Dannebergpredigt: Steuer auf Vergesslichkeittun & lassen

Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist? Wir leben in einer alternden Gesellschaft mit einer steigenden Zahl von Menschen, die an Demenz leiden. Das wollen viele vergessen.Umso wichtiger war das 3. Querdenk-Symposium (für Angehörige) der Caritas-Pflege am 9. Juni in der Ankerbrotfabrik, bei dem ich zur Podiumsdiskussion geladen war. Beeindruckt hat mich dabei der Angehörigenrat, der die Fachvorträge und Diskussionen als oberste Instanz begleitet, kommentiert und das letzte Wort bekommen hat. Hier waren unmittelbar Betroffene die Expert_innen.

«Ungehörig angehörig» lautete das Motto, unter dem die Rolle von pflegenden Angehörigen quergedacht werden sollte. Das Bild vom Eisberg, dessen unterer Teil zu 90 Prozent unsichtbar bleibt, entspricht jenem der unentgeltlichen Betreuung: Angehörige pflegen 80 Prozent aller an Demenz erkrankten Personen. Doch von Politik und Wirtschaft wird allenfalls der obere Eisbergteil ins Visier genommen: Wo kann eingespart, kompensiert, personell verschlankt werden? Das Ehrenamt als Rettung des Sozialstaates?

«Vergessen» ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Verdrängtes tritt dann an anderer Stelle wieder zutage. Der britischen Premierministerin Theresa May wurden bei der Parlamentswahl nicht Terrorängste, sondern soziale Verwerfungen, darunter eine geforderte Demenzsteuer, zum Verhängnis. Die von den Torys forcierte Privatisierung öffentlicher Güter, Kürzungen sozialer Leistungen oder die Besteuerung gesundheitlicher Risikofaktoren wie Demenzerkrankungen brachten der Labour Party unter ­Jeremy Corbyn erstaunliche Zugewinne. Eine Demenzsteuer sollten vielleicht all jene zahlen, die vergessen haben, dass unter Margret Thatcher mit TINA das größte sozialpolitische Abbauprogramm Großbritanniens eingeleitet wurde, das heute 1,2 Millionen Brit_innen zu karitativen Nahrungsbettler_innen macht und vier Millionen Kinder in Armut aufwachsen lässt.

Sehnsucht nach Solidarität, ein erwachendes Klassenbewusstsein brachten dem Linkssozialisten Jeremy Corbyn Erfolg. Glücklich ist, wer nicht vergisst, dass doch was zu ändern ist.