Das Geld siegt, wie gehabttun & lassen

Die Stadt des Kindes, einst realisierte Utopie, fällt Baggern zum Opfer

StadtDesKindes.jpgDie Stadt des Kindes war das Paradies und der Rettungsanker schlechthin. Sie hat mich gelehrt, nicht aufzugeben, weiter zu machen, aufzustehen. Sie hat mich gerettet und tausende andere Kinder auch, erinnert sich Michaela K. an ihre Jugendjahre. Vor sechs Jahren haben die letzten Kinder das Areal im 14. Bezirk verlassen. Seit Ende August dieses Jahres ist die Demontage der einstigen sozialutopischen Musteranlage in vollem Gange. Eine symbolische Besetzungsaktion war immerhin ein Indikator dafür, dass die Politik der Privatiserung nicht allen in dieser Stadt wurscht ist.

Michaela hat von den Abrissarbeiten, die einen Teil des Komplexes betreffen, aus der Zeitung erfahren. Die ehemalige Bewohnerin muss nun Abschied nehmen. Sie ist inzwischen 31 Jahre alt und auf der Suche nach anderen ehemaligen Stadt-des-Kindes-Kindern. Noch einmal will sie an der Stätte ihrer Jugend die alten Freunde wiedertreffen. Viel Zeit bleibt ihr nicht. Die Stadt des Kindes liegt im Sterben. Stück für Stück. Tag um Tag. Die Bagger dringen immer weiter vor und beschließen den Tod einer Utopie in letzter Instanz.

Nahezu ausgestorben ist die ehemalige Kinderstadt bereits seit 2002, als die letzten Kinder im Rahmen der Erziehungsreform 2000 abgesiedelt wurden. Sie werden jetzt in dezentral organisierten Kleingruppen betreut. Zurückgeblieben ist allein die Keramikerin und Sozialpädagogin Ulla Throm-Gruber, die seit über 30 Jahren in der Stadt des Kindes eine Keramikwerkstatt betreibt und sich seit Jahren für den Erhalt der Kinderstadt engagiert.

Aus der Sicht der Penzinger SP hat die Stadt des Kindes mit dem Auszug der Schutzbefohlenen ihre bisherige Funktion verloren. Momentaner SPÖ-Spitzenkandidat und ehemaliger Wohnbaustadtrat Werner Faymann hat daher bereits 2002 den Verkauf des Grundstücks in die Wege geleitet. Dennoch bezeichnete er den Gebäudekomplex als ein Paradebeispiel dafür, wie die Stadt sinnvoll Liegenschaften verwerten kann. Einst jedoch war die Stadt des Kindes noch mehr als das: ein sozialutopisches Vorzeigeprojekt, ein architektonisches Kleinod und ein Symbol des roten Wiens der 70er Jahre. Der Wettbewerb um die Planung der Stadt des Kindes war 1968 zur Feier des 50-jährigen Bestehens der Republik Österreichs abgehalten worden.

Der stille Radikale

Als Sieger ging damals Prof. Dr. Anton Schweighofer hervor. Sein Konzept stellte eine Alternative zu den damals vorherrschenden geschlossenen Erziehungsanstalten dar und besticht durch seine Weitläufigkeit, Offenheit und Transparenz. Da stapeln sich Wege, Brücken und Treppen, ein schwebender Baldachin aus rot gestrichenem Stahl begleitet die Zugänge zu den Wohnungen und folgt sanft dem fallenden Gelände. In der Mitte der Anlage verdichtet sich der Raum beinahe zu einem Labyrinth, in dem man sich geschützt, aber nie gefangen fühlt, beschreibt Christian Kühn in dem Buch Anton Schweighofer. Der stille Radikale treffend den Stil des herausragenden Bauwerkes.

Bemerkenswert ist neben der lichten Strukturierung der Anlage die Integration einer Vielzahl an Freizeitangeboten, die den Kindern zur Verfügung standen. Diese sollten den Lebensraum der schwer erziehbaren Kindern, die aus verschiedensten Gründen nicht bei ihren Familien aufwachsen konnten, attraktiv für Bewohner und Besucher gestalten und den Heimkindern Selbstvertrauen vermitteln. So beherbergt der Gebäudekomplex aus Beton neben fünf Wohnhäusern einen Fußball- und einen Tennisplatz, ein Schwimmbad mit Sauna, einen großen Theatersaal mit angrenzendem verspiegeltem Ballettsaal, einen Tischtennisraum sowie einen Kleintierzoo. Dadurch gelang es dem Architekten, in Entwurf und Umsetzung die sozialpädagogischen Vorhaben widerzuspiegeln. Die Stadt des Kindes wollte ein Lebensraum sein und keine Anstalt.

