Das Gespenst der Zensur erobert den virtuellen RaumArtistin

Gefilterters Chaos

Heftige Kontroversen löst derzeit die aktuelle Diskussion um Zensurvorschriften für das Internet aus. So werden einerseits die Stimmen nach mehr rechtlicher Ordnung und Überwachung im WWW lauter, andererseits plädieren die Gegner jeglicher Internet-Zensur für das Beibehalten des WWW als ein freies und für alle zugängliches Medium.Befürworter einer Überwachung argumentieren damit, dass das WWW kriminellen Organisationen die Verbreitung ihrer Machenschaften um einiges erleichtert. Sie berufen sich auf das ansteigende Angebot von Kinderpornographie, von Sites mit „rechten“ Inhalten, Mordaufrufen und Hasstiraden gegen Fremde, aber auch auf das allgemeine Ignorieren diverser Urheberrechte im Internet. Schon mehrmals erhitzten sich die Gemüter zwischen Befürwortern wie Gegnern von Zensur, wenn versucht wurde, mit Gerichtsurteilen Provider zum Sperren von Seiten zu veranlassen. So geschehen durch einen französischen Richter, der Yahoo, einen der größten Provider überhaupt, dazu verpflichtete, den Surfern seines Landes den Zugang zu Auktionen mit Nazi-Gedenkstücken zu sperren. Jene, die solche Maßnahmen als unumgänglich sehen, erheben unweigerlich den Vorwurf, wie man für Informationsfreiheit kämpfen kann, ohne sich mit solchen Inhalten identifizieren zu können.

Zensurgegner setzen jedoch auf das Verhalten des individuellen Nutzers, der sehr wohl selbst entscheiden kann, was er sehen bzw. lesen will oder nicht. Und auf der Ebene der einzelnen User lassen sich „Probleme rund um das Netz weit effektiver lösen, als wenn staatliche Stellen versuchen, einem etwas vorzuschreiben „, ist auch Wau Holland, Präsident und Mitbegründer vom „Chaos Computer Club “ überzeugt. Er sieht sich durch den „hysterischen “ Schrei nach Zensur „regelrecht ins Mittelalter “ versetzt. Der „Chaos Computer Club “ ist Europas größter Hackerverein, der sich durch seine Tätigkeiten „als Aufklärer von Sicherheits- und Datenschutzproblemen sowie als Kämpfer für die Meinungsfreiheit in den Datennetzen bereits weltweit einen Namen gemacht hat „.

Zudem kann man den „Zensurwilligen “ entgegenhalten, dass kriminelle Organisationen und Machenschaften schon vor Erfindung des Internets da waren. Das Internet bietet sich als freies Medium an, Wissen und Informationen schnell und einfach zu verbreiten, und deshalb ist es auch ein Leichtes, das WWW für seine Zwecke missbrauchen zu können. Doch mit Zensurvorschriften werden z. b. Kinderpornographie und Nazitum auch nicht erfolgreich zum Verschwinden gebracht werden. Denn die Ursachen für derlei Auswüchse liegen nicht im Internet, sondern in unserem Gesellschaftsmodell bzw. Weltbild selbst.

Mittlerweile werden Software-Programme angeboten, die einen Filter enthalten, der Seiten mit den auf einer Liste enthaltenen Wörtern bzw. Begriffen vergleicht und bei entsprechender Identität diese nicht mehr öffnen lässt.

Brustkrebsaufklärung als Pornographie

So wurde im Dezember vorigen Jahres in den USA der „Children’s Internet Protection Act “ eingeführt, der dazu dient, staatliche Schulen und Bibliotheken zum Filtern ihrer Internetzugänge zu veranlassen, wenn sie öffentliche Gelder in Anspruch nehmen wollen. Kritiker werfen diesem Gesetz Verfassungswidrigkeit vor, da es die Meinungsfreiheit einschränke und wollen nun vor Gericht ziehen.

Außerdem weisen diese Filterprogramme eine hohe Fehlerquote auf, wo es dann passieren kann, dass auch Seiten gesperrt werden, die diese Wörter oder Begriffe zwar enthalten, aber weit davon entfernt sind z. B. pornographischen Inhalt zu verbreiten. Das geschah u. a. mit der Website von Amnesty International und einer Website über Brustkrebsaufklärung. Letztere enthielt mehrmals das Wort „Brust „, und das war ausschlaggebend für die Sperre dieser Seite.

Computer-Experten streiten auch die Wirkung solcher Filterprogramme ab, da es für jemanden, der ein bisschen Ahnung vom Innenleben eines Rechners hat, kaum Probleme bereitet, diese zu umgehen. Ebenso wird mit diversen Verschlüsselungsprogrammen verfahren, die für das Verhindern von Kopien von Inhalten aus dem Internet zuständig sind. Also umgemünzt lässt sich sagen: Wo es ein Schloss ist, gibt es auch die Möglichkeit, dieses zu knacken.

