Wer hat Angst vorm Vorratsdatenspeicherungsterrorismus?
Der 1. April begann mit einem demokratischen Witz und allen, die ihn verstanden haben, ist bis heute das Lachen vergangen.«Eigentlich müssen wir jeden einsperren», sagt Hans Zeger. «Denn nur wenn alle im Gefängnis sitzen, sind wir wirklich sicher.» Darauf angesprochen, ob ein mehr an Überwachung auch ein mehr an Sicherheit mit sich bringt, reagiert der Vorstand der Privacy-Vereinigung ARGE Daten fast schon lapidar: «Mehr Daten über eine Person zur Verfügung zu haben bedeutet nicht zwangsläufig auch ein besseres Personenprofil. Im Gegenteil: Bei zu vielen Informationen gibt es zu viele Übereinstimmungen mit Details, sodass ein potenzieller Täterkreis eigentlich nicht eingeschränkt, sondern ausgeweitet würde.» Es ist ein Satz, den Zeger schon oft gesagt hat, nämlich bei jeder Verschärfung der österreichischen Sicherheitsgesetze; beginnend beim Polizeibefugnisgesetz vor ein paar Jahren, und jetzt aktuell zur seit 1. April aktiven Vorratsdatenspeicherung.
Mit dem Beschluss der sogenannten «Data Retention»-Richtlinie hat der Europarat den Grundstein für ein Überwachungssystem geschaffen, wie es die Welt seit dem Ende der Sowjetdiktatur für tot und begraben gehalten hat. Aber Totgeglaubte leben länger und nun hat sich ein Netz entfaltet, in dem die Wege, Kontakte und Interessen aller EU-Bürger_innen erfasst, abgespeichert und bei Bedarf miteinander verknüpft werden können. Von England schon vor 9/11 unter dem Aspekt des Kindesmissbrauchs und der organisierten Kriminalität initiiert, wurde die «Data Retention»-Direktive in den Nachwehen der Anschläge von Madrid und Lissabon als Maßnahme im «Kampf gegen den Terror» durchgebracht. In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung seit dem Jahr 2010 schon wieder Geschichte, weil sie nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gegen Art. 10.(1) des deutschen Grundgesetzes verstößt. In Österreich waren SPÖ und ÖVP im Jahr 2007 noch unisono «unglücklich» über die EU-Direktive, an der die Regierungsparteien nun mehr oder weniger stoisch festhalten. Wer hat wann mit wem von wo aus telefoniert, wer hat wem ein E-Mail geschickt, wer hat sich für welche Website interessiert? Alle diese Informationen sollen den Behörden von den Internet- und Mobilfunkanbietern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Damit ist ein Albtraum wahr geworden, an den nicht einmal George Orwell zu denken gewagt hätte: die Möglichkeit zur umfassenden, gezielten Überwachung einer Einzelperson. Daten gerinnen zu Persönlichkeitsprofilen, die Unschuldsvermutung wurde umgedreht und das Wort Profilneurose hat eine ganz neue Bedeutung bekommen. «Wir tragen hier den allgemeinen Verdacht, dass jeder sich vor jedem anderen schützen muss und jeder dem anderen misstraut, mitten in die Gesellschaft hinein», sagt Hans Zeger. «Das ist der eigentlich gefährliche Aspekt der Vorratsdatenspeicherung.»
Terrorismus ohne Terrorist_innen
Die Basics der Vorratsdatenspeicherung sind einfach auf den Punkt gebracht: Die Eckdaten jeglicher Art von elektronischer Kommunikation werden von den Providern sechs Monate lang gespeichert und stehen der Exekutive im Bedarfsfall auf richterliche Anordnung zur Verfügung. Der Zugriff darf nur dann erfolgen, wenn das Delikt mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht wird das ist aber «schnell gegeben», sagt Hans Zeger, «beispielsweise wenn es um Sachbeschädigung geht. Bei einer eingeschlagenen Geschäftsauslage kann das sofort der Fall sein.» Gespeichert wird nicht der Inhalt von Telefonaten oder E-Mails, sondern «nur», wer wann mit wem kommuniziert und wo er sich dabei aufgehalten hat. Bei Handys dient dabei nicht die GPS-Funktion als mobiler Blockwart, es wird stattdessen die Funkzelle registriert, in der man sich während eines Gesprächs aufgehalten hat. Die aktive Ortung eines Mobilfunkgeräts oder das Mithören von Gesprächen sind nicht Teil der Vorratsdatenspeicherung und unterliegen der bisherigen Gesetzgebung. Allerdings: Zwar darf die Auswertung der Vorratsdatenspeicherung nur im Rahmen der Ermittlung bei den erwähnten «schweren Straftaten» erfolgen allerdings werden diese mit Taten gleichgesetzt, die mit mindestens einjährigen Freiheitsstrafen vergebührt sind. Dadurch wird «beinahe jede Urheberrechtsverletzung als schwere Straftat qualifiziert», sagt Peter Burgstaller, der am FH-Campus Hagenberg den Lehrgang «Sichere Informationssysteme» leitet. «Urheberrechtsverletzungen haben aber mit der Bekämpfung von Terrorismus und krimineller Bandenbildung nichts zu tun sie sind auch sicherlich keine schweren Straftaten!» Er kommt zum Schluss: «Der Eingriff in die Grundrechte insbesondere auf Achtung der Privatsphäre bzw. auf Geheimhaltung personenbezogener Daten durch die gesetzlichen Vorgaben zur Datenvorratsspeicherung ist aus meiner Sicht weder notwendig zur Zielerreichung (Terrorbekämpfung) noch verhältnismäßig und vor allem überschießend und unangemessen.»
