Das Entlein und die Maustun & lassen

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Jetzt gibt es eine Wertefibel für Österreich aus dem Innenministerium. Darin wird über den Rechtstaat , Verfassung und Grundrechte aufgeklärt. Was auffällt ist die Engführung des Freiheitsbegriffs in dieser Fibel, die eigentlich für den Erwerb der Staatsbürgerschaft informieren soll.Ein Kirschbaum steht in der Wiese. Aber: „Die süßesten Früchte essen nur die großen Tiere“, wusste schon Schlagerstar Peter Alexander . Und das „nur weil die Bäume hoch sind und diese Tier groß sind“. Weiter heißt es im Liedtext: „Und weil wir beide klein sind, erreichen wir sie nie“. Aber: „Das Entelein weinte und klagte gar sehr, es trug sein gegebenes Schicksal nur schwer. Doch als es dann groß war, da ging es mit einem Bericht vors hohe Gericht. „Die Großen“, so sagte es, „fressen ganz keck den kleinen die Kirschen und Sonstiges weg. Sie alle beanspruchten darin das nämliche Recht.“ „Was sind das“, sprach die Maus, „für dumme Faxen? Die Kleinen müssten dann doch erst mal wachsen!“

Wir lernen , dass Entenküken sich nichts gefallen lassen und Mäuse dumm sind. Denn das Küken hat recht, die Großen beanspruchen nur das Recht, sie haben nicht recht. Die Kirschen auf den hohen Bäumen gehören, dir und mir genauso auch wenn wir nicht so groß sind und auch nicht mehr wachsen werden. Nur weil ein Baum mit Kirschen in der Wiese steht, heißt das noch nicht, dass alle sie auch pflücken können. Denn Freiheit erschließt sich für den Menschen, der vor einem Baum voll Kirschen steht, nicht einfach dadurch, dass es einen Kirschbaum gibt, sondern dass dem Kleinsten eine Leiter zur Verfügung steht. Das sind die Möglichkeiten, die es braucht um Güter in persönliche Freiheiten umzusetzen. Möglichkeiten sind Infrastruktur, eine gute Schule, Leitern sozialen Aufstiegs, Kinderbetreuung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Gesundheitsdienstleistungen, therapeutische Hilfen und vieles mehr. Und alle Leitern nützen nichts, wenn die Person nicht klettern kann. Auch die Investition in Fähigkeiten von Menschen ist wichtig. Und wenn jemand beispielsweise eine Behinderung aufweist, dann wird man sich auch andere Möglichkeiten, ein anderes Hilfsmittel überlegen müssen. Jedenfalls darf auf keines der drei vergessen werden: Güter, Möglichkeiten und Fähigkeiten. Denn alle gute Ausbildung nützt nichts, wenn es keine Jobs gibt. Und alle Möglichkeiten nützen nichts, wenn der Kirschbaum mit einer Mauer abgesperrt ist und bestimmte Bevölkerungsgruppen vom Zugang ausgeschlossen sind. All das ist für die Freiheit wichtig: ein offener Zugang zu den Gütern des Lebens, bedarfsgerechte Möglichkeiten sie erreichen zu können, und Investitionen in die Fähigkeiten von Menschen.

Von Freiheit können wir erst sprechen, wenn sie auch die Freiheit der Benachteiligten miteinschließt. „Liberalisierung“, die die Wahlmöglichkeiten und Freiheitschancen der Einkommensschwächsten einschränkt, ist eine halbierte Freiheit. Der soziale Ausgleich beschneidet nicht die Freiheit, sondern ermöglicht sie erst für alle. Soziale Teilhaberechte sind Freiheitsrechte. Denn: Wenn Freiheit und Gerechtigkeit nicht zusammenfinden, bekommen die süßesten Früchte nur die großen Tiere. Das weiß das kleine Entlein schon, die bräuchte die Wertefibel nicht, die Mäuse aus dem Innenministerium aber hätten Lernbedarf.