Es stellt sich auch die Frage, wer diese „Watch-Listen “ erstellt bzw. wer vorgibt, was gesehen bzw. gelesen werden darf oder dem Bürger entzogen wird. So gibt es Filterprogramme, die von den Providern selbst zusammengestellt werden. In diesem Fall ist es wohl schwierig, diese Listen auf Inhalt zu überprüfen bzw. festzustellen, ob sich dieser dann auch an seine selbst erstellten Listen hält. Damit würde sich der Provider als Zensor selbst ad absurdum führen. Außerdem drängt sich der Gedanke auf, dass es wohl nur mehr eine Frage der Zeit ist, dass v. a. staatliche Stellen als Auftraggeber der Filter-Software-Hersteller fungieren und Provider bzw. Dienstanbieter zu Hilfsorganen des Staatsschutzes gemacht werden.

Denn gerade Staaten fürchten durch die neuen Medien um ihre nationale Sicherheit. Immer mehr nichtstaatliche Organisationen haben das Internet für ihre Zwecke entdeckt. Informationen können damit viel schneller einen breiterem Publikum zugeführt werden. Auch Minderheiten, vorausgesetzt sie haben einen Zugang zum neuen Medium, nutzen das WWW, um ihre Forderungen einer Öffentlichkeit vorzustellen. Mit Hilfe des Internets können Organisationen Informationsblockaden und Zensur in den anderen Medien umgehen. Als Beispiel können die Zapatisten in Mexiko angeführt werden, die über ihre Seite im Internet weltweite Unterstützung für ihren Kampf erhielten. Ein weiteres Beispiel sind die U’wa-Indianer, die mit ihrem Internetprotest gegen den US-amerikanischen Ölkonzern Oxy, das Internet als politisches Kommunikationsmittel für ihre Ziele genutzt haben. Und auch in Österreich wurde angesichts der politischen Lage eine neue und sehr effektive Form des Widerstands durch das Internet eingeführt.

Dass sich Weltbilder, Wertvorstellungen mit den neuen Medien wohl schneller verändern als bisher, ist auch den Regierungen autoritärer Staaten bekannt. Deshalb versuchen einige Länder ihren Bürgern den Zugang zum Netz zu verweigern. Manche Staaten, die die Nutzung der ökonomische Variante des WWW nicht ausschließen möchten, setzen auf sogenannte „Zwangsserver „. Über diese werden nur zuvor kontrollierte Informationen weitergegeben. Und indem private Provider verboten werden, sind die Bürger gezwungen, sich an einen staatseigenen Server zu wenden.

Die Organisation „Reporters Sans Frontières “ (Reporter ohne Grenzen) zeigt in einer Studie jene Staaten auf, die ihren Bürgern den Zugang zum Internet nur über einen vom Staat betriebenen ISP (Internet Service Provider) erlauben. Damit kann der Staat die Kommunikation über das Netz überwachen. Sie fordern vehement jene Länder auf, „das staatliche Monopol auf den Internetzugang und den Zwang zur Registrierung der Internetnutzer abzuschaffen, Filter als Zensurmittel zu entfernen, die Vertraulichkeit von Emails zu schützen und nicht mehr strafrechtlich gegen jene vorzugehen, die nur ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt haben „.

So gibt es in Saudi Arabien zwar 37 private Provider, der Verkehr geht jedoch über Server des Science and Technology Centers, das Filter einsetzt um Seiten, die gegen die Werte des Islam verstoßen, zu sperren.

Und in Burma ist es Gesetz seinen Computer bei der Regierung anzumelden. Bei Nichtanmeldung können bis zu 15 Jahre Gefängnis verhängt werden. Das wohl bekannteste Beispiel aus den Medien ist China. Es kontrolliert die Webseiten nach politischem Inhalt, und sogenannte „Internet-Dissidenten “ werden gerichtlich verfolgt. So gab es bereits mehrere Prozesse wegen Online-Veröffentlichung von politischem Material.

Von Cyberdemokratie kann angesichts dieser Tatsachen noch lange nicht gesprochen werden. Doch sollte man ob der ganzen Euphorie für das neue freie Medium „Internet “ die Gefahr vor Augen haben, dass dieses Medium auch zu einer Verringerung aktiver Teilnahme am realen politischen Leben beitragen kann, denn Politik ist v. a. durch öffentliches Handeln der Beteiligten erfahrbar. Was nutzt es, wenn politische Debatten geführt werden, wenn es keine Zuschauer und Diskussionsteilnehmer gibt, da die Mehrheit der Bevölkerung lieber im Internet surft, sprich sich ins Private oder in den Cyberraum zurückzieht, als sich aktiv in den öffentlichen Raum zu begeben. So hat bereits das Fernsehen einen nicht unerheblichen Rückgang gesellschaftlicher Aktivitäten zur Folge, wie zahlreiche Studien belegen. Und das Internet stellt eine noch größere Versuchung dar, sich zurückzuziehen, birgt es doch viel mehr Möglichkeiten, sich die Freizeit zu vertreiben, als der Fernseher.

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