Rebellische Verkäufer verhindern Verkaufsverbot in der Innenstadt
Innenstadt ohne Augustin? Nach jahrelanger Duldung gilt ein Koffer plötzlich als «verkehrsfremde» Straßenbenützung, sein Besitzer wird mit Strafen eingedeckt. Doch Augustin-Urgestein Ernst Tihlar lässt sich nicht aus dem Ersten Bezirk vertreiben. Peter A. Krobath (Text) und Milena Krobath (Foto) haben ihn dort besucht.
Da brauche ich gar nicht hinzugehen, der sei gestorben, sagt der Augustin-Verkäufer, den ich in der Schottengasse treffe. Zum Glück eine Verwechslung. Weil der Ernst Tihlar, der lebe schon noch, klar, und wie. Der sei nicht zu übersehen mit seinem Dingsda. Und nicht zu überhören, so laut, wie der «Augustin» rufe, das könne man noch in einem Kilometer Entfernung hören.
Ein Kilometer ist mitunter eine sehr persönliche Einschätzung. Ich höre die Verkaufsrufe des Herrn Tihlar erst, als ich von der Bognergasse Richtung Graben abbiege. «Einen Augustin, liebe Herrrschaften, einen Augustin! Der Augustin ist da! Wer will, wer mag, wer hat noch keinen, der nehme sich jetzt bitte einen.» Und da sitzt er auch schon, thront auf seinem Holzsessel an der Ecke zur Naglergasse, dort wo der Briefkastenbankier Julius Meinl der Fünfte – aus Sentimentalität oder aus schlechtem Gewissen – ein letztes Geschäft der einstigen Meinl-Feinkostkette bestehen ließ.
Schlafen in der Bank
Nicht nur für den Lebensmittelhandel, auch für Banken ist der Erste Wiener Gemeindebezirk kein gutes Pflaster mehr. Ihre Logik des optimalen Profits hat mittlerweile auch den letzten Rest von Würde besiegt. Die noble Präsentation in der Echtwelt zählt nicht mehr. Das Gold wird von der Fassade gekratzt und an den Bestbieter verkauft. Im Ersten ist das die Hotelbranche. Schlafen nicht auf, sondern in der Bank, lautet das Motto. So hat sich das Palais Gutmann, lange der Hauptsitz der Girozentrale, in ein Ritz Carlton verwandelt, die ehemalige Länderbank-Zentrale am Hof in ein Park Hyatt, und demnächst zieht in die stattliche Erste-Zentrale am Graben, also schräg gegenüber von Tihlars Verkaufseck, Rosewood ein, eine Luxushotelkette aus Hongkong.
Der Augustin-Verkäufer sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Hotelansiedlung und den Strafverfügungen, mit denen ihm die Polizei seit Februar versucht, das Leben schwer zu machen. Da er an Übergewicht leidet, also aus gesundheitlichen Gründen nicht im Stande ist, stundenlang zu stehen, hat er besagten Holzsessel dabei. Zudem, zwecks Transport einer Decke für seine Hündin Sheala und der Zeitungen, einen Rollkoffer, der ihm am Graben als Verkaufstisch dient.
Sechs Jahre lang war das kein Problem. Vor fünf Monaten hat sich die «dienstliche Wahrnehmung» der «Organe der Landespolizeidirektion» überraschend geändert. Seitdem gelten Sessel und Koffer als «Benützung der Straße zu verkehrsfremden Zwecken, ohne Besitz der hiefür erforderlichen Bewilligung nach § 82 StVO». Wo und wie er eine hiefür erforderliche Bewilligung bekommt, will ihm aber die Polizei nicht sagen. «Und wenn ich auf den Ämtern anrufe, heißt es, ich brauch gar keine.»
Die Reichen schimpfen
Für den 36-jährigen Augustin-Verkäufer steht zweierlei fest: 1. Die Reichen und die sie vertretende Bezirksvorstehung wollen nicht nur die Bettelnden, sondern auch die Augustinverkäufer_innen aus dem Ersten Bezirk vertreiben. 2. «Polizeistrafe zahle ich keine, nie. Da geh’ ich lieber ins Gefängnis!»
Zu Punkt 1: Die Klientel Tihlars ist ähnlich wie die anderer Augustin-Verkäufer_innen. Studierende kaufen ihm eine Zeitung ab, Pensionist_innen und «Leute, die einen normalen Beruf haben». Also all die, «die wissen, wie das ist, wenn man wenig Geld zum Leben hat». Die Reichen hingegen: «Die gehen vorbei und schimpfen dich auch noch.»
Zu Punkt 2: Ernst Tihlar verkauft freitags und samstags am Graben, und so gut wie jedes Mal bekommt er seit Ende Februar eine Strafe von 31 Euro, bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von einer Stunde. Plus der 250-Euro-Strafe für eine nicht höfliche Bemerkung macht das ein paar Tage Zwangsaufenthalt im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände. «Mir macht das gar nichts. Eine Sechs-Mann-Zelle, Fernsehen, Karten-Spielen, eine Gaude halt.»
Einen Stamm aufstellen
Er sei schon immer ein Revoluzzer gewesen, sagt Tihlar. Das habe ihm sein Vater beigebracht: «Stellst du einen Indianer auf, stell ich einen ganzen Stamm auf.» Und wenn er die Strafe nicht zahle, sondern absitze, wenn er täglich ein Essen bekomme, etwas zu trinken, setzt er seine persönliche Abrechnung fort, dazu die ärztliche Untersuchung und der ganze bürokratische Aufwand. «Wer ist da im Endeffekt der Gewinner? Ich!»
Der Augustin-Kollege vom Artikelanfang stößt zu uns. «Du bist selber Schuld, du schreist, das schreckt die Kieberer», meint er. «Ich krieg die Anzeigen wegen dem Sessel und dem Koffer», stellt Tihlar klar. «Das weiß ja ich nicht, warum du die Strafen kriegst. Aber du schreist. Ist meine Meinung», beharrt der Kollege. «Und du, du brauchst halt ein paar Bier, bevor du was verkaufen kannst», kontert Tihlar. Die beiden einigen sich schließlich darauf, dass jeder von ihnen seine eigene Methode hat; und sie sich nicht vom anderen und am allerwenigsten von der Polizei werden vorschreiben lassen, wie sie den Augustin verkaufen.