„Das Glück liegt nicht in unserer Hand“Heroes

Ganze Familien notlanden beim Augustin z. B. die Familie Boti

Fam.Boti_1.jpgTreffpunkt Augustin-Vertrieb. Auf meine Begrüßung und die allgemein gehaltene Einstiegsfrage, wie es denn so gehe, eine traurige Antwort: Wissen Sie, wir wollen uns nicht beklagen, auch wenn es viel Grund zur Klage gäbe, das kommt nicht gut an, nie. Ich frage nach. Die gegenübersitzende junge Frau erklärt mir aufgelöst, wie ihr vor ein paar Tagen bei Hofer die Geldbörse gestohlen wurde, selbstredend mitsamt dem Inhalt, 250 Euro und allen Papieren. Das wichtigste Verluststück vielleicht ihr Augustin-Verkäufer-Ausweis, stellt doch für Clari Boi, die man wie ihre Mutter Iuliana nennt, das Verkaufen des Boulevardblatts die einzige Einnahmequelle dar.

Letzteres gilt auch für ihre Mutter und den Vater, beide krankheitsbedingt nicht in der Lage, eine dauerhafte Stellung anzunehmen. Ihr Vater hatte denn auch im Heimatland Rumänien an die 50 Euro Krankengeld monatlich vom Staat erhalten, von denen die ganze Familie hätte leben sollen und das bei Preisen, die teilweise über dem hiesigen Niveau liegen. 2004 kamen die Bois zum ersten Mal nach Österreich und erfuhren durch Freunde von der Möglichkeit der Augustin-Kolportage. Seitdem sind sie mit dabei und haben sich in ihrem Grätzel einen Stammkundenkreis erobert.

Was ihre Käufer anbelangt, geraten Mutter und Tochter geradezu ins Schwärmen. Die Leute wären so freundlich, oft kämen sie herbei und frügen nach der Befindlichkeit, woran es fehle, erzählt die Tochter. Manche von ihnen würden auch hin und wieder mit Lebensmitteln aushelfen was, wenn man das so hört, vielleicht nicht sonderlich aufregend wirke, in Wahrheit jedoch eine große Hilfe darstelle; vor allem aber zähle der dahinterstehende gute Wille und die Geste. Überhaupt sind die Leute hier in Österreich ungemein wohlwollend und zuvorkommend. Schlechte Erfahrungen hätten sie gar keine gemacht? Das einzige wirkliche Problem seien brutale Typen, die keinen Verkäuferausweis vorzuweisen hätten und sie trotzdem von ihren gewohnten Verkaufsplätzen zu verdrängen suchten, um den Augustin anzubringen, die Streit vom Zaun brächen; manchmal unter Androhung körperlicher Gewalt, manches Mal sogar, wie die Tochter erzählt, unter Mordandrohungen, von denen man nicht recht sagen könne, wie ernst sie tatsächlich gemeint seien, die aber durchaus ernst klängen. Die Mutter hierauf: Zum Glück sind die guten Seelen doch in der Überzahl.

Eine teuflisch komplizierte Sprache


Natürlich gebe es hie und da auch Leute, die sie schief anblickten und schimpften, aber das komme zum Glück nicht so oft vor. Um ehrlich zu sein, verstehe ich meistens nicht, was sie sagen in gewisser Weise der einzige Vorteil, des Deutschen nicht mächtig zu sein, sagt Iuliana Boi die Ältere. Umso mehr tue es ihr aber Leid, die Landessprache nicht sprechen und kaum verstehen zu können. Was es ihr unmöglich mache, auf die Freundlichkeit der Menschen ringsumher einzugehen. Nicht wenige treten an sie heran und stellen Fragen eine Antwort muss sie jedem von ihnen schuldig bleiben. So aber kann keine zwischenmenschliche Kommunikation vonstatten gehen. So bleibt ihr nur das Lächeln des Gegenübers und, wie sie sagt, dieses Gefühl und fast schon eine Gewissheit, der andere verfüge über ein gutes Herz.

Bedauernd schildert sie, wie ihr manche der Stammkunden beim Eintreten in den Supermarkt, vor dem sie, wie auch ihr Mann, in der Regel steht, bitten, sie möge doch bis zu ihrer Rückkunft warten dann ist sie manches Mal zu müde, oder hat, der Kälte und der Zugluft wegen, Rückenschmerzen (wiederholt hat sie sich so auch eine Nierenentzündung zugezogen) und kann nicht länger ausharren. Beim nächsten Mal über ihr Ausbleiben befragt, weiß sie nichts darauf zu antworten und hat das Gefühl zu enttäuschen. Ich versuche es ja, aber die deutsche Sprache, das ist eine verteufelt komplizierte und schwere Sprache.

