Das blaue Rabaukerltun & lassen

Der Innenminister mimt das Enfant terrible der Bundesregierung

Keine Frage, Herbert Kickl ist rücktrittsreif. Was aber geht im Innenministerium eigentlich vor? Sind Kickls Mitarbeiter einfach nur vollkommen unkontrollierte Stümper? Oder steckt hinter den wiederholten Grenzüberschreitungen möglicherweise bewusste Strategie? Von Liese Kuttin und Samuel Stuhlpfarrer.


Illustration: Karl Berger

Am Ende währte die Selbstversicherung nicht lange. Nach dem Bekanntwerden einer Mail aus dem Innenministerium, in dem den Landespolizeidirektionen Zurückhaltung in der Kommunikation mit «kritischen» Medien angeraten worden war, war die Unruhe gehörig. Nicht nur die Opposition und Journalist_innenorganisationen protestierten Ende September scharf gegen die Anweisung aus dem Innenministerium, neben dem Bundespräsidenten sah sich auch der Kanzler dazu veranlasst, die Unantastbarkeit der Pressefreiheit zu betonen. Und selbst der Präsident der Industriellenvereinigung (IV) rüffelte den blauen Minister: «Ich glaube, Kickl hat wirklich eine Grenze überschritten», sagte Georg Kapsch, ein früher Förderer der rechtsextremen Bürgerblockregierung.

Innenminister Herbert Kickl ruderte schließlich zurück und schob die Verantwortung für den Schrieb seinem Pressesprecher zu. Das war es dann aber auch schon wieder. Der mit Abstand und Gründen unbeliebteste Minister dieser Bundesregierung ist nicht daran interessiert, nach den Regeln der alten Elite zu spielen. Das bekam Kapsch denn auch gleich zu spüren. «Einen Schmarren» gehe ihn die Causa an, ließ der freiheitliche Generalsekretär Christian Hafenecker den IV-Boss wissen.

Nur eine Woche nach dem Wirbel um das «Zensur-Mail» schrieb der Falter vom Versuch Peter Goldgrubers, Kickls rechter Hand als Generalsekretär im Innenministerium, Informationen über verdeckte Ermittler des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Burschenschaftermilieu zu erfragen. Das Ansinnen wurde von der Leiterin des Rechtsextremismus-Referats nur halbherzig beantwortet. Dafür beschlagnahmte die Polizei im Zuge der – rechtswidrigen – Razzia im BVT Computer und Datenträger aus dem Referat. Im Innenministerium tobte man. Und beging den nächsten Tabubruch. In der Auseinandersetzung um die Frage, ob Falter-Chefredakteur Florian Klenk Goldgruber ausreichend Möglichkeit zur Erwiderung auf die Vorwürfe eingeräumt hätte, veröffentlichte das Innenministerium tatsächlich E-Mails und Textnachrichten von Klenk in einer Aussendung und auf seiner Homepage. Das Vorgehen ist einzigartig und nebenbei: Es verletzt die Datenschutzgrundverordnung – ein klarer Rechtsbruch.

Gewöhnungsbedürftig.

Was geht im Innenministerium eigentlich vor? Sind Kickls Mitarbeiter tatsächlich vollkommen unkontrollierte Stümper? Handeln sie autonom oder mit dem Wissen ihres Chefs? Oder steckt hinter den wiederholten Grenzüberschreitungen möglicherweise bewusste Strategie? Tatsächlich macht der Innenminister nichts anderes als das umzusetzen, was er als Oppositionspolitiker jahrelang angekündigt hat. Noch im Herbst 2016 sprach Kickl bei der rechtsextremen Veranstaltung «Kongress der Verteidiger Europas» als Hauptredner mit Blick auf liberale Medien von einer «Gesinnungsstasi» und einer «medialen Stalinorgel». Da ist es nur logisch, dass einzelne Blätter vom freien Informationsfluss durch die Polizeipressestellen ausgenommen werden sollen. Und auch wenn sich bislang noch kein_e Minister_in dazu erdreistet hat, diese Praxis schwarz auf weiß festzuhalten. Die selektive Versorgung unterschiedlicher Medien mit Information ist beileibe keine Neuheit in diesem Land. Kanzler Sebastian Kurz selbst gilt als Meister des Fachs. Auch die Förderung von teils rechtsextremen Plattformen wie dem Wochenblick oder Info-Direkt durch Anzeigen des Innenministeriums passt ins Konzept.