Durch die Speicherung aller österreichischen Kommunikationsdaten werden Gewaltverbrechen nicht zu verhindern sein, allerdings soll ihre Aufklärung vereinfacht werden auch wenn eine Studie des Ludwig Boltzmann-Instituts für Menschenrechte zum Schluss kommt, dass die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland keinen signifikanten Einfluss auf die Aufklärungsquote von Verbrechen hatte. «Das ganze Terror-Argument ist ohnehin nur eine Ausrede», sagt Georg-Markus Kainz vom Verein quintessenz (Mitausrichter der jährlichen «Big Brother Awards»). «Wenn man mit BVT-Chef Gridling spricht, dann sagt er selbst, dass es in Österreich keine Terroristen gibt und auch nie welche gegeben hat.» Tatsächlich hat der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung schon vergangenen Dezember beim Sicherheitspolizeigesetz-Hearing im Innenausschuss des Parlaments zu Protokoll gegeben, dass es mit derartigen Überwachungsgesetzen fast unmöglich sei, Einzeltäter_innen zu erkennen. Denn: Wer es darauf anlegt, sich unsichtbar zu machen, wird keine großen Probleme damit haben. Ausländische Mobilfunkwertkarten sind beispielsweise vom Lauschangriff nicht betroffen, genauso wie private Mailserver oder (lt. Auskunft des Betreibers netwave.at) WLAN-Netze in Lokalen. «Betroffen sind also hauptsächlich unschuldige Privatpersonen», sagt Hans Zeger. «Die wirklichen Kriminellen werden durch den Rost fallen.» Bestenfalls ein paar «Kleinkriminelle» werde das neue Überwachungsnetz an Land ziehen, aber nicht die großen Fische, für die es vordergründig ausgeworfen wird. «Verstärkte Überwachung findet immer dann statt, wenn die Politik beginnt, sich vom Volk abzutrennen», kommentiert Georg-Markus Kainz. «Das heißt, wir haben hier wirklich das Phänomen, dass die Akzeptanz der Bevölkerung von der Politik nicht mehr gegeben ist und die Politiker sich abzukapseln beginnen und immer mehr Angst vor ihrem eigenen Volk haben. Hier geht es wirklich darum, dass wir unsere Rechte wieder einfordern, dass wir sagen, wir möchten Politiker, die für uns tätig sind und nicht mehr nur ihre eigenen Spielchen treiben.»
Wege zum Widerstand
Es gibt eine Reihe von Mobilfunk- und Internet-Anbietern, die von der Überwachungspflicht ausgenommen sind. Dabei handelt es sich beispielsweise um «kleine» Provider, wobei eine entsprechende Liste vom Innenministerium laut Hans Zeger derzeit unter Verschluss gehalten werde. «Eigentlich ein Skandal», sagt der ARGE Daten-Chef. «Als Bürger habe ich genaugenommen keine Möglichkeit, mich darüber zu informieren, welche Anbieter von der Vorratsdatenspeicherung nicht betroffen sind.» Als Alternative zum Schweigen der Behörden hat die ARGE Daten daher die Aktion «BürgerInnen achten auf ihre Daten» initiiert: Telefonie- und Internet-Kund_innen sollen ihre Anbieter gemäß dem Datenschutzgesetz um Auskunft bitten, welche Daten von ihnen gespeichert sind. Der bürokratische Aufwand, den solche Anfragen naturgemäß nach sich ziehen, ist für Zeger so etwas wie ein kleiner Protest und ein fast schon biedermeierhaft legaler noch dazu, denn die Auskunftspflicht ist im Datenschutzgesetz verankert. «Eine Anfrage kostet nichts und muss innerhalb von acht Wochen beantwortet werden», sagt Hans Zeger. Auf ihrer Homepage (www.argedaten.at) bietet die ARGE Daten entsprechende Briefvorlagen an, die um persönliche Informationen ergänzt, ausgedruckt und eingeschrieben an den jeweiligen Datenverarbeiter geschickt werden können. Wer sein Missfallen an der Datenverarbeitung öffentlich zum Ausdruck bringen will, hat noch weitere Möglichkeiten. Der Arbeitskreis Vorratsdaten strebt derzeit eine Verfassungsklage an, die allerdings eine schriftliche Zustimmung erfordert. Informationen dazu gibt es unter www.verfassungsklage.at. Auch eine Online-Petition wartet auf Unterschriften, unter www.akvorrat.at oder www.zeichnetmit.at. Im Linzer Ars Electronica Center wurde Mitte April außerdem die Ausstellung «Außer Kontrolle Was das Netz über Dich weiß» eröffnet: Dort gibt es eine Installation, die automatisiert DSG-Anfragen an das Innenministerium ausdrucken kann. «Wir hatten vergangenes Jahr über 180.000 Besucher im Museum», sagt Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der Ars Electronica. «Wenn wir die heuer dazu animieren können, alle hier auf ENTER zu drücken, dann »
Ein Interview mit Hans Zeger und Georg-Markus Kainz wurde am 30. April im Rahmen von Radio Augustin ausgestrahlt. Die Videoversion ist unter www.lunasteam.com zu finden.