Giczi schüttelt den Kopf. Er kannte die echte Hilde Rom und vor allem deren Tochter Gabi Rom, die in der Nähe wohnte und Stammgast war, inzwischen aber bei ihrer Mutter lebt. Mit Wollweste und Haube sitzt er im Dunkeln in seinem Gasthaus und hat die Heizung voll aufgedreht. Düster und schummrig ist es hier, die Brauntöne dominieren, an der Wand hängen lauter signierte Fußball-Mannschaftsplakate. Schwer zu glauben, dass sich dieser Ungarn-Flüchtling mit 42 Jahren zu einem Neubeginn entschloß und, nachdem er als Konstrukteur zuletzt in einer Brückenbau-Firma gearbeitet hatte, das Parkcafé in der Dornbacher Straße eröffnete. «38 Jahre in der Gastwirtschaft. Das war wie ein Augenblick (er schnippt mit den Fingern, Anm.), so schnell. Mein Zeitgefühl ist weg. Montag war immer Ruhetag, und nach dem orientierte ich mich. Nun weiß ich nie, welcher Tag gerade ist. Außer, dass am Freitag die deutsche Bundesliga anfängt, da spielt der HSV gegen Bayern München (Die Bayern gewannen leider mit 2:1, Anm. d. Red.) » Ständig klopft jemand an die Türe und fordert Einlass, am Wochenende ist abends noch offen. Mit Köchin und Speisekarte.
Das Telefon läutet schon wieder. «Und sonst, alles happy?», fragt der alte Gastwirt. Er ist sehr beliebt bei seinen Gästen. Im Parkcafé in Dornbach wurde er Sportklub-Fan, denn es kamen auch Sportklub-Fans zu ihm. «Man fühlt sich hingezogen, wenn das Stadion so nahe ist», lächelt er. «Damals habe ich die Leute manchmal bis in der Früh sitzen lassen, da hatte ich Kondition. Alte Ungarn kamen hinaus nach Dornbach, und ein Mann sagte zu mir: ‹Ich wüsste etwas für Sie, aber das ist ein Gasthaus.› Ich wollte nämlich kein Gasthaus. Dann ging es Schlag auf Schlag mit dem Adlerhof. Mein Vorgänger war 27 Jahre hier, ein Tscheche.» Ein kleiner Plastik-Tannenbaum, ein Zwerg sitzt auf der Musikanlage, viele Bücher kugeln herum. «Ankommen ist leichter als weggehen», sagt ein Stammgast. Stefan Giczi sucht einen Nachfolger. Er galt als ruhig und wirkt sehr gelassen. «Auch wenn ich nicht ruhig war, hielt ich mich zurück. Man muss sich im Griff haben. Auch in der Wortwahl.» Die Vorhänge tragen die Deutschland-Farben, die hängen noch von der Weltmeisterschaft in Deutschland. «Wenn ich mich zurückziehe, werde ich wieder Fußball schauen gehen. Scheiß Gasthaus, aber ich hänge daran.» Aber erst einmal muss der Mann mit dem prallvollen Leben ins Krankenhaus.
Info:
Auch aus dem Osten von Wien werden Schließungen von traditionellen Wirtshäusern gemeldet: Das «Barbanek» in der Simmeringer Fuchsröhrenstraße 13 und im dritten Bezirk, Wassergasse 36, das «Mörk» (beide sind für eine Stellungnahme zu den Schließungen für den Augustin nicht erreichbar gewesen). Die berühmt-berüchtigte «Keiner Stuben», nur eine Tschiklänge vom «Mörk» entfernt in der Erdbergstraße 78-80 gelegen, hat einen Insolvenzantrag gestellt. Es soll laut Gesellschafter weitergehen. Und mögen die Portionen wieder größer werden!