«Dann kam die Pandemie und hat alle Ängste eingelöst»tun & lassen

Wovor haben wir Angst? Und schadet uns die Angst nur, oder hilft sie uns auch? Die Journalistin Petra Ramsauer über diffuse und konkrete Ängste in Zeiten der Pandemie.

Interview: Cornelia Stahl

In der Zeit des Kalten Krieges hat Angst eine tragende Rolle gespielt. Inwieweit haben sich Furcht und Angst seither verändert?
Petra Ramsauer: Wenn man in die Geschichte blickt, findet man in jeder Epoche eine Bestandsaufnahme, von der sich sagen ließe, es würde sich um eine Ära der Angst handeln. Sehr stark war das in den USA ausgeprägt. Aber auch ich bin mit der Angst der totalen Auslöschung der Erde durch einen möglichen Nuklearkrieg aufgewachsen. Im Laufe der Zeit hat sich die Angst von einer Furcht vor einem konkreten Ereignis ausgefranst in eine diffuse, ungewisse Zukunftsangst, die wir jetzt spüren. Heinz Bude hat die schon 2014 mit seinem Buch Gesellschaft der Angst für Deutschland und auch für Österreich konstatiert. Da gab es schon einige angstmachende Faktoren am Horizont, wie die Digitalisierung, Automatisierung, Klimakrise, Krise des Bildungssystems, Krise des Gesundheitssystems, wie geht es mit den Pensionen weiter? Dann kam die Pandemie und hat alle diese Ängste eingelöst.

… hat alle diese Ängste eingelöst?
Ja, minus Klimawandel. Man kennt ja diese diffuse Angst vor einem Worst-Case-Szenario – zum Beispiel vor einem Arzttermin. Man hat keine Beschwerden, aber da lauert die Angst, man könnte etwas finden. Das ist die Balance, die wir halten: zwischen der Angst vor einem Ereignis und dem Abgleich mit der Realität, dass eh nichts Schlimmes passiert. Und dann kam tatsächlich diese Pandemie, die zumindest kurzfristig viele schlimme Befürchtungen eingelöst hat.

Welche Personengruppe war und ist immer noch von dieser Angst betroffen?
Wir sehen am Beispiel des Krieges, dass die Angst oder die Belastungssitua­tion im Moment des Konflikts gar nicht so stark ausgeprägt ist. Erst wenn es ruhig wird, kommt all das plötzlich hoch.
Wir haben in der Pandemie das erste Mal erlebt, dass Intensivstationen tatsächlich voll sein können. Zum ersten Mal stand im Raum, dass die – vereinfacht formulierte – Zusicherung des Staats: «Wir kümmern uns. Wenn ihr krank seid, sind wir für euch da», nicht mehr hundertprozentig einlösbar ist. Worte wie Triage standen im Raum.
Massiv ist auch die Frage der Pflege und Betreuung in den Mittelpunkt gerückt. Wer kümmert sich um uns alte Menschen, wenn das System, das eigentlich auf der Ausbeutung von Pflegerinnen aus Osteuropa beruht, nicht mehr funktioniert? Haben wir die Kapazität, haben wir die Pensionen, haben wir die Pflegeleistungen? Es gibt die Angst älterer Menschen, nicht in Pflegeheimen besucht zu werden. Jetzt wissen wir aber, dass auch vor der Pandemie Bewohner_innen von Pflegeheimen wenig Besuch bekamen. Eigentlich wurde jetzt aufgezeigt, wie krankmachend das System insgesamt ist. Alle, die Betreuung und Sorge brauchten, sind ins Abseits geraten, die Kinder, die Jugendlichen, die Älteren. Man kann nicht von einer bestimmten Personengruppe sprechen, die von den Ängsten besonders betroffen ist.

In den Medien ist die Rede von Kindern und Jugendlichen, die aufgrund der Pandemie depressiv geworden sind.
Natürlich hat es die Jugendlichen am meisten getroffen. Ich spreche aus der Erfahrung aus meinem Bekanntenkreis, da tun sich einige Jugendliche jetzt sehr schwer, wieder zurückzufinden. Ich denke, da wird es sicher eine «Generation Pandemie» geben. Aber ich bin sehr vorsichtig mit dem Krankheitsbegriff. Ich wage Zweifel anzubringen, ob eine Pandemie eine Krankheit wie Depression auslösen kann.

Angst hat nicht nur negative Aspekte.
Angst gilt als notwendiges Warn­system. Hätten wir keine Angst, könnten wir nicht überleben. Unser Körper warnt uns instinktiv. Die Abläufe in unserem Gehirn vollziehen sich rasant: Wenn wir auf Glatteis sind, müssen wir sehr schnell reagieren. Angst versetzt unseren Körper in einen Hochleistungszustand. Problematisch wird es, wenn uns Trigger in einem Hochleistungszustand halten, wenn das zu häufig passiert.
Aber bleiben wir bei den positiven Aspekten der Angst. In der Philosophie sind es Existentialisten wie Kierkegaard oder Sartre, die Angst auch als Triebfeder sehen. Wenn wir durch diese Angst gehen, dann reifen wir als Persönlichkeit. Das ist eine spannende Lebensaufgabe, vor der wir mehr oder weniger alle stehen. Wann ist die Angst rotes Licht? Wann ist die Angst grünes Licht? Auf welche Angst ich hören muss, und welche Angst ich besiegen muss, das ist ein ganz großes Ding.
Obwohl ich keine Verfechterin von Freud bin, habe ich einmal einen wichtigen Satz von ihm in einer Vorlesung gehört, der mir gefällt: Wie wir mit der Angst umgehen, entscheidet wesentlich über das Gewinnen oder Scheitern eines Lebens. Es ist der Knotenpunkt der Seele. 

Petra Ramsauer: Angst
Kremayr & Scheriau 2020
128 Seiten, 18 Euro

Das Gespräch mit Petra Ramsauer ist auf Radio Orange 94.0 nachzuhören:
https://cba.fro.at/528155

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