Dass dieser Lebensraum nun 240 Eigentumswohnungen weichen soll, die mit dem ursprünglichen Nutzungskonzept nur schwer in Verbindung zu bringen sind, stimmt Michaela, die Ehemalige, etwas traurig und zugleich ein wenig wütend: Wenn man früher etwas getan hätte, dann gäbe es die Stadt des Kindes vielleicht noch. Schnell aber lenkt sie ein: Wenn die Menschen früher etwas von dem Abriss gewusst hätten, dann wäre vielleicht auch eher etwas passiert. Die ARWAG und die Stadt haben schon gewusst, was sie tun.

Die Ausschreibung zum Verkauf des Grundstückes im Februar 2002 trieb noch niemanden auf die Barrikaden. Künftige KäuferInnen sollten sich dazu verpflichten, den Baubestand im Sinne des Substanzerhalts pfleglich zu behandeln, den ursprünglichen Architekten Prof. Dr. Schweighofer in die Pläne mit einzubeziehen und die Sportanlagen öffentlich zugänglich zu machen.

Leider so viel gelogen worden

Im Juni 2005 unterschreibt die ARWAG den Kaufvertrag. Diese Baufirma gehört selbst zu 28,6 Prozent der Stadt Wien und hat das etwa 50.000 Quadratmeter große Grundstück um 4, 7 Mio. Euro erworben. Im Kaufvertrag verpflichtet sie sich zu einem höchst behutsamen Umgang mit dem Gebäudekomplex des Areals. Zur Bereitstellung des Schwimmbades für die Öffentlichkeit ist der neue Eigentümer nur dann verpflichtet, wenn sich dies kostendeckend gestalten lässt. Die ARWAG kann bei Nichterfüllung der Vertragsklauseln binnen 36 Monaten zurücktreten. Dazu sollte es aber nicht kommen. Wenige Tage vor Ablauf der Frist beschloss der Wiener Gemeinderat mehrheitlich, den Kaufvertrag zu Gunsten der ARWAG zu ändern. Der äußerst kostenaufwändige Sanierungs- und Revitalisierungsanteil müsse eingeschränkt und der Neubauanteil durch den Abbruch des Altbestandes entsprechend erhöht werden. Das Wahrzeichen des roten Wiens fällt der kapitalistischen Verwertungslogik zur Gänze und den Baggern zu großen Teilen zum Opfer.

Überraschend schnell, fast überstürzt wurde vor einem Monat mit den Abrissarbeiten an drei von fünf Familienhäusern begonnen. Der Abriss erfolgte trotz vehementem Protest durch die BürgerInneninitiative Kunst- und KulturARCHE Stadt des Kindes und der österreichischen Arbeitsgruppe Docomomo Austria, die sich international für moderne Architektur einsetzt und die UNESCO bei Fragen zum Erhalt moderner Architektur berät. In Fachkreisen wird die Stadt des Kindes als Baudenkmal von europäischem Rang geschätzt (Dietrich Worbs). Auch der Architekt Prof. Dr. Schweighofer ist empört über dieses Verhalten. Schließlich sollte er anfangs in die Planung mit einbezogen werden. Es ist, muss ich leider sagen, so viel gelogen worden, kommentierte er den Abriss seines international geschätzten Werkes. 2002 hat das Bundesdenkmalamt eine Unterschutzstellung des Bauwerkes abgelehnt. Der Gebäudekomplex habe in seinem gegenwärtigen Baubestand zwar durchaus architektonische Bedeutung beizumessen, doch kann sie angesichts der für die weitere Existenzfähigkeit des Baukomplexes absehbaren unumgänglichen Veränderungen nicht die Grundlage für ein öffentliches Interesse an der Erhaltung abgeben.

Ein Wochenende des zivilen Ungehorsams

Auch AktivistInnen der Gruppe Freuraum übten starke Kritik an der Zuführung dieser ehemals sozialen Einrichtung zur Verwertungslogik. Ab Samstag, dem 6.September, besetzten sie das Areal, um dessen Privatisierung zu kritisieren. Die BesetzerInnen forderten einen sofortigen Abbruchstopp, den Erhalt des architektonisch wertvollen Ensembles und einen Platz für kulturelle, unkommerzielle Projekte ebenso wie Raum für alternative, kollektive Wohnformen.

