«Darf ich einem Augustin-Verkäufer einfach so Geld geben?»tun & lassen

Schüler_innen denken gemeinsam übers Betteln nach

Ein Schüler erzählt, wie ihn ein Bettler um Geld gebeten hat: Er habe sich nicht so einfach abweisen lassen, das habe den Schüler genervt. Eine Religionslehrerin hört, wie die Jugendlichen daraufhin abfällig über Bettler_innen im Allgemeinen reden. Sie nimmt das als Anlass, im Unterricht gemeinsam über die Praxis des Habens und des Gebens nachzudenken. Ein Erfahrungsbericht.Wie jedes Jahr war ich auch letztes Jahr mit der immer gleichen Frage beschäftigt: Wie die großen Themen Gerechtigkeit, Glaube, Zivilcourage, Nächstenliebe so in den Religionsunterricht bringen, dass meine Schüler_innen etwas damit anfangen können. Konkret ging es diesmal um eine HTL-Gruppe, die vornehmlich mit Schüler_innen aus den ersten zwei Jahrgängen besetzt war.

Inspiriert hat mich eine Diskussion, die diese Schüler_innen vor einer meiner Stunden führten. Ein Schüler wurde von einem Bettler in der U-Bahn-Station um Geld gebeten. Der Schüler wollte nichts geben, der Bettler ging ihm noch eine Zeit lang nach und bat ihn immer wieder um Geld. Das hat meinen Schüler sehr genervt und unter Druck gesetzt, was zu ziemlich unschönen Aussagen über Menschen, die betteln müssen, führte.

Armut hat mit uns zu tun – ob wir wollen oder nicht

Lebensweltbezug erkannt – Lebensweltbezug gebannt. Hier war er also gleich da von Anfang an – ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, war in die Lebenswelt meiner Schüler_innen eingedrungen. Sofort beschloss ich, diese Chance zu nützen und mich in den nächsten Stunden den Themen Armut und Betteln zuzuwenden. Zunächst ging es mir darum, das Thema ins Gespräch zu bringen und abzuklären, welche Erfahrungen und Gedanken meine Lerngruppe einbringt. Dazu machte ich Kärtchen, auf denen verschiedene Sätze zu lesen waren, wie zum Beispiel: «Menschen, die arm sind, sind daran selber schuld.» Oder: «Es gibt eine Bettelmafia.» Oder: «Es ist mir völlig egal, was ein_e Bettler_in mit dem Geld macht, das ich ihm_ihr gebe.» Oder: «Alle Menschen, die betteln, sind kriminell.» Die Schüler_innen zogen nun abwechselnd die Karten und nahmen dazu spontan Stellung. Danach durften alle anderen ergänzen, widersprechen, ihre Meinung dazu sagen. Es entspannen sich viele interessante Diskussionen, mit einigen Ergebnissen, die ich während der Diskussion notierte. Es gab viele Dinge, die die Schüler_innen nicht genau wussten. Hier vereinbarten wir, dass ich Informationen zur Verfügung stellen würde. Zu den Themen Bettelmafia und Bettelverbot (bzw. zur Frage: Ist betteln legal?) herrschten sehr einhellige Meinungen vor, die vor allem mit Fernsehdokumentationen begründet wurden. So waren alle meine Schüler_innen davon überzeugt, dass Betteln verboten sei und dass es in anderen Ländern eine Bettelmafia gäbe, die Bettler_innen gezielt nach Wien schicken würde.

In der nächsten Stunde ging es um die eigenen Erfahrungen mit Bettler_innen. Dazu hatte ich verschiedene Bilder von Menschen, die betteln müssen, mitgebracht, und die Schüler_innen erzählten dazu ihre Erfahrungen und Geschichten. Besonders «bekannt» waren die singenden Frauen in den U-Bahn-Stationen und die Bettler_innen, die auf der Straße knien. Spontan stellte ich dann die Frage, wer denn schon einmal einem Bettler bzw. einer Bettlerin Geld gegeben hat und wie das so ist? Die Antworten darauf waren für mich ernüchternd. Meine Schüler_innen haben zwar schon viele Bettler_innen gesehen, sind aber noch nie auf die Idee gekommen, ihnen etwas zu geben. Begründet wurde das ganz oft mit dem Stichwort «Bettelmafia».

Nun überlegte ich, wie ich das ganze Thema noch mehr in die Lebenswelt meiner Schüler_innen holen könnte. Ihnen fehlte meiner Meinung nach die Erfahrung, dass Geben auch etwas Schönes, Angstfreies sein kann. Und diese Erfahrung wollte ich ihnen ermöglichen.

Geld hergeben? Einfach ausprobieren!

Ich sammelte bei mir zuhause alles Kleingeld zusammen, das ich finden konnte, und nahm es in die nächste Unterrichtsstunde mit. Gegen Ende der Stunde griff ich in meine Hosentasche und holte einen Berg Münzen heraus, stellte mich vor meine Schüler_innen hin und drückte ihnen Geld in ihre ausgestreckten Hände. Die Aufgabe lautete nun: Das Geld gehört jetzt dir. Was du damit machst, ist deine Entscheidung. Wenn du möchtest, kannst du es einem bettelnden Menschen geben. Du musst das aber nicht tun. Nächste Woche möchte ich mit euch darüber sprechen.

Die Schüler_innen waren verblüfft, steckten aber das Geld ein, und ich hörte sie am Weg nach draußen schon diskutieren, was sie mit dem Geld machen könnten. In der nächsten Stunde fragte ich nach ihren Erfahrungen. Eine Schülerin hatte das Geld gleich nach der letzten Stunde einem Bettler gegeben und dafür, wie sie stolz berichtete, ein Dankeschön bekommen. Ein Schüler wollte das Geld einem Augustin-Verkäufer geben, hat sich aber nicht getraut, weil er nicht wusste, ob man ihm einfach so Geld geben kann. Einem Schüler fiel erst am Tag der Reli-Stunde der Auftrag ein, und er machte sich verzweifelt auf die Suche nach einem_r Bettler_in. Aussage. «Wenn man einen braucht, findet man keinen.» Wir haben viel über die Erfahrungen gesprochen und uns auch noch mit der Bettel Lobby und ähnlichen Einrichtungen beschäftigt. Meine Schüler_innen haben den Selbstversuch als positiv empfunden, da er auf Freiwilligkeit beruhte und sie selber entscheiden konnten, was sie tun werden.

Monika Liebert

Mit freundlicher Abdruckgenehmigung von Bettel Lobby Wien http://bettellobbywien.wordpress.com

Mag. Monika Liebert ist Religionslehrerin in Wien und leitet die ARGE ReligionslehrerInnen ABMHS in Wien