Selbsternannte Afrikaexpert_innen zurück an den Start
Angesichts von Berichten über Bürgerkriege und Flucht, Aids und Ebola, Armut und Hungersnöten und den damit verbundenen Spendenaufrufen fragen sich wohl viele Österreicher_innen, «warum ausgerechnet» in Afrika «ewig Hunger, Kriege, Staatsstreiche, Korruption, Diktaturen» herrschen und «da stets Entwicklungs- und Nothilfe das Allerschlimmste verhindern» müssen. Für Medienkonsument_innen ist das angesichts der medialen Bilder, die immer wieder Afrika insgesamt so darstellen eine nachvollziehbare Frage. Der Chefredakteur eines Qualitätsmagazins sollte eigentlich einige Schritte weiter denken.Stattdessen liefert uns Christian Rainer in seinem Beitrag «Darum immer Afrika» («Profil» vom 15. 7. 2012) ein Lehrstück darüber, wie genau dieses Afrikabild konstruiert wird. Zwar unternahm er eine Reise nach Afrika, nämlich nach Niger, Burkina Faso und Mali und befragte einige «Afrikaner» und NGO-Expert_innen zu den Gründen für die «Misere». Was daraus entstand, ist aber leider keine tief greifende Auseinandersetzung mit der Thematik, sondern bleibt in der bloßen Reproduktion schon bestehender Afrikabilder stecken. Christian Rainer lässt über die Auswahl der Aussagen Afrika zu einem hoffnungslosen Krisenkontinent schrumpfen, dem nicht mehr zu helfen sei. Auch er berichtet, wie viele andere Journalist_innen, ausschließlich von gewaltsamen Konflikten, Krankheiten, Krisen, Hunger und Dürre. Bevölkerungswachstum und Armut gelten als Verursacher einer «Misere Afrikas», und es werden dabei alle möglichen Stereotypen durchdekliniert, wie Traditionalismus, Tribalismus, Demokratieunfähigkeit oder die «greise alte Bäuerin», die auf ihrem Acker steht, um auf dem vertrockneten Boden die Saat auszusäen. Als besonders bizarr erscheint die Hochrechnung, nach der ein muslimischer Mann im Durchschnitt 32 Kinder haben soll, oder dass, weil zwei NGO-Vertreter das Gleiche, nämlich «Häuptlingsstrukturen», als Problem benennen, dies als Wahrheit bezeichnet wird.
Kolonialismus und «Entwicklungshilfe»
Bemerkenswert jedenfalls sind die Überlebensleistungen, wie sie trotz widriger Bedingungen viele Millionen Menschen in Afrika tagtäglich vollbringen (vgl. Human Development Report). Die Gründe für die Probleme in den afrikanischen Ländern wiederum sind vielfältig und können hier nicht erschöpfend aufgezählt werden. Neben internen Faktoren wie schlechter Regierungsführung und Korruption in vielen Staaten hat auch der Kolonialismus wesentlich zu den heutigen Problemen beigetragen. So wurden in vielen Kolonien die traditionellen Gesellschafts- und Sozialstrukturen zerstört und großflächige Umsiedlungen vorgenommen, um die Kolonialisierten besser kontrollieren zu können, was wiederum den Keim für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb von afrikanischen Staaten legte. Auch sind die Ökonomien vieler Länder nach wie vor auf den Export sogenannter kolonialer Produkte wie Kaffee, Baumwolle oder Mineralien fokussiert. Hinzu kommen internationale Hemmnisse wie die Problematik der Handelsschranken und der Agrarsubventionen, auf Grund derer viele Länder auf den internationalen Märkten nur in einem beschränkten Ausmaß teilnehmen können, was sich auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsmärkte dieser Länder negativ auswirkt. Auch die Rolle der Entwicklungspolitik muss kritisch beleuchtet werden, gerade die Sahelzone ist dabei ein Beispiel für fehlgeleitete Projekte. Von europäischen Entwicklungsexpert_innen wurden in den 1970er Jahren Brunnen gebaut, die dann zu viele und zu große Herden anzogen. Als Folge verschwand die natürliche Vegetation, Sand und Trockenheit entstanden, die wiederum zu Hungersnöten führten. Es ist verkürzt, die Problematik auf interne Faktoren zu reduzieren, es müssen auch die externen Verursacher von Armut in Afrika beleuchtet und die Verschränktheit beider anerkannt werden.
Auch der ausschließliche Fokus auf Probleme führt zu einer verzerrten Darstellung. Afrika verzeichnet ein starkes Wirtschaftswachstum quer durch Länder und Branchen, das nicht allein auf den globalen Rohstoffboom zurückzuführen ist, sondern auch auf wirtschaftliche Reformen und signifikante Verbesserungen bezüglich Frieden und Sicherheit.
54 Länder mit einem Schlag
Anstatt seinen Ansichten mithilfe tendenziöser Zitate eine Aura von Schein-Authentizität zu verleihen, hätte der Chefredakteur des «Profil» ein paar Grundregeln qualitativ guter journalistischer Arbeit beherzigen sollen wie gründliche und faire Recherche sowie Quellenkritik und eine ausgewogene Auswahl an Zitaten und Zitierten, dann wäre es ihm vielleicht gelungen, sein eigenes Afrikabild zu überprüfen und ein vielschichtigeres und differenzierteres Bild vom Kontinent mit seinen 54 kulturell, wirtschaftlich und politisch extrem unterschiedlichen Ländern und deren je eigenen Entwicklungsgeschichten, Problemen und Erfolgen zu zeichnen. Dies würde etwa bedeuten, die Verantwortung der lokal Regierenden für Probleme ebenso zu benennen wie die ökonomischen Folgen einer Globalisierung, die Afrika abgekoppelt hat.
Ein derartiges Afrikabild ist unvollständig, weil es wesentliche Teile der Realität ausblendet. Verschwiegen wird so, dass sich auch in Afrika Veränderungen vollziehen, und dass es auch ein Kontinent der Hoffnung und des Aufbruchs ist. Sinnvoller wäre es gewesen, Rainer hätte seine Reise dazu benutzt, die Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen der bereisten Länder zu erkunden und sich und uns, seinen Leser_innen, ein zutreffenderes Bild zu erarbeiten. Denn um es in den Worten von Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf zu sagen: «I do believe that a new Africa is unfolding before our eyes.»