Montagmorgens gelang es den AktivistInnen sogar, in Gesprächen mit den Bauarbeitern einen einstweiligen Baustopp zu erwirken. Bereits am Nachmittag traf jedoch die Polizei ein und rief zum Verlassen des Gebäudes auf. Daraufhin versammelten sich die BesetzerInnen vor dem Haus zu einer Kundgebung, um die Besetzung wenige Stunden später fortzusetzten. Zwischen Polizisten und Security-Beauftragten wurde abends das Buch Besetzte deine Stadt! BZ DIN BY! vorgestellt. Die Räumung des Geländes sollte bis zum nächsten Morgen auf sich warten lassen. Den AktivistInnen gelang es jedoch, sich rechtzeitig vom Gelände zu entfernen. Währenddessen durchsuchten 90 Beamte der Exekutive stundenlang das Areal. Erst nachdem Sicherheit darüber gewonnen war, dass alle Menschen das Gelände verlassen hatten, konnten die Bauarbeiten fortgesetzt werden. Die UnterstützerInnen von Freiraum versammelten sich indes auf einer Wiese vor dem Haus, um an einer spontanen Pressekonferenz teilzunehmen. Es sprachen sich Prof. Dr. Anton Schweighofer, Karl Langer als Vertreter von Docomomo Austria, Dani Musiol (Grüne), Dieter Schrage (Grüne), Ulla Throm-Gruber sowie Sabine Gretner (Grüne) für den Erhalt der symbolträchtigen Bauwerks aus. Währenddessen arbeiteten unermüdlich die Bagger.

Anschließend lud Ulla Throm-Gruber auf ihre Veranda zu Kaffee und Kuchen ein. Wider den Berichten etablierter Medien verlief das gemeinsame Kaffeekränzchen absolut harmonisch. Dennoch folgten etwa zwanzig Exekutivbeamte unaufgefordert der Einladung, darunter auch Beamte der WEGA, und kesselten die Gäste der Mieterin eine Stunde ein, ehe sie beschlossen, eine Räumung der friedlichen Gäste zu veranlassen. Diese wurde jedoch entgegen der Behauptung von Kronen-Zeitung (Protest der Bürgerinitiative gegen Abbrucharbeiten eskalierte. Stadt des Kindes besetzt: Polizei löste illegale Kundgebung auf) und anderer bürgerlichen Medien nicht durchgeführt.

Ulla Throm-Gruber hat zusammen mit Christa Riedel die BürgerInneninitiative Kunst- und KulturARCHE Stadt des Kindes vor eineinhalb Monaten ins Leben gerufen. Spricht sie über die Tage mit den Heimkindern, die sie betreut und mit denen sie fünfmal wöchentlich Keramikkurse abgehalten hat, ist das Gespräch durchtränkt von dem hellen, herzhaften Lachen der Keramikerin. Ich habe das hier noch als Heimstätte, als Hort, als Nest für Hunderte von Kindern erlebt. Die Kinder sind mir sehr wichtig. Außerdem habe ich das Kleinod an Architektur schon zu schätzen gewusst, legt sie ihre Motivation für ihre Wertschätzung des ehemaligen Heimes offen. Dabei klingt ihre Stimme fest und selbstbewusst. Ab und an aber zittert die Stimme der kleinen, rothaarigen Frau, deren Gesicht vom Lachen gezeichnet ist aber. Im Moment bin ich so verschreckt, sagt sie dann. Oder erzählt von dem Abrissbagger, der sich neben ihr durch den alten Betonbau schlägt. Keramikkurse für Kinder hält sie derzeit nicht in ihrer kleinen Werkstatt. Zu groß sei die Angst, die Decke könnte bröckeln und jemanden verletzten. Dennoch fährt sie täglich in die Stadt des Kindes. Eigentlich will sie kämpfen. Die letzte Bastion halten. Aber ist das nicht alles Donquichotterie?

Noch hofft die Bürgerinitiative, dass die Nutzungskonzepte, die sie bei ARWAG-Generaldirektor Franz Hauberl, auf dessen Aufforderung hin, einreichen wollen, auch Beachtung finden. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Stadt des Kindes

Mühlbergstraße 7

1140 Wien