Gewöhnungsbedürftig erscheint allenfalls, dass die FPÖ und von ihren Minister_innen vor allem Herbert Kickl auch nach dem Regierungseintritt keine Mäßigung erkennen lassen. Die freiheitliche Regierungsmannschaft scheint sich das Feld aufgeteilt zu haben. Heinz-Christian Strache (Sport/Beamte), Mario Kunasek (Verteidigung) und Norbert Hofer (Verkehr und Technologie) stehen in ihren Ministerien vor relativ einfachen Aufgaben, die für öffentlichkeitswirksame Maßnahmen und Bilder taugen. Der Vizekanzler lässt sich mit beliebten Sportstars ablichten. Norbert Hofer und Mario Kunasek setzen auf einer symbolpolitischen Ebene auf populäre Maßnahmen für die eigene Kernwählerschaft, wie etwa die Erhöhung des Tempolimits auf der Autobahn oder die Abschaffung der Binnen-I-Schreibweise im Verteidigungsministerium. Das ist zwar alles nicht sehr klug, hat jedoch auch kein Potenzial zum großen Aufreger. Beate Hartinger-Klein dagegen ist Sozialministerin auf Abruf – ihre Person ist schon nach nur wenigen Monaten so sehr mit den radikalen Einschnitten im Sozialsystem verknüpft, dass ihre Ablöse noch vor Ende der Legislaturperiode unumgänglich ist.

Turbulenzen.

Herbert Kickl kommt dagegen als Innenminister eine zentrale Rolle zu. Wie kein zweiter freiheitlicher Minister treibt er die Fehde gegen Medien allgemein und gegen einzelne Journalisten persönlich voran. Zudem berührt sein Ressort mit Grenzschutz, Asylwesen und Abschiebungen sowie der «Kriminalitätsbekämpfung» die zentralen Agitationsfelder der FPÖ, die das Potenzial zur gesellschaftlichen Spaltung haben – und eine große Symbolwirkung entfalten können. Erstes Anschauungsbeispiel ist etwa der Grenzschutz, dessen Stellenwert von Kickl und Verteidigungsminister Kunasek mit einer großen Übung namens «Pro Border» zur Schau gestellt wurde – Kostenpunkt der Veranstaltung mit identitärem Titel: rund 200.000 Euro. Die Causa blieb nicht ohne Skandal: Das Logo für die neue Grenzschutzeinheit Puma soll «kostenlos» und auf deren eigenen Antrieb hin die Firma Signs Media geschenkt haben, an deren Vorläufer Kickl beteiligt war. Nach wie vor laufen Ermittlungen gegen das Unternehmen, das vor einigen Jahren Kickback-Zahlungen an die FPÖ geleistet haben soll.

Kickl saß den Skandal damals aus – und lernte offenbar, dass man auch durch heftige politische und juristische Turbulenzen durchtauchen kann. Denn auch im aktuell größten Aufreger, den BVT-Ermittlungen, zeigt sich der Innenminister von den Protesten unbeeindruckt, obwohl sich die Indizien dafür mehren, dass seine engsten Mitarbeiter den «Angriff» auf den Verfassungsschutz inszeniert haben. Das soll dazu gedient haben, den Nachrichtendienst lahmzulegen, der FPÖ-nahe Kreise wegen ihren Beziehungen zum Rechtsextremismus, Neonazismus und ausländischen Lobbyisten ins Visier genommen hatte.

Doch Kickl geht sogar weiter: Er sitzt Skandale nicht nur aus, bisweilen erzeugt er sie auch ohne große Not selbst. In den ersten Wochen seiner Amtszeit gab es etwa internationale Schlagzeilen, weil Kickl ankündigte, Asylwerber_innen «konzentriert» unterbringen zu wollen. Später sickerten Gerüchte durch, dass das Innenministerium die Justiz davon zu überzeugen versuche, Razzien bei Medienhäusern und Journalist_innen durchzuführen.

Aufstieg.