Drei, vier Stunden täglich verbringt sie im Verkauf; mehr schafft sie nicht, aus gesundheitlichen Gründen. Wenn es einmal gar nicht geht, nimmt sie sich von daheim einen kleinen Hocker mit. Es wäre leichter, die Stunden im Sitzen zu überstehen letztendlich schämt sie sich aber doch, sich hinzusetzen, bleibt also stehen: Ja, wie komme ich mir denn vor, irgendwo zu hocken und den Augustin anzubieten, dann gehen die Leute vorbei und denken sich, die sitzt da gemütlich herum und erwartet sich auch noch, dass wir ihr Geld geben.

Ihr Mann arbeitet mehr, hilft auch manchmal vor seinem Supermarkt als Straßenkehrer aus, versucht sich durch solche kleinen Tätigkeiten als nützlich zu erweisen aus Angst, dass jemand darauf kommen könnte, ihn von seinem Verkaufsplatz anderswohin zu verweisen (womit er seine angestammte Klientel auf einen Schlag verlieren würde). Er sei denn auch von der Leitung des Geschäftes gern gesehen, gibt seine Frau Auskunft. Können sie denn von den Verkaufseinnahmen überhaupt leben? Clari meint: Im Grunde können wir davon nicht wirklich leben. Aber es geht sich gerade aus, dass wir dabei nicht draufgehen. Das Geld reicht zwar nicht aus, um etwas damit zu machen. Aber es erhält uns am Leben. Sie hausen zu viert in einer Garçonnière Claris jüngerer Bruder wohnt auch in Wien , zahlen 300 Euro Miete monatlich, zu denen noch an die 100 Euro Betriebskosten hinzukommen.

Eine falsche Frage


Trotzdem sind die Lebensverhältnisse hier wesentlich besser, als sie es in Rumänien, Timioara (Temeschwar) waren. Auf engstem Raum hatten dort vier Geschwister mit ihren Familien leben müssen. Ihre Enkel, von denen die siebenfache Oma stolz erzählt, leben alle dort, sind die Kinder von Claris drei Brüdern. Ich frage Clari, ob sie selbst verheiratet ist oder Kinder hat. Was die falsche Frage gewesen zu sein scheint. Tränen rinnen der Mutter über die Wangen, bald auch der Tochter, sie umarmen einander, ich sitze betreten daneben. Die Mutter sagt unter Schluchzen, sie wolle nicht über die Krankheit reden, wolle nicht mehr daran denken. Trotzdem werde ich aufgeklärt: dass die junge Frau im April wird sie grade mal 26 schwerkrank ist, an Thrombose und Thrombophlebitis, an Diabetes leidet, Probleme mit ihrer Schilddrüse hat und daher keine Kinder bekommen kann bzw. darf. Die Medikamente sind teuer, und da sie hierzulande über keine Krankenversicherung verfügt, muss sie regelmäßig zu Untersuchungen nach Rumänien.

Bei den Barmherzigen Brüdern, wo sie einmal war, lehnte man ab, sie zu behandeln: Dem diensthabenden Arzt teilte sie mit, an Thrombose zu leiden, worauf dieser entgegnete, wenn sie daran litte, müsste sie auch große Schmerzen haben. Er hat mir meine Schmerzen nicht geglaubt, weil ich ruhig dagesessen bin, so wie ich jetzt ruhig dasitze, und nicht herumgeraunzt habe, wollte keinen Ultraschall machen lassen und schickte mich unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Auch in Rumänien ist die Behandlung teuer, vor allem aber schlecht. Die 250 Euro, die ihr neulich gestohlen wurden, hatte sie sich mühsamst dafür zusammengespart. Es hätte operiert werden sollen, aber dazu fehlt jetzt das Geld. Nun heißt es neuerlich ausharren.

Auch sonst scheint die junge Frau kein Glück zu haben. Vor zwei Jahren wurde sie in Kagran von einem Auto angefahren, als sie auf dem Zebrastreifen eine Straße querte. Bäuchlings von der Motorhaube erfasst, wurde sie quer über die Fahrbahn geschleudert. Die Polizei kam herbei und entschied, die Beteiligten sollten den Zwischenfall unter sich abklären. Die Unfalllenkerin bot der an ihrer gesamten Rumpfvorderseite Geprellten an, sie ins Spital zu bringen, diese hatte jedoch Scheu vor einer öffentlichen Einrichtung wusste sie doch, hier nicht krankenversichert zu sein und schlug das Angebot aus. Seitdem klagt Iuliana jr. immer wieder über Schmerzen in den betroffenen Körperpartien, vor allem aber kann sie ihre linke Hand nicht mehr so einsetzen wie ehedem, kann nicht mehr tageweise in Haushalten bei diversen Arbeiten aushelfen.

Wie sie so Claris Schulter umfasst hält, gesteht die Mutter ihren größten Wunsch dass ihre Tochter eines Tages doch gesunden möge und ein lebenswertes Leben führen könne. Und sie schließt mit den Worten: Darüber aber entscheidet allein der Herr.