Arbeitsjournal eines Theaterexperiments, Teil 5
Am 4.2.1995 wurden vier Männer ermordet, weil sie Roma waren. Eine Sprengfalle, wenige Meter von der Oberwarter Romasiedlung entfernt, tötete Karl und Erwin Horvath, Peter Sarközy und Josef Simon. Mit der Inszenierung von Elfriede Jelineks „“Stecken, Stab und Stangl““ möchte ein interkulturelles Ensemble unter der Leitung von Tina Leisch an dieses Attentat erinnern.Was soll man sagen? Dass Erwin 18 Jahre alt war, gerne malte und Karten spielte? Dass sein Bruder Karl 23 Jahre alt war und am Bau gearbeitet hatte? Dass er die Sonderschule absolviert hatte, wie so viele Roma seiner Generation. Weil man Roma auf anderen Schulen nicht wollte. Dass Peter Sarközy ein Mensch war, dem seine Freundin und sein Hund Glück genug bedeuteten für ein zufriedenes Leben? Dass Josef Simon seine Frau und fünf Kinder hinterließ? Dass seine Mutter das KZ Auschwitz überlebt hatte? Dass bei ihm, dem Bastler der Siedlung, der die kaputten Waschmaschinen und Fernseher reparierte, nach seiner Ermordung die Polizei all sein Elektrobastlerwerkzeug beschlagnahmte?
Denn zwar hatte die Staatspolizei schnell das Attentat in die Reihe der rechtsradikalen Briefbombenserie eingeordnet, aber die lokalen Ordnungshüter ließen es sich nicht nehmen, die Häuser der Ermordeten zu perlustrieren. Zum deutlichen Beweis, dass in Österreich bis heute die Täter als Opfer und die Opfer als Täter gelten.
Dass Jörg Haider meinte: „Wer sagt, dass es nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einen Autoschieberdeal oder um Drogen gegangen ist?“
Dass noch Tage nach dem Anschlag die Menschen in der Oberwarter Romasiedlung kaum die Jalousien hochziehen konnten, ohne in eine Kamera zu blicken?
Soll man glauben, dass es die einsame Wahnsinnstat des Einzeltäters Ernst Fuchs war, oder soll man diese Tat als einen extremen Ausbruch eines meist weniger mörderisch sich äußernden, aber doch stetig präsenten, tief verwurzelten Rassismus und Antiziganismus lesen?
Und worin wurzelt der? In den Genen, im Blut? In der Volksseele? Im kollektiven Gedächtnis?
Elfriede Jelineks Text behauptet: in der Sprache. Jedenfalls ist es in der Sprache und durch die Sprache, dass Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus gelehrt und verbreitet werden. Und beileibe nicht nur in der Sprache, die in finsteren braunen Winkeln unterm Hitlerbild gesprochen wird. Sondern z. B. in der Sprache der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs.
Oberwarter Projekt zur Traumabewältigung
Etwa 25.000 Roma leben in Österreich. Allerdings der größere Teil von ihnen ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten eingewandert. Die seit Jahrhunderten in Österreich lebenden Roma und Sinti, die Kesselschmiede und Scherenschleifer, die PferdehändlerInnen, WanderverkäuferInnen und SchaustellerInnen, ihre Kultur und Tradition, wurde von den NationalsozialistInnen ermordet. In die Burgenländer Gemeinden kehrten von zehntausend verschleppten Roma nach dem Krieg nicht einmal 500 Überlebende zurück aus den Konzentrationslagern Lackenbach und Maxglan, Auschwitz und Mauthausen. Aus Oberwart wurden dreihundertsechzig Roma in die Lager deportiert. Neunzehn kamen zurück, fanden ihre Siedlungen in Schutt und Asche und kaum Menschen, die sich an die zurückliegenden Jahre erinnern wollten oder Reue gezeigt oder sich für das Schicksal der Ermordeten interessiert hätten. Ja, bis heute weigern sich manche Burgenländer Gemeinden auch nur einen Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus aufzustellen.
Antiziganismus (Zigeunerfeindlichkeit) zu bekämpfen war kein Thema. Ungeniert schloss man weiter die Roma aus Gasthäusern und Schulen, aus Bildung und beruflichem Leben aus.
Erst 1993 wurden die Roma und Sinti als Volksgruppe anerkannt.
Erst 1989 besuchte die erste kleine Romni in Oberwart den Kindergarten. Aufgrund von Vorurteilen, nicht wegen mangelnder Intelligenz wurden viele Romakinder in Sonderschulen abgeschoben. Erst durch die intensive außerschulische Lernbetreuung des Roma-Vereins gelang es in den letzten Jahren, die Zahl der SonderschülerInnen auf ein durchschnittliches Niveau zu bringen.
„Die PolitikerInnen sagen immer, dass sie was tun werden. Das stimmt selten. Und eigentlich können sie auch nichts tun. Wir selbst müssen etwas tun, müssen aber dafür die nötigen Mittel erhalten“, sagt Susanne Baranyai, die als Sozial- und Berufspädagogin die Romaberatungsstelle betreut.
Tina Nardai, Geschäftsführerin der Volkshochschule der Burgenländer Roma organisiert Bildungsprogramme, Romaneskurse, Filmabende für Gadsche und Roma.
„Wir haben ja auch unsere Kultur fast verloren. Unter dem Druck von außen, um nicht als ZigeunerInnen dazustehen, haben viele Leute aufgehört, Romanes zu sprechen. Viele unserer Leute, die jahrzehntelang diskriminiert wurden, keinen Zugang zur Ausbildung erhielten, keine, schon gar keine guten Jobs, die fallen in ein tiefes, schwarzes Loch. Die wollen unter sich bleiben und nicht einmal zu den Filmabenden kommen. Ich gehe da oft von Haus zu Haus, um sie alle persönlich einzuladen.“
Susanne Baranyai: „Das Attentat war und ist für uns bis heute ein Albtraum, über den wir kaum sprechen. Die meisten Angehörigen der vier Ermordeten sind überhaupt weggezogen aus Oberwart. Und professionelle Hilfe hat niemand angenommen. Erst jetzt planen wir ein Projekt zur Traumabewältigung. Denn es sitzt doch allen tief in den Knochen.“ Sagt Susanne Baranyai.
Premiere: 16. November im ehemaligen jüdischen Theater im Nestroyhof
Informationen unter www.steckenstabundstangl.
Karten unter 0 699 101 945 79
www.verein-roma.at (Verein Roma)
www.kbk.at/roma (Volkshochschule der Burgenländischen Roma)
www.burgenland-roma.at (zur Geschichte und aktuellen Situation der Roma)