Auch wenn der Sager von der «konzentrierten» Unterbringung an Nazi-Jargon erinnerte, mit den «braunen Flecken» in der FPÖ hat der Innenminister nicht unmittelbar zu tun. Kickl ist nicht einmal Burschenschafter. Sein sachpolitisches Hauptaugenmerk legt er angeblich auf «Fairness», im Monatsmagazin Datum war sogar davon die Rede, dass Kickl «FPÖ-intern als ‹Linker›» gelte. Seinem Aufstieg in der FPÖ, der vor allem nach Jörg Haiders Abgang und der Gründung des BZÖ an Fahrt aufgenommen hat, sollte das allerdings auch nicht weiter schaden. Dabei war es gerade Haider, der Kickl zur FPÖ brachte. Ab 1995 war der gebürtige Kärntner in der Parteiakademie tätig, zehn Jahre später folgte der Aufstieg zum Generalsekretär. Diese Position hatte er dreizehn Jahre inne, bevor er als Innenminister angelobt wurde. Während Kickl die Haider-FPÖ also punktuell geprägt hat, standen die Freiheitlichen der vergangenen Dekade vollständig unter der Regie von Kickl und Parteiobmann Heinz-Christian Strache.

Kickl, der oftmals als «Mastermind» oder «Stratege» bezeichnet worden ist, war also für den langsamen Marsch zurück nach Rechtsaußen ebenso verantwortlich wie für das letzte Ergebnis der Nationalratswahlen, das eigentlich eine Niederlage für die Freiheitlichen war. Der erste Platz, den die FPÖ ein Jahr zuvor in Meinungsumfragen noch sicher hatte, war nach dem Urnengang außer Reichweite. Sogar die Sozialdemokratie schaffte den Sprung vor die FPÖ. Zuvor war bereits die Chance auf die Bundespräsidentschaft vergeben worden: Das Rennen zwischen dem Grünen Alexander Van der Bellen und dem freiheitlichen Norbert Hofer, dessen Wahlkampf von Kickl betreut wurde, ging am Ende deutlich zu Van der Bellens Gunsten aus. Was blieb, war die Regierungsbeteiligung, welche die FPÖ nun – vor dem Hintergrund der Erfahrung der 2000er-Jahre – substanziell anders anlegt.

Nutzen.

Hatte man bei der ersten schwarz-blauen Regierung ab dem Jahr 2000 den Eindruck, die Freiheitlichen begnügten sich vor allem damit, an die Macht gelangt zu sein, will die FPÖ nun ihre Stellung behalten und ausbauen. Das funktioniert aber nur, wenn sie «liefert». Herbert Kickl tut das und zwar am laufenden Band. Dass er damit längst rücktrittsreif ist, liegt auf der Hand – sehr wahrscheinlich ist sein Abgang dennoch nicht. Das liegt daran, dass der Innenminister intern nahezu unumstritten und im Unterschied zu Beate Hartinger-Klein, die innerhalb der Partei über keine nennenswerte Hausmacht verfügt, bestens vernetzt ist. Selbst wenn Heinz-Christian Strache es wollte, Herbert Kickl steht nicht so schnell zur Disposition. Das weiß auch Straches Gegenüber in der ÖVP Sebastian Kurz.

Vor allem aber liegt es am unmittelbaren Nutzen, den Kickls bisweilen brachiale Amtsführung der schnellen Schocks für die FPÖ, aber auch für die Koalition als Ganzes hat. Sie bindet Ressourcen – die der Opposition und die der Medien. Und sie hilft die asoziale Agenda der Bundesregierung zu verschleiern – indem sie das Augenmerk von 12-Stunden-Tag, Mindestsicherungskürzung und Steuergeschenken für Vermögende auf die Migrationsfrage lenkt. Das kommt dann auch dem Chef der Industriellenvereinigung wieder gelegen. Der würde zwar in der Migrationspolitik die Dinge lieber «etwas anders lösen», aber «die wirtschaftspolitische Performance beurteile ich grundsätzlich gut, die Vorhaben sind gut, die Schritte, die sie setzen, sind auch gut». Solange das so bleibt, werden sich die Industrie und mit ihr Kanzler Kurz weiterhin mit Herbert Kickl arrangieren. Umgekehrt heißt das aber auch: Ist ihr Enfant terrible erst einmal demissioniert, liegt auch das Ende dieser Koalition nicht mehr allzu fern.