Das Fahrradfahren und die Kunstvorstadt

Biosphere: mehrkanalige Kompositionen für Soundbikes und bestimmte Orte – wie bei der Brigittenauer Brücke (Foto: Hannah Mayr)

Fahrrad, Ton- und Elektrotechnik, Raumaneignung, Kollektiv – das alles verbindet sich in den Rad-Performances, initiiert von Conny Zenk. Das Rad wird zum Kunst- und Soundvehikel, das Radfahren zum künstlerischen Ereignis.

Es ist Samstagabend.

Unter der Praterbrücke bei der Hauptallee stehen Wadeln neben Laufrädern und Pedalen, über einigen Vorderrädern schweben Lautsprecher. Eine kurze Begrüßung und Erklärung, dass die StVO eingehalten und bei Kreuzungen der Autoverkehr geblockt wird, bis alle Teilnehmenden die Straße überquert haben. Dann geht es los. Langsam setzen sich die Hintern auf die Sattel und setzt sich die Gruppe aus rund 50 Personen in Bewegung. Der Fahrtwind umschmiegt die Beine, der Mix von DJ Opal die Ohren. Auf sechs Lastenrädern werden Lautsprecher manövriert, ein siebtes mit Mischpult und Funk verbindet die bewegten Boxen, dazwischen, davor und dahinter das radelnde Publikum. Eine Fahrt auf Rädern als mehrkanaliges Konzert, die Straße als Bühne. Neben der ­Straße oft lächelnde, manchmal erstaunte Gesichter, und die Frage: «Was seid’s ihr denn für ein lustiger Haufen?» Es ist RAD Performance Soundride , initiiert von der Künstlerin Conny Zenk: «Ich könnte mir die Stadt ohne Radfahren nicht vorstellen. Das Tolle ist, dass man die Stadt ganz anders erfährt. Radfahren ist für mich aber vor allem auch ein kollektives Erlebnis, wenn man gemeinsam die Stadt erkundet.» Ebenso wie das Radfahren ist für Conny Zenk dabei die künstlerische Arbeit etwas Kollektives. Und so verbinden sich das Rad, die Kunst und das Kollektiv in den Rad-Performances.

Die Straße als Bühne.

Begonnen hat es 2014 mit dem ART Ride X. Inspiriert von den großen Night Rides, die Conny Zenk in Shanghai miterlebte, und den Alley Cats genannten informellen Rennen der Radbot:innen nahm diese erste Kunstfahrt die Form eines nächtlichen Radparcours durch Wien an. Seit 2017 gibt es die Rad-Performances nun in unterschiedlichen Formaten und in Kooperation mit verschiedenen Künstler:innen. «Es sind fast kleine Festivals, mit Workshops, Fahrten durch die Stadt mit Sound und Performances, am Ende ein gemeinsames Essen, ein Konzert, ein langer Ausklang», fasst Conny Zenk zusammen. Stets wird das Publikum eingeladen, gemeinsam die Stadt mit dem Fahrrad zu be- und erfahren, und das Rad als Kunst- und Soundvehikel zu begreifen. Dies geschieht beispielsweise auf spielerisch-tänzerische Art bei Dance Your Bike!. Gemeinsam mit der Rad­historikerin Petra Sturm wurde diese RAD Performance auf Basis historischer Radspiele entwickelt. «Um die Jahrhundertwende war das eine der Sportarten, die für Frauen und Männer zugänglich waren. In den 1920er-Jahren wurde der Radreigen von den Wiener Arbeiterinnen wiederentdeckt und am Heldenplatz gezeigt. In den Aufzeichnungen lassen sich oft sechs Radfahrerinnen finden, die Formationen wie ­Kreise, Achter, Sterne und Mühlen fahren», erklärt Conny Zenk. Bei den Rad-Performances wurde mit Interessierten das gemeinsame Fahren solcher Formationen erprobt, und die Radreigen mit experimenteller, auf die kreisenden Bewegungen abgestimmter Klangkunst neuinterpretiert und aufgeführt. Dabei lernt man auch viel über das Radfahren in der Stadt, so Conny Zenk: «Wie ist der Abstand vor und hinter mir, wie viel Raum gebe ich der anderen Person? Das sind Fragen, die in Bezug auf Raumaneignung in der Stadt wichtig sind. Wer beansprucht den meisten Platz?»

Selbstermächtigung.

Sich kollektiv mit dem sonst leisen Rad in einer von Auto-Gebrumme dominierten Stadt akustisch und physisch Raum anzueignen – dies ist den meisten Rad-Performances gemein. Die Einbindung und Überlagerung der Umgebungsgeräusche durch das Radfahren spielte auch bei Cranked Tapes in Kooperation mit den Künstler:innen Yoana Buzova und Matthias Hurtl eine Rolle. Dabei lud RAD Performance zu einem DIY-Workshop ein, um Kassettenrekorder zu bauen, die durch die Radkurbel betrieben wurden. Die Räder des Publikums waren die Instrumente und die Aufnahmen und abgespielten Klänge veränderten sich je nach Geschwindigkeit des Fahrens. Denn neben dem Kollaborativen ist der DIY-Gedanke von Anfang an bei den Rad-Performances präsent: «Wir machen viele Workshops, haben mittlerweile aber auch unser gesamtes Fahrrad-Soundsystem samt Boxen selbst gebaut. Der Sound ist High End, aber es bleibt eine Frage von Selbstermächtigung, Dinge selbst zu bauen, unabhängig von kommerziellen Boxen-Herstellern zu sein, technische Ideen selbst umzusetzen.» Während das Verstehen von Technik Selbstermächtigung bedeutet, ist das Fahrrad selbst auch Vehikel der Selbstermächtigung. So ist ein Zitat der österreichischen Frauenrechtlerin Rosa Mayreder um die ­Jahrhundertwende überliefert, wonach das Fahrrad mehr zur Emanzipation beigetragen habe als die gesamte Frauen­bewegung. Neben der damaligen Befreiung vom Korsett und der Eroberung der Hose, geht es heute wie damals um Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit. Es bleibt allerdings auch eine Frage der Sichtbarkeit, meint Conny Zenk. So werden die Soundbikes bei den Rad-Performances ausschließlich von FLINTA*-Personen gefahren. Im Rahmen des ersten Soundrides dieses Jahres wurden schließlich über einen Call feministische Soundtracks gesammelt und als vielstimmige Driving Voices of Resistance am feministischen 8. März auf die Straßen Wiens gebracht. Denn «das Soundbike ist natürlich eine Verstärkung der Stimme, eine Möglichkeit, die Stimme auf dem Fahrrad oder auch die ­Stimme im Stadtraum, im öffentlichen Raum, zu erheben», so Conny Zenk. 

Eine Bewegtbild-Installation zum Soundride-Biosphere ist bis zum 4. August im Q21 Schauraum zu sehen.
https://radperformance.at