«Da ich selbst einer bin»vorstadt

Lokalmatador

Erich Stoier weiß genau, wovon er spricht: Er ist Autist, aber er fühlt sich nicht krank.

PROTOKOLL: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Guten Tag, ich heiße Erich Stoier. Ja, Stoier. Mein Familienname klingt für mich niederländisch. Das ist schön. Wir befinden uns hier im Donaupark, den ich als Treffpunkt vorgeschlagen habe. Für mich ist dieser Park ein Spielbrett, ein ökologisches. Denn es gibt hier auch nicht-menschliche Individuen: Vögel und Enten, Hummeln, Honigbienen dort hinten in der Imkerschule oder Ameisen hier auf dem Holztisch.
Die Ameisen sind sogar ein bisschen wie wir Menschen. Sie sind jedenfalls sehr gut organisiert. Jedes Tier erfüllt seine Aufgabe in seiner Kolonie. Und ja, Ameisen führen auch Kriege.

Geograf.

Der Herr von der Zeitung fragt, was mir zum Autist-Sein einfällt. Dazu könnte ich viele Dinge sagen, da ich selbst einer bin. Wichtig ist mir aber vor allem, darauf aufmerksam zu machen, dass wir alle Menschen sind und dass wir als Menschen alle unterschiedlich sind. So ist das auch bei uns Autist_innen. Und wenn jemand sagt, dass wir krank sind, dann stimmt das einfach nicht. Wir haben nur eine andere Art, wie wir die Welt wahrnehmen.
Wenn wir an dieser Stelle vielleicht noch einmal auf den Donaupark zu sprechen kommen: Er liegt für mich im Osten von Wien. Zum Osten von Wien zähle ich die Bezirke 10, 11, 21 und 22. Alle andere sind West-Wien. Und ich möchte mit den Bewohner_innen dort drüben nicht tauschen. Die Geografie zählt übrigens zu meinen Lieblingsgegenständen in der Schule. Ich bin 16 und werde in Kürze die sechste Klasse im Evangelischen Gymnasium abschließen. Ich darf das als meinen persönlichen Bildungserfolg verkaufen, denn ich habe den großen Sprung von der Mittelschule in die Oberstufe eines Gymnasium geschafft. Ein bisschen indirekt wurde ich dabei von meiner Mutter unterstützt. Von Lehrer_innen auch? Ja, auch von einigen Lehrer_innen, besonders von Integrationslehrer_innen.

Passagier.

Mein Gymnasium befindet sich in der Maculangasse in meinem Heimatbezirk, dem 22. Über diese Schule gibt es nichts Schlechtes zu sagen, vor allem widerfährt mir hier kein Mobbing. Die nehmen mich dort genau so, wie ich bin. Wie sich Mobbing anfühlt, habe ich leider schon einmal erleben müssen. Das ist für niemanden angenehm.
Mich interessiert auch Mathe, also in erster Linie Wirtschaftsmathematik, also das Rechnen mit Geld. In zwei Jahren wartet auf mich die größte Prüfung aller Zeiten, die Matura. Einen Beruf in der Wirtschaft, genauer gesagt in der Transportwirtschaft, könnte ich mir danach gut vorstellen. Wobei ich mit Transport in erster Linie den Transport von Passa­gieren meine. Ich selbst war schon im Alter von drei
Jahren Passagier. Ich bin damals von meiner Mutter im Donauzentrum weggelaufen, alleine mit der Straßenbahn nach Floridsdorf gefahren und weiter mit der U6 bis zur Station Spittelau. Dort hat mich eine ältere Dame entdeckt und zur Polizei gebracht.

Verkehrsplaner.

Wir sind somit bei einem Thema angelangt, das mir persönlich besonders am Herzen liegt: beim weiteren Ausbau des Wiener Straßenbahn- und Busnetzes. Keine Frage, U-Bahnen sind notwendig, um die Masse der Fahrgäste zu transportieren. Aber schauen Sie bitte, ich habe hier eine Liste von Straßenbahn- und Busverbindungen mitgebracht, die in den vergangenen dreißig Jahren eingestellt wurden.
Ich bin sehr dafür, dass man diese Linien wieder aktiviert. Ihre Stationen sind näher bei den Menschen dran, was vor allem für jene von Vorteil ist, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. In meinen Straßenbahnen und Bussen würde es auch wieder Schaffner_innen geben. Weil ich möchte, dass unsere Gesellschaft menschlicher wird.
Das Reisen und Verreisen ist mir auch in meiner Freizeit wichtig. Meine Mutter will nach Italien, doch ich möchte lieber Israel, Indien und Taiwan kennenlernen. Auch Deutschland, mein zweitgeliebtes Land nach Taiwan. Ich mag vor allem die flachen Landschaften Deutschlands, wie zum Beispiel jene in Nordrhein-Westfalen. Und natürlich die Schwebe­bahn in Wuppertal. So eine Schwebebahn in Wien, das wäre was, eventuell entlang der Alten Donau?
Oder nach Essling. Dort ist der Reitstall mit meinen geliebten Fjordpferden. Ich mag sie, weil sie schön anzusehen sind und weil sie trotz ihrer Größe von nur 140, 150 Zentimeter auch von großgewachsenen Menschen geritten werden können.
Ich schwimme auch gerne, zum Beispiel in der Therme Oberlaa. Und ich zeichne in meiner Freizeit gerne Pläne und Karten. Schön wäre es, wenn ich in diese Richtung auch beruflich etwas machen könnte. Aber wie gesagt: Alles erst nach der größten Prüfung aller Zeiten.