Straßenzeitungskicker als Schuhexperten
Frostiger Montagabend in Transdanubien: Fünfzehn erschrockene SW-Augustin-Fußballer stehen drei Bergen von Fußballschuhen gegenüber, die nur so darauf warten, durchprobiert und getestet zu werden. Drei große Sportartikelhersteller wünschten sich Expertisen über ihre „Hallenböcke“.Hömal, fühlst die guat?“, ruft ein besorgter Ernstl, das stimmgewichte und geschätzte über hundert Kilo schwere Liberobröckerl des SW Augustin seinem Außenpracker zu. Hömal, dadurch etwas aus der Konzentration bei der Erwartung eines heraneilenden Stürmers geworfen, schreit kurz und bündig zurück: „Na!“ Ernstl froh darüber, einen Leidensgenossen im Abwehrriegel zu haben, sieht es ähnlich:“ Waun i ehrlich bin, i fühl mi a ned guat. Da Rechte druckt.“
Ja, die Rechten drücken leider allzu oft auch aufs Fußballergemüt, doch nicht nur in Italien, wo ein Fußballprofi offen Mussolini verehrt, sondern auch beimexklusiven Hallenschuhtest der Fußballtruppe aus Kolporteuren. Doch hier zum Glück weniger in politischer Hinsicht als vielmehr in anatomischer, denn Ernstl drückte der rechte Schuh. Drei verdammt große Sportartikelhersteller mobilisieren zur Fußball-WM, denn die Ware lässt sich im Vorfeld solcher Großveranstaltung sehr gut verkaufen, vorausgesetzt das Marketing stimmt. VertreterInnen von Adidas, Nike und Puma karrten dutzende Kartons mit den aktuellen Hallenfußballschuhmodellen (pro Firma zwei verschiedene Modelle)heran, denn sie hatten die ehrenvolle Aufgabe, ihre Patschen vom regierenden Wiener Obdachlosen-Hallenmaster testen zu lassen.
Initiator der ganzen Chose war niemand geringerer als Uwe Mauch, seines Zeichens Kurier-Mitarbeiter und Trainer von SW Augustin: „Würde nur der Augustin dahinter stecken, wäre der Schuhtest nicht möglich gewesen“, so lässt der Trainer die Kirche im Dorf. Die Global Players ließen sich nicht lumpen und folgten der Einladung der Tageszeitung Kurier in eine Floridsdorfer Sporthalle, um den Kickern Schuhe testen zu lassen und um darüber hinaus jedem einzelnen Ballesterer ein Paar seiner Wahl zu schenken. Für eine Riesenfirma keine große Kasteiung, doch für jeden Straßenzeitungskicker ein Balsam auf die von billigen und abgetragenen Turnschuhen geknechteten Fußerl. Sei’s drum – alle profitierten davon, insbesondere Willi, der verbale Wirbelwind von der Schuh testenden Truppe. Jones liegt mit schmerzverzehrtem Gesicht hinter der Bande, Willi kommt dahergebraust, springt wie Rumpelstilzchen in Höchstform über den angeschlagenen Mitspieler hinweg und schmettert ihm ein als Trost gedachtes „“Super, these shoes““ entgegen.
Entweder „oarsch“ oder „weltklasse“
„Deschuach san oarsch“, lautete ein nicht selten gehörtes Urteil der Augustin-Fußballer, doch dürfe man jetzt nicht meinen, dass diese Kolporteurendiplomatie bei den Sportschuhverkaufsmenschen auf Entsetzen gestoßen wäre – im Gegenteil: „Diese Offenheit habe ich noch nie gehört“, meinte ein regelrecht entzückter Gernot Frühauf, der in der Regel seine Ware im Zeichen einer Raubkatze von Spielern des HSV oder des VFB Stuttgart testen lässt. Ganz anders der Konzern der griechischen Siegesgöttin, da meinten die VertreterInnen Isabelle Kiener und Christoph Weichselbaum sie würden ab dem Frühjahr nur bei Amateurvereinen und in Schulen testen lassen, denn dieses Klientel, und nicht die Profis, wäre auch die kaufende Kundschaft.
Dragan, Kapitän der Augustiner, ließ sich im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen aber auf kein polarisierendes Werturteil „oarsch“ respektive „weltklasse“ ein, sondern dozierte: „Es gibt keine schlechten oder guten Schuhe. Es gibt nur weniger weiche und weniger stabile, man muss halt wissen, welche man will“ -und trickste am Parkett mit Schuhen, die jeder durchschnittlichen Discokugel Paroli bieten könnten, was bei Ernstl den ausgesprochenen Verdacht „Wüst bei den Has’n glänzen“ hervor rief. Der Mann mit den „drei Streifen“, Georg Kovacic, erklärte: „Es gibt Leute, die mehr nach der Ästhetik gehen. Und es gibt Fußballer, die das passende Modell für ihren Fuß suchen.“ Dragan scheint die Synthese daraus zu verkörpern – ein Ästhet, der auf das Gefühl seines Fußes hört.
Falsche Bescheidenheit
Insgesamt schlüpften 15 Kolporteure von einem Schuh in den anderen und traten neu besohlt gegen die Haut, dass das Netz nur so bauschte, was nach dem alten Haudegen Strawinsky eigentlich keine Kunst des Schuhträgers sei, denn „die Bock schiaßn von allane“. Hier wäre Strawinsky etwas auszubessern, denn noch in den Schachteln verpackt „schossen die Bock“ keineswegs und bis sie zum Schießen kamen, dauerte es eine Weile, denn die Kicker waren einfach zu schüchtern, die Schuhe aus den Schachteln zu nehmen und durchzuprobieren.
Als Warentester gefragt zu sein, war eine völlig neue Rolle, in welche zu schlüpfen anfangs Unsicherheit auslöste. Viele wollten zuerst nicht recht glauben, dass für sie die Tore zur Hallenschuhwelt offen standen. Bestes Beispiel dafür Willi, der wohl überzuckerte, dass ein Paar als Geschenk gedacht war, doch von Mario, dem Augustinfotografen, gestellt wurde, als er noch mit seinen fünf bis sechs Jahre alten spielte: „Hearst Willi, dös gibt’s doch ned, warum spüst mit den oidn, jetzt gehst aber sofort wöche probieren!“ Willi überwand sich und seinen inneren Schweinehund und packte das Geschenk schließlich doch für die Schussprobe aus. Auch bei den anderen war diese falsche Bescheidenheit auffallend. Erst im Laufe dieses Sondertrainings und mit netter Hilfe der Gesandten von den Sportfirmen (so war sich Gernot Frühauf nicht zu schade -obwohl er es nach eigener Aussage verlernt habe, für die Probanden die Schuhbänder einzufädeln) wuchs das Selbstvertrauen eines jeden Testers. Es wuchs so stark an, dass Mandi sich nach diesem Sondertraining lauthals mit „Die Puma san oarsch“ Luft verschaffen musste, natürlich nicht ahnend, den Pumavertreter neben sich stehen zu haben. Doch wie schon erwähnt, kann Gernot Frühauf mit solchen Expertisen am meisten anfangen.